"Das direkte Gespräch ist die Chance"
"Welt aus den Fugen" heißt das jüngste Projekt des Schriftstellers Navid Kermani. Dabei spricht er mit Schülern und Theaterbesuchern über die ganze große Frage: Wie wollen wir leben? Das direkte Gespräch biete die Chance, durch die eigene Blase hindurchzukommen, meint Kermani.
Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchandels Navid Kermani tourt durch die Republik: Vom 11. bis 17. Februar lädt er ein zur Diskussion: Abends in den großen Theaterhäusern Deutschlands, vormittags in Schulen: "Welt aus den Fugen. Wie weiter nach Brexit, Trump und Aleppo?" heißt seine Veranstaltungsreihe mit täglich wechselnden Gästen.
Der Schriftsteller Navid Kermani will mit seiner "Theaterreise" deutlich machen, dass die Zukunft Europas und der Demokratie auf dem Spiel steht und plädiert für das direkte Gespräch.
"Ich denke, dass es darum geht, die ganz große Frage zu stellen: Wie wollen wir eigentlich leben?",
sagte Kermani im Deutschlandradio Kultur. Wichtig sei ihm dabei, klarzumachen, wieviel angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre "auf dem Spiel steht im Augenblick", so der deutsch-iranische Schriftsteller und Orientalist.
Durch die "Blasen" der Internetwelt hindurchkommen
Viele Menschen lebten mittlerweile in Parallelöffentlichkeiten, in denen lediglich das eigene Weltbild bestätigt werde. "Das direkte Gespräch bietet die Chance, durch diese Blase hindurchzukommen. Und deswegen wird das Analoge gerade in Zeiten des Internets immer wichtiger", so Kermani.
Von der Politik erwartet Kermani einen Aufbruch aus dem Verharren in der Mitte: Es gehe darum, sich einer Welt zu stellen, in der "Krieg herrscht, in der jeden Tag Flüchtlinge ertrinken, in der Terror die Städte erreicht, in der soziale Gegensätze explosiv zunehmen zwischen Arm und Reich".
Andere Alternativen anbieten zu den ganz Rechten
Als Negativ-Beispiel zeige der Erfolg Trumps, dass "diejenigen begeistern, die für Alternativen stehen. Nur wir müssen andere Alternativen anbieten als diejenigen, die ganz rechts stehen".
Mit Blick auf Frank-Walter Steinmeier, der sich morgen als gemeinsamer Kandidat von CDU, CSU und SPD seinen Gegenkandidaten zur Wahl des Bundespräsidenten stellt, sagte Kermani:
"Was für sich spricht ist: Er kennt die Welt, also das ist schon mal ein großer Vorteil, dass er eine außenpolitische Expertise hat, der nicht nur Deutschland sieht, sondern Deutschland in der Welt sieht. Dass er da einige Perspektiven aufzeigen kann und auch diesen globalen Blick hat, das erhoffe ich mir schon."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Welt aus den Fugen" – der Titel, den Navid Kermani für seine Deutschlandreise gewählt hat, der macht nicht unbedingt Mut. Ab heute ist der deutsch-iranische Schriftsteller unterwegs, um vormittags an Schulen und abends in Theatern zu diskutieren über Brexit, Terror, Trump und Aleppo. Themen gibt es wahrlich genug, und auch wir wollen reden, und zwar mit Navid Kermani selbst. Guten Morgen!
Navid Kermani: Guten Morgen!
Welty: Was genau treibt Sie um, dass Sie einen derart pessimistischen Titel gewählt haben?
Kermani: Der Titel liegt in der Luft. Das ist ja ein allgemeines Empfinden, dass da Dinge aus dem Gefüge gekommen sind, zumal im letzten Jahr, mit – Sie haben einige Ereignisse genannt – dem möglichen Scheitern der Europäischen Union nach dem Brexit, vor der möglichen Wahl Le Pens in Frankreich, die Terroranschläge, die auch Deutschland erreicht haben, Berlin erreicht haben. Die Wahl Trumps, die Kriege im Nahen Osten, Aleppo, also all das beunruhigt ja nicht nur mich, sondern sehr viele Menschen, und vor allem haben sehr viele Menschen das Gefühl oder die Angst, dass das nur die Vorboten eines größeren Unheils sein könnten.
Welty: Wen genau wollen Sie erreichen?
