Nazi-Propaganda auf Arabisch
In ägyptischen, palästinensischen oder syrischen Medien stößt man heute schnell auf antijüdische Karikaturen und Hassfilme, die an die Propaganda der Nationalsozialisten erinnern. Kein Zufall, denn in den 30er und 40er Jahren wurde von Berlin aus auch auf Arabisch antisemitische Agitation verbreitet.
"Tötet die Juden, die Euer Vermögen an sich gerissen haben und einen Anschlag auf Eure Sicherheit planen. Araber Syriens, des Irak und Palästinas, worauf wartet Ihr? Die Juden haben vor, Eure Frauen zu schänden, Eure Kinder umzubringen und Euch zu vernichten. Nach der muslimischen Religion ist die Verteidigung Eures Lebens eine Pflicht. Tötet die Juden, steckt ihren Besitz in Brand, zerstört ihre Geschäfte. Eure einzige Hoffnung auf Rettung ist die Vernichtung der Juden, ehe sie Euch vernichten."
7. Juli 1942. Der deutsche Auslandsrundfunk ruft zum Dschihad auf – Höhepunkt einer groß angelegten Hetzkampagne. Sechs Jahre lang, von 1939 bis 1945, wird aus der Reichshauptstadt Berlin antisemitische Propaganda verbreitet - auf Arabisch und Persisch. Geschichtsprofessor Jeffrey Herf von der Universität Maryland hat den Hintergrund der Radio-Agitation erforscht:
"Die Deutschen haben versucht, den Krieg in Nordafrika zu gewinnen. Und sie hofften, sie könnten Kollaborateure finden in Nordafrika, wie sie Kollaborateure in Osteuropa gefunden haben. Sie hofften, Sabotage, Spionage, Unterstützung unter den Arabern zu bekommen."
"Aus dem Führerhauptquartier, 30. Oktober. Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: In Nordafrika bombardierten deutsche Kampfflugzeuge einen britischen Flugplatz und Hafengebiete im Nildelta."
Eine Wochenschausendung aus den 40er Jahren zeigt, wie das NS-Regime seinen Krieg durch Propaganda in Deutschland flankiert. Wichtiger ist aber die Auslands-Propaganda. Die Araber sollen gegen die Briten in Ägypten, Irak und Palästina putschen. Der Hamburger Antisemitismus-Experte Matthias Küntzel erklärt, was die ideologische Verbindung zwischen Berlin und Kairo werden sollte: der Antisemitismus.
"Man versuchte eben über den Judenhass, die Araber an das Deutsche Reich zu binden."
Die meisten Araber und auch Perser sind zu jener Zeit Analphabeten. Zudem ist gedruckte Agitation teuer und in den britischen Einflussgebieten nur schwer unter die Leute zu bringen. So setzen die Nationalsozialisten auf ein billiges, schnelles und weitreichendes Medium: das Radio.
"Achtung, Achtung! Hier ist Berlin, Königs Wusterhausen und der deutsche Kurzwellensender!"
Der deutsche Auslandsrundfunk existiert bereits seit 1929. Er hatte seinen Sitz in Zeesen, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, südlich von Berlin. Der "Weltrundfunksender Zeesen" wird von den Nationalsozialisten technisch aufgerüstet. "Unser Fernkampfgeschütz im Äther" lobt Propagandaminister Joseph Goebbels den Kurzwellen-Sender.
Eine der wichtigsten Hörfunk-Redaktionen ist seit 1939 die rund 80-köpfige Orientredaktion. Sie bereitet speziell für Araber, Türken, Perser und Inder Hetzmaterial auf. Allerdings wird die nationalsozialistische Rassentheorie nicht eins zu eins übersetzt und über den Äther gejagt. Antisemitismus-Experte Küntzel hat herausgefunden, dass Untermenschen-Parolen beim Auslandsfunk die Ausnahme waren:
"Man hat die Erfahrung gemacht, dass man in der arabischen Welt, aber auch in Iran, mit der Rassentheorie nicht weit kam. Das war ein europäisches Konstrukt. Das hing ja mit Darwin, Sozialdarwinismus und diesen Punkten zusammen. Und man hat festgestellt, dass man einen ganz speziellen Zugang braucht, um wirklich den europäischen Judenhass in diese islamische Welt zu transferieren. Und der Zugang, das Türchen, das man da aufgemacht hat, das war die Religion. Man hat dort gesagt, dass Mohammed gegen die Juden gekämpft hat und dass Hitler dies heute auch tut."
