"Was können wir machen, ohne dass es sich rächt?"
Umweltschutz, Rohstoffnutzung und martitime Technologien - das Feld der Meeresforschung ist breit. Doch ist das Meer als Hort für tausende von Pflanzen- und Tierarten bedroht, meint die Meeresbiologin Karin Lochte.
Ute Welty: Bremen hat Besuch: Heute und morgen treffen sich dort rund 1000 Wissenschaftler, Politiker und Verwaltungsfachleute aus europäischen Ländern mit Küste, um zu aktuellen Fragen zu den Meeren zu sprechen. Da geht es um Umweltschutz, um Rohstoffnutzung oder auch um maritime Technologien, denn das Meer ist nicht nur Sehnsuchtsort, sondern auch Wirtschaftsraum. Über Potenziale und Risiken spreche ich jetzt mit Karin Lochte, sie leitet seit 2007 das Institut mit dem beeindruckenden Doppelnamen, nämlich das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Guten Morgen, Frau Lochte!
Karin Lochte: Ja, guten Morgen!
Welty: Was ist denn das Meer vor allem für Sie - Sehnsuchtsort, Wirtschaftsraum, Forschungsobjekt?
Lochte: Ach, das hängt immer ganz davon ab, was man gerade tut. Als Wissenschaftlerin ist es natürlich ein Forschungsraum, aber im Urlaub ist es für mich auch Sehnsuchtsort.
Welty: Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin unter anderem mit der Rolle von bakteriellen Enzymen oder mit den Stickstoffflüssen im Plankton. Bin ich da ganz falsch unterwegs, wenn mir sofort Schätzings "Schwarm" einfällt?
Lochte: Nein, das ist sicherlich ein ganz wichtiges Thema, der hat das auch wunderbar recherchiert, allerdings dann natürlich die Auswirkungen überhöht dargestellt, muss man ja auch als Autor von Science-Fiction. Aber, ja, solche Szenarien - da hoffen wir nicht, dass die kommen, aber wir müssen natürlich vorsichtig sein, wie wir mit dem Ozean insgesamt umgehen.
Welty: Wie lassen sich denn bakterielle Enzyme oder eben Stickstoffflüsse in Plankton tatsächlich nutzen?
Lochte: Bei den Enzymen zum Beispiel ist es durchaus so, dass wir die auch in industriellen Prozessen nutzen können. Wenn wir also etwas aus dem polaren Ozean nehmen, aus dem Eis oder aus der Tiefsee, dann sind das Enzyme, die unter kühlen Temperaturen oder hohen Drücken funktionieren, wie man das auch in der Industrie zum Beispiel braucht. Da kann man schon einiges in der Richtung entdecken noch im Ozean.
Welty: Für welche industrielle Produktionen, Prozesse lassen sich denn solche Dinge nutzen?
Lochte: Ja, zum Beispiel bei Waschmitteln - niedrige Temperaturen unterdrücken - das kann ich Ihnen jetzt nicht so genau sagen, aber da gibt es sicherlich auch einige Prozesse, die Umwandlungen machen von Stoffen, die man dann nutzen kann. Ich selber bin weniger in der tatsächlichen Industrienutzung unterwegs, sondern wir sind eigentlich ein Institut, was hauptsächlich Grundlagenforschung macht.
Welty: Wenn wir noch mal über diese Grundlagenforschung sprechen und über das sprechen, was Sie gerade schon angedeutet haben: Im Roman von Frank Schätzing rächt sich ja die Natur, weil sie eben über Gebühr beansprucht wird. Wo ziehen Sie für Ihren Bereich die Grenze? Was kann, was darf Meerestechnologie leisten und was eben nicht?