Die großen Dinge wird die junge Generation austragen
Kermani: Das sind halt – in den Theatern erreicht man halt natürlich ein bestimmtes Publikum. Das werden wahrscheinlich nicht diejenigen sein, die, sagen wir, am anderen Ende des politischen Spektrums sind. Das sind dann vielleicht andere Tage und andere Orte, an denen man sie findet. Und natürlich die Schulen, die mir besonders wichtig sind, weil ich so in den letzten Monaten – ich bin ja öfters an Schulen auch mit Lesungen –, und ich merke schon so seit zwei, drei Jahren gibt es da einen Umschwung. Die Diskussionen in den Schulen werden für mich jedenfalls immer interessanter, auch bewegender, weil da wirklich die jungen Menschen sich sehr stark politisiert haben. Das ist jedenfalls vielleicht meine eingeschränkte Wahrnehmung, aber doch sehr stark, wenn ich in den Schulen bin. Und letztendlich müssen sie ja ran. Die großen Dinge wird ihre Generation austragen, und diese jungen Menschen zu erreichen, die vielleicht noch nicht so festgelegt sind, die offener sind, die auch neugieriger sind, ist natürlich mindestens so wichtig, wie abends dann in den Theatern zu sprechen.
Welty: Heißt das, Sie gehen eigentlich lieber in die Schule als in das Theater mit diesem Projekt?
"Einmal mehr tun"
Kermani: Na ja, es ist so beides – ich tue beides, also beides gehört zusammen. Es war einfach so, vielleicht kann ich das kurz erzählen, es war einfach so, dass im November oder Ende November, als dann wirklich hier die Nachrichten sich überschlugen mit Trump und mit Terror und alldem, ich mir einfach überlegt habe, was kann ich, zusätzlich zu dem, was ich ohnehin so mache mit Schreiben, was kann ich denn jetzt vielleicht mal mehr tun, was ich sonst nicht gemacht habe. Und dann kam diese Idee, mal eine Woche wirklich gezielt über diese Probleme zu sprechen, auch von meinen eigenen Reisen zu berichten, von meinen Eindrücken, aber auch Fragen zu stellen. Es ist ja nicht so, dass ich selbst jetzt unbedingt alles genau weiß. Aber diese Fragen zu diskutieren, die Unsicherheit auch zu formulieren, die Unsicherheit der Welt, in der wir sind, und klar zu machen, dass da echt viel auf dem Spiel steht im Augenblick.
Welty: Sind Schule und Theater die Orte, wo noch echte Gespräche stattfinden können?
"Das direkte Gespräch ist die Chance durch diese Blase hindurchzukommen"
Kermani: Also ich bin ja Reporter, und das heißt, ich bewege mich überall, auch im nichtöffentlichen Raum, und suche überall nach Gesprächen. Und meine Erfahrung ist, dass man auch an Orten, wo man es vielleicht nicht erwartet, auch in Milieus, wo man es vielleicht nicht erwartet, mit einer bestimmten Neugier und Offenheit auch dort Gespräche führen kann, wo man sich vielleicht nicht einig ist, aber wo man immerhin den anderen wahrnimmt. Das gilt nicht nur für das Milieu von Theatern, das gilt auch für, sagen wir eher, ein konservatives oder sogar nationalistisches Milieu. Das Gespräch ist, glaube ich, umso wichtiger, als Informationen, wie wir ja wissen, immer stärker in so eine Art von Blase festgehalten werden. Das heißt, es gibt immer mehr Parallelöffentlichkeiten. Viele Menschen werden gar nicht mehr erreicht durch die Informationen, die etwa die Zeitungen verbreiten. Die bekommen nur Informationen mit, die ihr eigenes Weltbild bestätigen. Aber das ist ja auf der anderen Seite des Spektrums, also wenn wir in unserem, jetzt sage ich mal unserem Milieu gar nicht sehr anders, und das direkte Gespräch ist die Chance, wirklich durch diese Blase hindurchzukommen und noch Menschen zu erreichen. Und deshalb wird es, glaube ich, wird das dann, das Analoge wird gerade in Zeiten des Internets immer wichtiger.
Welty: Wann ist das das letzte Mal passiert, dass Sie sozusagen die Blase zum Platzen gebracht haben? Wann haben Sie das letzte Mal gedacht, jetzt habe ich jemanden wirklich erreicht?
Kermani: Das ist ja so, ich versuche ja gar nicht so sehr zu erreichen, sondern zu hören. Das ist ja meine Aufgabe. Auch bei diesen Abenden in den Theatern wird es ja immer einen Gast geben, und da bin ich selber neugierig, auch teilweise in der Position des Fragenden, und für mich das, was mir viel eher entspricht und was ich auch viel besser kann, ist ja weniger, dass ich selbst meine Meinung verkünde auf Reisen, sondern als Reporter ist ja meine Aufgabe zuzuhören und zu verstehen und begreiflich zu machen meinen Lesern. Und auch darum wird es vielleicht an diesen Tagen und Abenden gehen. Also das, was ich erlebt habe, ich war ja zuletzt auch wieder in Osteuropa unterwegs, war auf der Krim, in Tschetschenien, auch davon zu berichten, wie es dort aussieht.