Bei Radio Zeesen arbeiten Propagandisten, die den Koran für ihre Zwecke ausschlachten. Im Koran gibt es durchaus einzelne antijüdische Verse. Doch diese Textpassagen führen bis in die 30er Jahre kaum zu praktischer Judenfeindschaft. Erst die Nationalsozialisten reißen die Textstellen aus dem Zusammenhang und bauschen sie im großen Stil für ihre Hasstiraden auf. So zitiert der Kurzwellensender 1944 auf Arabisch aus Sure 62:
"Sag: Ihr, die Ihr dem Judentum angehört! Wenn Ihr behauptet, daß Ihr, im Gegensatz zu den anderen Menschen, Freunde Allahs seid, dann wünscht Euch doch den Tod herbei, wenn anders Ihr die Wahrheit sagt! Allah weiß über die Frevler Bescheid. Der Tod, vor dem Ihr flieht, wird Euch auf jeden Fall einholen."
Die braunen Medienmacher beschwören einen angeblichen Konflikt, den es zuvor nie so gegeben hat. In fingierten Berichten und in Kommentaren wiegeln sie auf:
"Feindschaft zwischen Arabern und Juden hat immer geherrscht, seit alter Zeit. Doch hat sie sich seit dem Erscheinen des Islams verschärft. Im Islam entdeckten die Juden eine Gefahr für ihren Glauben. Sie bekämpften den Propheten und seine Anhänger, und als sie feststellen mußten, daß die Muslime an Stärke gewannen, begannen sie zu intrigieren. Sie unternahmen sogar Anschläge auf den Propheten selbst."
Die Auslandspropaganda stellt sich ganz auf die islamische Zielgruppe ein: Sie verzichtet auf innerdeutsche "Untermenschen"-Parolen. Und sie schneidert ihre Hassbotschaften auf die einzelnen Kulturkreise zu. Etwa auf den Iran, der seit 1941 von Briten und Sowjets besetzt ist.
So berücksichtigt Radio Zeesen, dass in Persien seit jeher viele Schiiten leben – im Gegensatz zum sunnitisch-arabischen Ägypten. Nach den Recherchen von Matthias Küntzel bezieht sich das persische Zeesen-Programm etwa auf den 12. Imam:
"Der 12. Imam ist eine Art schiitischer Messias. Und man hat damals gesagt: Wenn jemand so vom Kriegsglück verfolgt wird wie Adolf Hitler, dann muss er wohl der 12. Imam sein, derjenige, der auswählt ist, die Welt zu befreien. Also diese Art von Gerüchten, dass Hitler eigentlich ein Mohammedaner sei, dass er eigentlich mit einer grünen Schärpe geboren sei, dass er das Bild von Ali, den die Schiiten verehren, immer bei sich trage. Solche Gerüchte griffen um sich, in einer ganz anderen Weise – viel mythologischer, als es in der arabischen Welt war. "
Radio Zeesen argumentiert nicht nur religiös. Der Nazi-Hörfunk verbreitet auch alte Stereotypen. Juden sind feige und geizig – verkündet der Funk. Gleichzeitig werden Moslems als "mutig" und "kriegerisch" dargestellt. Das Bizarre: Innerhalb Deutschlands diskriminiert man - gemäß Rassepropaganda – alle "Nichtarier". Nach außen hin beschwören die NSDAP-Strategen aber angebliche Gemeinsamkeiten der Deutschen mit den Arabern.
Jeffrey Herf: "Sie waren, wie die Nazis gesagt haben, Judengegner. Sie waren gegen die Demokratie. Sie waren gegen eine pluralistische Gesellschaft. Sie waren für Ordnung und Stärke auch. Sie haben ein ganz traditionelles Verständnis von Männern und Frauen. Die Botschaft war, dass die Verbindung zwischen nationalsozialistischem Deutschland und den Arabern war nicht nur ein instrumentaler Bund, das war nicht nur: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Es war viel weiter. Es gab eine ideologische Gemeinsamkeit."
