Bestürzende Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingen
Im Auftrag des "Spiegel" ist Navid Kermani auf der sogenannten Balkan-Route bis in die Türkei gereist. Auf seiner Reise sind ihm viele Afghanen begegnet, die Teilnahmslosigkeit der Regierungen der Transitstaaten und rosige Vorstellungen von Deutschland.
Zehntausende Flüchtlinge sind derzeit auf der sogenannten Balkan-Route Richtung Europa unterwegs. Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani ist ihnen im Auftrag der "Spiegel" bis nach Izmir entgegengereist.
"Das ist der Ort, wo fast alle Flüchtlinge hinkommen, weil sie dort den Schlepper finden", berichtet Kermani.
"Wenn man in Izmir sich umschaut in der Altstadt, dann sieht man überall Läden mit Schwimmwesten, so wie ganz normale Kleidung ausgelegt, und in diesen Läden spätestens findet man auch sehr schnell einen Schlepper."
"Irreguläre Normalität" auf der Balkan-Route
Auf der "Balkan-Route" habe sich inzwischen eine Art "irregulärer Normalität" eingependelt. Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich ließen die Flüchtlinge an bestimmten Grenzübergängen durch, brächten sie teilweise selbst mit Bussen zum nächsten Übergang.
"Und so ist es ein Weg geworden, auf dem die Flüchtlinge, wenn sie einmal griechisches Festland erreicht haben, relativ schnell nach Deutschland kommen."
Die Linksregierung in Griechenland kümmert sich überhaupt nicht um die Flüchtlinge
Die "Teilnahmslosigkeit", die Flüchtlinge einfach durchzulassen, ohne sich selbst um sie zu kümmern, sei bestürzend, sagt Kermani. Drastischstes Beispiel sei die griechische Regierung:
"Die Art und Weise, wie die Flüchtlinge auf Lesbos unversorgt gelassen werden, wie sie über 50 Kilometer marschieren müssen, um überhaupt den Hafen zu erreichen, und wie überhaupt die einzigen, die sich kümmern, einzelne Helfer oder NGOs sind! Das ist schon bestürzend, gerade wenn man überlegt, dass Griechenland ja eine linke Regierung hat, die ja doch einen internationalistischen Anstrich hat, also das sieht man in der Wirklichkeit überhaupt nicht gespiegelt."
Auch Ungarns Regierung mache es sich sehr leicht, kritisiert Kermani, indem sie "sozusagen propagandistisch" einen Grenzzaun errichtet habe, "klammheimlich" die Flüchtlinge dann aber über Kroatien doch durchreisen lasse.
Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan
Auffällig sei, dass derzeit nicht nur viele Syrer unterwegs seien.
"Sondern in der Mehrheit sind es - nach meinem Augenschein jedenfalls - Afghanen."
Für all diese Menschen sei Deutschland ein Hoffnungsland:
"Besonders die Bundeskanzlerin ist für viele der Flüchtlinge eine Lichtfigur."
Die Flüchtlinge stellten sich Deutschland in "allzu rosigen Bildern" vor, so Kermani. "Das muss man schon sagen". Dennoch glaube er, ihre Dankbarkeit werde bleiben.
"Deutschland macht sich auf eine Weise beliebt im Augenblick, die man vielleicht gar nicht für möglich hält."