Lochte: Ja, das ist ein ganz spannendes Thema, weil wir natürlich sehen müssen: Wir werden den Ozean nutzen müssen. So wie sich die Gesellschaft entwickelt und auch die Anzahl der Menschen auf dieser Erde, ist der Ozean einer unser großen letzten Ressourcen. Die Frage ist aber: Was dürfen wir, was können wir machen, ohne dass es sich rächt? Und da ist schon die Frage: Wie können wir zum Beispiel überwachen, was passiert, wie können wir Daten haben aus Regionen, die sehr unzugänglich sind und welche Technologien helfen uns dabei, also im Grunde genommen die Frage, wie gut verstehen wir den Ozean, wie gut können wir vorhersagen, was passiert, wenn wir eine gewisse Nutzung vornehmen?
Noch immer verstehen wir den Ozean nicht gut genug
Welty: Und wie gut verstehen wir den Ozean?
Lochte: Tja, das ist eben der Punkt, wo wir der Meinung sind, dass wir ihn noch nicht gut genug verstehen, um wirklich all diese Nutzungen, die im Augenblick angedacht werden, umsetzen zu können. Es gibt sehr viele Bereiche, aus denen wir keine oder wenig Daten haben, ich nenne nur den arktischen Ozean, wo jetzt ja auch sehr viel Interesse drauf gerichtet ist in Bezug auf Rohstoffe, die dort noch liegen, also Öl, Gas, aber auch Mineralien. Und die Frage "Was können wir vorhersagen über die Eisbedeckung in diesem Ozean?", "Was können wir vorhersagen über das Verhalten von Öl, wenn es austritt?" - das ist noch nicht ausreichend, um tatsächlich guten Hinweis für mögliche Nutzungen zu geben, also um Beratung zu machen.
Welty: Die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan hat immer gefordert, dass die Wissenschaft raus muss aus dem Elfenbeinturm. Wie nahe sehen Sie sich am Ausgang oder wie tief sind Sie die Treppe schon hinuntergestiegen?
Wenn Nutzung, dann nur zurückhaltend
Lochte: Tja, wir sind noch nicht sehr weit hinuntergestiegen. Ich denke, das ist in anderen Ländern schon sehr viel weiter gediehen. Also Deutschland ist da noch sehr zurückhaltend. Aber gleichzeitig können wir uns nicht zurücklehnen und sagen, das ist nicht unser Ding. Wir müssen schon auch mithelfen, dass, wenn solche Nutzung stattfindet, dass sie in einem verantwortungsvollen Rahmen stattfindet.
Welty: Zurückhaltend auch deswegen, weil der Preis eventuell sehr hoch ist und eventuell die Freiheit der Forschung eingeschränkt wird?
Lochte: Ja, das ist einer der Punkte. Wir müssen unabhängig bleiben. Das ist ganz wichtig. Und wir müssen neutral bleiben. Wir dürfen also nicht dazu dienen, jetzt Steigbügelhalter für den einen oder anderen zu sein, sondern unser Rat muss so sein, dass alle ihn als gut abgesichert und unvoreingenommen annehmen können.
Welty: Was tun Sie dafür, um das für Ihr Institut zu garantieren?
Lochte: Ja, wir werden also auf jeden Fall sämtliche Quellen von Finanzen, die wir haben, abprüfen: "Was machen die damit? und "Können wir die Daten, wenn wir sie gewinnen, auch wirklich öffentlich machen, sind die tatsächlich für alle zugänglich?" Und wenn es sich um Sachen handelt, die nur eine Richtung bevorzugen oder nur einer Firma dienen, dann wäre das etwas, wo wir natürlich gucken müssen: "Was machen die damit?" Also wir versuchen schon, einen Kodex einzuhalten, wie wir verantwortungsvoll auch mit solchen Geldern umgehen, die wir von der Industrie bekommen.
Welty: Die Meeresbiologin Karin Lochte, sie leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und nimmt in Bremen teil an der Konferenz zum Europäischen Tag der Meere. Ich danke für dieses Gespräch und ich wünsche erfolgreiches Tagen!
Lochte: Ja, herzlichen Dank, auf Wiederhören!
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