Jeffrey Herf von der Universität Maryland hat umfangreiches Radio-Zeesen-Material unter die Lupe genommen. Nach seinen Recherchen geht es Hitler bei der Kurzwellen-Agitation nicht nur um einen militärisch wichtigen Pakt mit den Moslems. Sondern auch um die physische Vernichtung aller Juden:
"Die Radiosendungen waren Teil eines Versuchs, den Holocaust von Europa nach dem Nahen Osten zu exportieren."
"Deutschland hat hinsichtlich der Juden Sondergesetze erlassen. Die Juden leben separiert. Sie haben ihre eigenen Restaurants und Kneipen, die andere nicht betreten dürfen. Man mag sagen, dass die Deutschen die Juden streng behandeln, doch muss zugegeben werden, dass Deutschland ihnen den gebührenden Platz zuweist. Die Araber sind auf dem Wege, die jüdische Bedrohung zu beseitigen. Wie groß auch die Hindernisse sein mögen, wie lange es auch dauern mag, die Araber werden ihr Ziel erreichen. Radio Zeesen, 19. Mai 1943."
Die Araber sollen den Judenmord selbst in die Hand nehmen in ihrer jeweiligen Region. Erst recht seit dem gescheiterten Afrikafeldzug. Die Deutschen haben 1942 Ägypten und Palästina nicht erobern können. Somit können sie auch nicht die dortigen Juden - wie ursprünglich geplant – durch eine extra SS-Einsatzgruppe ausrotten. Die Nationalsozialisten locken die Araber zu einem gemeinsamen Kampf. Berlin verspricht dabei, das britische Kolonialreich zu stürzen und einen jüdischen Staat in Palästina zu verhindern. Ideologische Munition für radikale muslimische Kreise in Kairo und Jerusalem.
Jeffrey Herf: "Sie hofften, dass wenn die Nazis den Krieg gewinnen könnten, dann würde Kolonialismus zerstört in der Region und sie würden frei."
Die deutschen Judenverfolger konnten mit Resonanz rechnen – vor allem in Palästina. Seit 1936 wird die Region vom "Arabischen Aufstand" erschüttert – der als Generalstreik gegen jüdische Einwanderung und britische Besatzung begonnen hat.
Die radikale Moslembruderschaft unterstützt die Revolten, indem sie in Ägypten zum Boykott jüdischer Geschäfte aufruft. Quellen belegen, dass NS-Deutschland die erstarkenden Muslimbrüder heimlich finanziell unterstützt.
"Der Führer empfängt den Großmufti von Jerusalem, einen der einflussreichsten des arabischen Nationalismus. Wegen seiner nationalen Haltung verfolgten ihn die Engländer erbittert und setzten auf seinen Kopf einen Preis von 25.000 Pfund aus. Auf abenteuerlichen Wegen gelangte er über Italien nach Deutschland."
Deutsche Wochenschau, 1941. In der Reichshauptstadt wird Mohammed Amin al-Husseini empfangen, der Führer des Arabischen Aufstandes - ein radikaler Prediger, der sich Großmufti von Jerusalem nennt. Al-Husseini hat bereits in den 20er Jahren antijüdische Ausschreitungen in der heiligen Stadt angezettelt. Noch vor den Nazis bedient sich der Geistliche des Korans, um Propagandamaterial gegen Juden zu finden. Der Mufti missbraucht etwa Hadithe, also Berichte über das Leben von Mohammed.
Matthias Küntzel: "Es gibt zum Beispiel ein Hadith, demnach soll Mohammed gesagt haben, dass die Befreiung der Menschheit beginnt mit der Vernichtung aller Juden. Und dann wird also gesagt, dass die Juden sich hinter einem Baum und hinter einem Stein verstecken würden. Und der Baum und der Stein erklärt: Hinter mir versteckt sich ein Jude, komm, töte ihn Moslem. Also so furchtbare Hadithe.
Das ist bekannt, dass die in der arabischen, in der islamischen Welt zum Beispiel im 19. Jahrhundert keine Rolle gespielt hatten. Bis 1937 zum ersten Mal in einer Rede des Mufti von Jerusalem diese Verbindung hergestellt worden ist zwischen dieser Art mohammedanischer Überlieferung und dem Antisemitismus Europas und des Dritten Reiches."
