Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum
C.H. Beck Verlag 2015
303 Seiten, 24, 95 Euro
Reise in die christliche Bilderwelt
Der Muslim und Friedenspreisträger Navid Kermani nimmt uns in seinem eindrucksvollen Buch "Ungläubiges Staunen" mit in die christliche Bilderwelt. Auf meditative Art und Weise bringt er uns die religiösen Wurzeln des Christentums näher.
Da muss schon ein Muslim kommen, um uns auf meditative Art und Weise die eigenen religiösen Wurzeln nahezubringen: Navid Kermani ist tief in die christliche Bilderwelt eingetaucht und hat ein eindrucksvolles Buch verfasst. Man staunt, was er alles entdeckt auf den Werken bekannter und unbekannter Meister, die sich einst der Bibel und ihren Geschichten widmeten. Entstanden ist eine "Aufforderung zum Achtgeben, zum genauen Hinschauen", wie Kermani im Deutschlandradio Kultur sagte.
Sein Buch ist kein wissenschaftliches Werk, sondern entstanden, weil er die christliche Bilderwelt irgendwann selbst für sich entdeckt hat – und von ihr gefangengenommen wurde. Es gehe ihm darum, den Lesern die eigene "Irritation und Begeisterung" zu vermitteln, sagt er. Das gelingt ihm mit Bravour. Der Orientalist erhält dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auf der Frankfurter Buchmesse.
Das Gespräch im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wenn ein Schriftsteller und Islamwissenschaftler den Christen den vergessenen Zauber ihrer Religion erklärt, wie es im Verlagstext seines neuen Buches heißt, dann kann das ungläubiges Staunen hervorrufen. Und so hat er das Buch auch genannt: "Ungläubiges Staunen über das Christentum". Navid Kermani meine ich. Man könnte das Buch, wenn man drin blättert, auch eine Art christliches Bilderbuch nennen. Und ob es das ist, das will ich jetzt von ihm wissen. Navid Kermani ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Navid Kermani: Guten Morgen!
von Billerbeck: Wie ist es denn eigentlich bestellt um Ihren christlichen Hintergrund, wie sind Sie dazu gekommen?
Kermani: Na ja, ich bin in Europa aufgewachsen und insofern in einer christlichen Umgebung (...). Insofern ist das eine Religion, mit der ich groß geworden bin. Allerdings bin ich in einem sehr speziellen christlichen Umfeld groß geworden, nämlich im Siegerland, das damals auch noch sehr viel protestantischer beziehungsweise calvinistischer und freikirchlicher war als heute. Und das war schon sehr speziell, und es war eigentlich vollständig bilderlos und auch wirklich unsinnlich.
Insofern habe ich dann, als ich nach Köln dann, vor allem, als ich dann auch in Rom gelebt habe, das war dann doch ein großes Staunen über diesen Reichtum an Sinnlichkeit und Ritualen, an Bildern, Gerüchen, an Musik. Das kannte ich so aus meiner Kindheit nicht.
von Billerbeck: Sie haben auch, das habe ich in der Vorbereitung gelesen, als Leistungsfach Evangelische Religion gewählt, als Sie Abitur machten. Spielte das auch eine Rolle, dass Sie sich da mit den Bildern befasst haben, oder hatte das ganz andere Gründe.
Abendländische Kunstgeschichte kam in der Schule nicht vor
Kermani: Nein, da ging es ja gar nicht um Bilder, da ging es ja nur um harte Theologie. Nein, also eher im Gegenteil, (...) beim sozialdemokratischen Reformabitur wird ja auch nicht mehr dieser bildungsbürgerliche Hintergrund vermittelt. Also man hat in der Schule nie gelernt, mit dieser abendländischen Kunstgeschichte umzugehen, das überhaupt wahrzunehmen.
Das kam dann erst in späteren Zeiten. Insofern war das wirklich eine neue und ganz große Erfahrung, speziell in diesen Kanon einzutauchen. Der literarische Kanon, den hatte ich ja sozusagen von klein auf mitbekommen. Aber diese Kunstgeschichte und diese ganzen Werke und die Kirchen, wo man als Jugendlicher eher immer dann einen großen Bogen gemacht hat und wo die eigenen Kinder immer noch einen großen Bogen machen, wenn der jetzige Vater sie jetzt hineinschleppt: Das ist wirklich eine relativ späte Entdeckung in meinem Leben gewesen.
von Billerbeck: Liegt das daran, und das kann man in Ihrem Buch eigentlich auch nachvollziehen, wenn man das liest, dass das eben, was uns da beigebracht wird, so unsinnlich passiert – wollen Sie einfach den Leuten sagen, das riecht, das schmeckt, das ist lebendig, was da auf diesen Bildern passiert an Religion, an Christentum?
Kermani: Ich weiß nicht, was ich den Leuten sagen will, das vermittelt sich ja den Leuten hoffentlich selbst. Man schreibt ja nicht so ein Buch in der Absicht, ich will den Leuten jetzt mal was sagen, sondern man macht selbst Erfahrungen und Entdeckungen und Lektüren und Eindrücke, die man erst mal nicht versteht.
