Navid Kermani zur Situation der SPD

"Als Kitt für die Gesellschaft extrem notwendig"

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani in seinem Büro.
Leidenschaft und Ideen für eine bessere Welt von morgen, fordert der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani von der SPD. © dpa
Navid Kermani im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke |
Die SPD müsse zügig über die "Kernaufgabe der Sozialdemokratie" diskutieren, fordert Schriftsteller Navid Kermani. Dass die Partei mit Martin Schulz und Sigmar Gabriel auf zwei leidenschaftliche Politiker verzichte, bedauert er.
Letztendlich sei es die Angst vor Neuwahlen und einem desaströsen SPD-Wahlergebnis gewesen: Dies habe die Mehrheit der Sozialdemokraten für eine Große Koalition stimmen lassen, glaubt der Schriftsteller Navid Kermani.
Schließlich habe es auf der Hand gelegen, dass die SPD "in ihrer jetzigen Verfassung" bei Neuwahlen mit einem "noch, noch schlimmeren Ergebnis bestraft" worden wäre, möglicherweise "hinter der AfD" gelegen hätte. Es seien also vermutlich "eher pragmatische Beweggründe" gewesen, "die zu dieser Entscheidung geführt haben".

Keine wirkliche Perspektive

"Das Land wird weiter regiert und man darf das auch nicht dramatisieren." Eine wirkliche Perspektive für das Land sehe Kermani in der derzeitigen politischen Situation allerdings nicht: "Vermutlich werden die Ränder weiter wachsen, auch rechts."
Vor allem die Situation der SPD beunruhige ihn, sagt Kermani, der als einer der führenden Intellektuellen des Landes gilt. Die Partei müsse "zwei verschiedene Ziele ins Auge nehmen".
Zum einen sehe die SPD sich als eine internationale, pro-europäisch ausgerichtete Partei, die damit jungen Menschen anspreche. Gleichzeitig sei sie die einzige Partei, außer der AfD, die aufgrund ihrer Mitgliederstruktur und ihrer Sprache diejenigen ansprechen kann, "die vor genau dieser Internationalisierung" und "Überfremdung" Angst haben.
"Ob nun berechtigt oder nicht. Aber es sind vor allem diese Milieus, die die Last tragen müssen, wenn dieses Land Flüchtlinge aufnimmt. Die Last wird ja nicht in den reichen Vorstädten getragen, sondern in den Innenstädten."

"Die Gesellschaft verliert als Ganzes"

Die SPD stehe nun vor dem Dilemma, "dass sie versuchen muss, beides in den Blick zu nehmen. Und ich glaube, sie könnte es auch. Sie wäre als Kit für die Gesellschaft extrem notwendig und auch wichtig. Das heißt, wenn sie noch schwächer wird, verliert die Gesellschaft als Ganzes."
Deswegen müsse die Partei nun zügig mit einem Diskurs über die "Kernaufgabe der Sozialdemokratie" beginnen. Diese Debatte werde bislang "noch gar nicht geführt".
Die CDU sei immer eine Regierungspartei gewesen. "Der Kitt, der sie zusammenhält, ist der Wunsch zu regieren." Die SPD dagegen eine Programmpartei. "Und wenn man da nicht brennt, wenn man da nicht Ideen hat, wie die Welt von Morgen besser aussehen könnte, dann verliert die SPD."
Dass die Partei mit Martin Schulz und Sigmar Gabriel auf zwei Politiker verzichte, die "eine Menge Leidenschaft in die Politik getragen haben", empfindet Kermani als Fehler. "Das finde ich schon bedauerlich, wenn Sigmar Gabriel aufhören soll."
(lk)
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