Die deutschen und die arabischen Antisemiten arbeiten Hand in Hand. Hitlers Hörfunk greift auf, was der Großmufti bereits vorgemacht hat. Auch das Propagandamedium, das deutsche Kurzwellenradio, hat nach Auskunft des Experten Küntzel ein ausländisches Vorbild:
"Diese Radiopropaganda war eine Erfindung Mussolinis. Also er begann bereits 34 mit Radio Bari. Das war also ein faschistischer Sender, der von Bari aus in die arabische Welt sendete. Und Mussolini hatte den Trick, den Kaffeehäusern – also den Orten, wo man das Radio dann auch hörte, jeweils ein Radioapparat zu schenken. Das war was Besonderes. Bislang gab es nur Grammofone, immer die gleiche alte Leier. Jetzt gab es ein Radio plötzlich! Das war eine Sensation.
Aber dieses Radio von Mussolini hatte einen kleinen Nachteil: Man konnte nur einen einzigen Sender drauf einstellen. Das bedeutet, dass man mit jedem Schluck schwarzen Kaffee auch ein bisschen faschistische Propaganda in sich hineinbrachte. Und auf diese Vorarbeit konnten dann die Nazis ab 1939 aufbauen."
Radio Zeesen sendet zwar extrem plakative Propaganda – wie Originalton-Ansprachen des Jerusalemer Großmuftis. Dennoch sind die Sendungen handwerklich aufwendig und professionell gestaltet.
Matthias Küntzel: "Ich meine erstens, dass man sich sehr bemüht hat um hervorragende Sprecher. Man hat zweitens passende arabische Musik ausgesucht. Man hat drittens entsprechende Koransuren rezitiert im Radio. Das heißt, es war schon eine sehr perfekte Show, die dort veranstaltet worden ist, um die analphabetischen Massen in der islamischen Welt an Nazideutschland zu binden."
Selbst die folkloristische Musik transportiert NS-Ideologie. Ein maghrebinisches Lied handelt etwa davon, dass eine Mutter weint, weil ihr Sohn in den Kampf zieht.
Dieser Mitschnitt aus den 40er Jahren ist eine der wenigen erhaltenden Tonaufzeichnungen des NS-Auslandsfunks. Das zuständige Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main verfügt lediglich über zwei Original-Aufnahmen der Orientredaktion: ein Band mit maghrebinischen Liedern sowie ein Band mit arabischen Nachrichten. Mehr gibt es nicht zu hören. Denn viele Radiosendungen wurden live ausgestrahlt und nicht mitgeschnitten.
Allerdings fand man vor sieben Jahren in einem Keller des Rundfunkarchivs zufällig 40 alte Tonbänder, die offenbar aus dem Zeesen-Bestand sind. Laut Beschriftung der Bandkartons handelt es sich um 33 Musikaufnahmen und sieben Wortaufzeichnungen – arabische Nachrichten und Suren. Das Problem: Die Bänder sind nichts abspielbar, weil sich längst Moder und Schimmel breitgemacht haben.
Jörg Wyrschowy: "Das kann sehr gefährlich sein. Sie kennen möglicherweise den Fluch des Pharao (schmunzelt). Die Schimmel der Aspagillusgruppe, Aspagillus niger, Aspagillus flavus, sind sehr aggressiv und greifen vor allem die Atemwege an. Darum haben wir Proben zu einem Institut geschickt, das untersuchen soll, ob das Abspielen der Bänder – sofern das überhaupt noch möglich ist, mit Gesundheitsgefährdungen verbunden sind."
Jörg Wyrschowy ist Archivar im Deutschen Rundfunkarchiv, kurz DRA. Der Ton-Fachmann hofft, dass das Analyse-Institut die fast 70 Jahre alten Aufzeichnungen retten kann:
"Das wäre ein sehr großer Wert, denn mir ist im Moment nicht bekannt, dass es dieses Material sonst noch irgendwo als Originaltondokument gibt. Und insofern wäre das schon ein sensationeller Fund."