Und eigentlich geht es immer darum, dieses Staunen, dieses Nichtverstehen zwar nicht aufzulösen und zu sagen, jetzt habe ich es aber kapiert, sondern genau mitzuteilen seine eigene Irritation, seine eigene Begeisterung dem Leser im besten Fall zu übermitteln.
Aber offenkundig ist ja, dass genauso wie die Literatur und die Musik und auch die Kunst, die ja bis ins 19. und frühe 20. Jahrhundert speziell auch in Deutschland oder jedenfalls auch in ganz Europa sehr stark religiös bestimmt war. Und das gilt ja nun für die großen Kunstwerke, die großen Maler sowieso, dass wir diese Tradition säkularer Wissenschaften ausgelagert haben an die Kunstgeschichte, an die Germanistik, an die Musikwissenschaft. Während sich die Theologien kaum noch drum kümmern, jedenfalls nicht auf dem Niveau darum kümmern, wie es die säkularen Wissenschaften tun. Und das ernst zu nehmen, auch den religiösen Gehalt dieser Werke ernst zu nehmen, das waren halt genau die Sachen, die ich nirgendwo gefunden habe. Und deshalb habe ich es dann selber geschrieben.
von Billerbeck: Nun haben Sie gesagt, das ist kein wissenschaftliches Buch, sondern eine frei assoziierende Meditation, und Sie haben daran erinnert, dass Sie in der Villa Massimo waren in Rom, da viel Zeit hatten, sich Bilder auch anzugucken, Kirchen anzugucken. Wie sind Sie denn auf die Bilder gekommen, die dann in diesem Buch gelandet sind?
"Aufforderung zum Achtgeben, zum genauen Hinschauen"
Kermani: Das war eine ganz lange Zeit ganz zufällig. Ich habe mich wirklich treiben lassen und wollte gerade keine ... so ein absichtsloses Treiben. Und dann irgendwann hat man dann doch ein Gefühl für ein Buch, und dann die letzten Mosaiksteine, die sucht man dann ganz oder habe ich dann ganz, ganz bestimmt gesucht, absichtsvoll gesucht, damit sich das ganze Mosaik dann insgesamt fügt.
Aber gerade dieses Moment des Zufalls, des Hineinschlenderns in eine Kirche, in ein Museum, und plötzlich von einem Bild gefangengenommen zu werden, das habe ich eigentlich so lange wie möglich versucht zu bewahren und gerade keine Systematik hineinbringen wollen. Und da hat sich von selbst eine Systematik ergeben, also diese Dreiteilung, die das Buch jetzt hat, die hatte ich mir gar nicht ausgesucht, die kam von selbst, und das ... insofern war es dann vielleicht ein unterbewusster oder ein in den Werken vielleicht liegender Plan.
von Billerbeck: Wenn man in dem Buch blättert – ich habe jetzt gerade ein Bild aufgeschlagen, ich habe es hier ja bei mir auf dem Studiotisch, nämlich das Caravaggio-Bild "Die Kreuzigung Petri" –, und als ich den Text von Ihnen dazu gelesen habe, dachte ich, interessant, die ganzen Dinge hätte ich überhaupt nicht gesehen auf diesem Bild, die Sie mir da machen. Ist das also auch quasi so eine Hilfe, guckt euch die Bilder genauer an, was ihr da alles verliert, wenn ihr es nicht tut?
Kermani: Die Aufforderung zum Achtgeben, zum genauen Hinschauen, klar, das ist ja hoffentlich jedes Buch über Kunst. Und mir ging es ja genauso. Ich meine, ich bin früher auch als Jugendlicher durch diese, auf Schulausflügen durch Rom gehetzt worden, und das fanden wir alle langweilig. Und ich merke, dass es vielen Leuten ähnlich geht, und insofern teilt sich eigentlich meine eigene Erfahrung mit.
Es ist ja nicht nur, dass man einerseits – es ist ja beides, einerseits diese unmittelbare Erfahrung vor so einem Martyrium zu stehen und dieses Martyrium ernst zu nehmen, dass da jemand verkehrt herum gekreuzigt wird und dass alle anderen da irgendwie lachen oder staunen oder das gar nicht so ernst nehmen, die auf dem Bild zu sehen sind. Und zugleich – und das macht eben ein Buch aus, ein Buch besteht ja nicht nur aus dem naiven Staunen – zugleich, wenn man etwas schreiben will, muss man sich die ganzen Dinge ja auch anlesen und studieren und sich beschäftigen damit, um vielleicht diesen unmittelbaren Eindruck zwar nicht ganz wegzuwischen, aber ihn zu grundieren auch durch Information, durch Lektüren. Insofern ist es beides, es ist niemals nur der erste Eindruck.
von Billerbeck: Das können die Leser jetzt alles nachvollziehen, wenn sie sich das Buch ansehen von Navid Kermani, "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum", das jetzt erscheint bei C.H. Beck, 304 Seiten hat das. Seien Sie neugierig, und Danke an Navid Kermani für das Gespräch!
Kermani: Bitteschön.