"Menschen zu errreichen ist wichtiger als in Talkshows Schlagabtausch zu führen"
Welty: Wie schwierig ist das in Zeiten von Schlagworten wie "Lügenpresse", aber auch von Haltungen wie "Wir wollen denen kein Forum bieten"? Oder wie erschwert das gegenseitige Ressentiment ein Gespräch?
Kermani: Das kann ich nicht genau beurteilen, weil ja – meistens bewege ich mich unterhalb der Öffentlichkeit, indem ich einfach selbst reise. Aber es ist zum Beispiel so, dass natürlich wenn man in den öffentlichen Raum geht, man mit Einschränkungen zu kämpfen hat. Aber gegen die kann man sich ja wehren. Ich habe zum Beispiel auch überhaupt kein Problem damit, das habe ich denen auch angeboten, bei der AfD zu sprechen, mit denen zu diskutieren. Nur, das wollen die halt nicht. Das ist dann aber – da kann man nichts machen. Aber solange man sich nicht beleidigt, solange man sozusagen sich zivilisiert äußert, muss man mit Meinung umgehen. Und vor allem gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen bestimmten Führern, deren Position ich ablehne, die ich vielleicht auch sogar als rassistisch betrachte, und vielen Menschen, die ihnen bei manchem Zweifel immer noch die Stimme geben. Und diese Menschen zu erreichen, ist meines Erachtens viel wichtiger, als in Talkshows oder anderswo den Schlagabtausch mit bestimmten politischen Führern zu führen.
Welty: Inwieweit stehen die politischen Führer, die Politiker, in der Verantwortung? Immerhin wird ja morgen auch ein Bundespräsident gewählt, neu gewählt, der dann wahrscheinlich Frank-Walter Steinmeier heißt?
"Wie wollen wir eigentlich leben?"
Kermani: Ich bin da jetzt nicht derjenige, der dem bestimmte Aufgaben stellt. Aber was ich schon spüre, dass sie sich nicht mit dem Status quo abfinden sollten. Also dieses ewige Bleierne, dieses alternativlose, dass alle Parteien sich in der Mitte versammeln, dass man sozusagen versucht, wo kann man die meisten Stimmen abgraben, wo sind die meisten Wähler, sondern man merkt doch jetzt auch überall, in Deutschland, aber auch in Frankreich, in Kanada hat man es gemerkt, auf eine gewisse Weise negativ auch in Amerika mit Trump, dass diejenigen begeistern, die auch für Alternativen stehen, die also diese Wirklichkeit, die ja nicht gut ist, nicht als gegeben begreifen, als unveränderbar begreifen. Nur, wir müssen, glaube ich, andere Alternativen anbieten als vielleicht diejenigen, die ganz rechts stehen. Aber als Alternativen zu einer Welt, in der Krieg herrscht, in der jeden Tag Flüchtlinge ertrinken, in der Terror die Städte erreicht, in der die sozialen Gegensätze explosionsartig zunehmen zwischen Arm und Reich, wenn diese Welt alternativlos sein soll und wenn es immer nur weiter gehen soll, dass man dann resigniert, das ist klar. Und ich glaube, es geht darum, zu überlegen, wirklich die ganz großen Fragen zu stellen: Wie wollen wir eigentlich leben?
Welty: Trauen Sie Steinmeier das zu, dass er eine Alternative aufzeigt, dass er womöglich sogar so etwas hält wie eine Ruck-Rede?
Kermani: Dazu kenne ich ihn nicht gut genug. Aber er hat immerhin – was für ihn spricht, ist, er kennt die Welt. Das ist ja schon mal ein großer Vorteil, dass er jemand ist, der außenpolitische Expertise hat, der nicht nur Deutschland sieht, sondern Deutschland in der Welt sieht. Und dass er da einige Perspektiven aufzeigen kann und vor allem auch diesen globalen Blick hat, das erhoffe ich mir schon.
Welty: Der Schriftsteller Navid Kermani, ab heute unterwegs durch Deutschland. Ich danke sehr für dieses Gespräch!
Kermani: Bitte schön!
Welty: "Die Welt aus den Fugen" – heute ist Navid Kermani im Thalia-Theater in Hamburg. Es folgen Termine unter anderem in Frankfurt, Köln und Berlin. Und weil eine solche Reise Vorbereitung braucht, haben wir das Gespräch aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.