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Die neue Sehnsucht nach der Expertokratie
05:20 Minuten
In der Coronakrise wächst das Vertrauen in die Wissenschaft. 80 Prozent der Deutschen meinen, die Politik solle sich an ihr ausrichten. Sind die Hoffnungen auf eine Herrschaft der Zahlen berechtigt? Der Sozialphilosoph Arnd Pollmann hat Zweifel.
Bereits in der Klimadebatte gab es diesen Trend: Im Angesicht der kollektiven Gefahr erweist sich die Wissenschaft als Krisengewinnlerin. Drei von vier der im aktuellen Wissenschaftsbarometer befragten Personen bestätigen, dass sie auf die Forschung vertrauen. Im letzten Jahr war es nicht einmal jede Zweite.
Zudem begrüßen zwei von drei der Interviewten die öffentliche Kontroverse um widerstreitende virologische Ansichten. Offenbar sind diese beiden Befunde eng verknüpft: Das Vertrauen in die Wissenschaft wächst, eben weil sich die Drostens und Streecks dieser Republik derzeit so erfrischend widersprechen; und zwar jeweils auch sich selbst. Sollen sich die Wissenschaften über diese steigenden Beliebtheitswerte freuen?
Wissenschaft: Der falsche Singular
Ich selbst muss zugeben, dass ich mich als Philosoph von dieser Euphorie nicht mitumarmt fühle. Unendlich viele Kolleginnen und Kollegen aus verschiedensten anderen Fachdisziplinen sind in diesen Befund ebenfalls nicht eingeschlossen – und in der aktuellen Krise ja auch nicht gefragt. Auf Expertisen des Verfassungsrechts, der Demokratietheorie, der Ökonomie, Soziologie, Psychologie oder Psychiatrie wird derzeit gern verzichtet.
Und wer würde behaupten, dass auch das Vertrauen in die frühkindliche Pädagogik oder die Gendertheorie gestärkt wäre? Rasch wird als epidemiologisch suspekt oder gar als intellektuell infektiös behandelt, wer aus Sicht einer Nicht-Naturwissenschaft die normative Kraft des faktischen Shutdowns in Frage stellt. Das erste Problem ist also: Die gängige Rede von "der" Wissenschaft im Singular ist völlig irreführend.
Damit hängt unmittelbar das zweite Problem zusammen: Viele Menschen teilen ein "szientistisch" verkürztes Wissenschaftsverständnis. Der Szientismus behauptet, die gesamte Welt müsse strikt nach dem Vorbild "harter" Naturwissenschaften erforscht werden. Alle anderen Welterklärungen, die nicht in Zahlenkolonnen denken, gelten als unwissenschaftlich. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar sagte jüngst: "Virologen haben keine Meinung, die haben Fakten".
So wird im Umkehrschluss der gesamte Rest der Wissenschaften zu einer Art Meinungsjournalismus degradiert. Was aber, wenn plötzlich eine Evolutionsbiologin behauptete, der Zweck des Virus sei es, die Gesellschaft von ihren schwächsten Elementen zu befreien? Ist das dann ein naturwissenschaftliches Faktum oder eben doch nur eine Meinung?
Angstimpulse: Aus den Naturwissenschaften
Das dritte Problem betrifft die epidemische Unruhe der letzten Wochen: Während die Wissenschaften früher eher Garanten der Besonnenheit waren – im Gegensatz etwa zu Verschwörungstheorien – konnte man schon während der Klimadebatte das Gefühl haben, dass die heftigsten Angstimpulse derzeit direkt aus den Wissenschaften kommen.
Man denke hier nur an die frühe Ankündigung der virologisch nicht immer gut beratenen Kanzlerin, dass sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung anstecken werden. Mit einem tödlichen Virus? Ich dachte immer, die Virologie solle so etwas verhindern! War das ein notwendiges Wachrütteln oder eher doch pandemische Panikmache? Im Effekt jedenfalls schlägt die wissenschaftliche Versicherung so in unwissenschaftliche Verunsicherung um; wobei die notorische Uneinigkeit der Virologen in fast jeder Sachfrage ihr Übriges dazu beiträgt.
Gefahr: Quasi-religiöse Heilserwartungen
Was derzeit aber vor allem aufstößt, ist viertens die verkappte Heilserwartung, die der Virologie entgegenströmt. Man erhofft sich nicht bloß nacktes Überleben, sondern Auswege aus Angst und Kontingenz. Selbst wenn das bedeutet, wochenlang das Haus nicht zu verlassen. Wenn die aktuelle Wissenschaftsgläubigkeit vor allem in diese Richtung weist, so ist sie Ausdruck eines tiefen Missverständnisses: Anders als Religionen liefern die Wissenschaften keine Lösungen für praktische Alltagsprobleme.
Sicher, die Wissenschaften sollen Informationen für praxisrelevante Entscheidungen bereithalten, sonst würde man sie nicht öffentlich alimentieren. Sie selbst aber lösen immer nur theoretische Probleme. Die Krümmung einer revolutionär neuen Linse etwa muss wissenschaftlich errechnet werden, aber praktikabel wird sie erst durch den, der sie schleift. Die Lösung und Entscheidung politischer Probleme wiederum obliegt dem Demos. Deshalb zeugt die wachsende Sehnsucht nach einer wissenschaftlichen Expertokratie, die uns diese Entscheidungen abnimmt, eher von demokratischer Unreife.
Arnd Pollmann schreibt Bücher über Integrität und Unmoral, Menschenrechte und Menschenwürde. Er ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Mitherausgeber des philosophischen Online-Magazins Slippery Slopes.