Woher wissen die Experten nun, was damals aus von der Spree in den Nahen Osten gesendet wurde? Sie wissen es von den Mitschriften der Alliierten. Die US-Botschaft in Kairo etwa transkribierte damals die Hasstiraden des Nazifunks.
Jeffrey Herf: "Die Radiosendungen aus Berlin waren wichtig, weil die Amerikaner und die Engländer wollten wissen, wie haben die Nazis versucht, die Araber als Kollaborateure zu bekommen. Wir müssen das verstehen, weil wir werden auch political warfare, politische Kriegsführung, machen hier im Nahen Osten. Wie können wir die Araber und die Muslime für unsere Seite gewinnen? Um das zu tun, müssen wir verstehen, was die Nazis tun."
Professor Jeffrey Herf hat als erster Forscher die Mitschriften der US-Botschaft genau untersucht und die Ergebnisse kürzlich in seinem englischsprachigen Buch "Nazi Propaganda for the Arab World" veröffentlicht. Antisemitismus-Experte und Publizist Matthias Küntzel hat zudem im deutschen Bundesarchiv einen Teil der persischsprachigen Sendeprotokolle aufgestöbert. Ein historischer Schatz: Denn aufgrund dieses Materials lässt sich abschätzen, welche Wirkung Radio Zeesen in der islamischen Welt hatte. Historiker Herf bilanziert, dass die Nazi-Ideologie lange Zeit nachwirkte:
"Nach dem Krieg, in 46, 47, gab es eine antisemitische Welle im Nahen Osten. Und die Muslimenbruderschaft in Ägypten war sehr aktiv. Die Argumente gegen die Juden in der Muslimenbruderschaft waren ähnlich zu was man über das Radio während des Krieges hören konnte."
Nach Auskunft der Fachleute finden sich bis heute in der islamischen Welt alte Stereotype des NS-Antisemitismus. Hamas und Hisbollah verwendeten gern Parolen aus der Reichshauptstadt.
Matthias Küntzel: "Das lässt sich daran erkennen, dass die islamische Welt die Vorstellung, Juden könnten den Globus beherrschen, überhaupt nicht kannte. Weil diese Vorstellung der jüdischen Allmacht in der christlichen Tradition entstanden ist. Der Ursprungsmythos ist, dass die Juden so stark gewesen seien, dass sie sogar Gottes einzigen Sohn töten konnten. Das war der Ausgangspunkt."
Ob Juden als Welteroberer, ob Juden als Muslim-Mörder, ob Juden als Wucherer – die Antisemiten der islamischen Welt sprechen bis heute auch die Sprache des Reichsrundfunks.
Jeffrey Herf: "Damals die Radiosendungen produzierten einen Baustein des gegenwärtigen radikalen Islamismus."
7. Juli 1942. Der deutsche Auslandsrundfunk ruft zum Dschihad auf – Höhepunkt einer groß angelegten Hetzkampagne. Sechs Jahre lang, von 1939 bis 1945, wird aus der Reichshauptstadt Berlin antisemitische Propaganda verbreitet - auf Arabisch und Persisch. Geschichtsprofessor Jeffrey Herf von der Universität Maryland hat den Hintergrund der Radio-Agitation erforscht:
"Die Deutschen haben versucht, den Krieg in Nordafrika zu gewinnen. Und sie hofften, sie könnten Kollaborateure finden in Nordafrika, wie sie Kollaborateure in Osteuropa gefunden haben. Sie hofften, Sabotage, Spionage, Unterstützung unter den Arabern zu bekommen."
"Aus dem Führerhauptquartier, 30. Oktober. Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: In Nordafrika bombardierten deutsche Kampfflugzeuge einen britischen Flugplatz und Hafengebiete im Nildelta."
Eine Wochenschausendung aus den 40er Jahren zeigt, wie das NS-Regime seinen Krieg durch Propaganda in Deutschland flankiert. Wichtiger ist aber die Auslands-Propaganda. Die Araber sollen gegen die Briten in Ägypten, Irak und Palästina putschen. Der Hamburger Antisemitismus-Experte Matthias Küntzel erklärt, was die ideologische Verbindung zwischen Berlin und Kairo werden sollte: der Antisemitismus.
"Man versuchte eben über den Judenhass, die Araber an das Deutsche Reich zu binden."
Die meisten Araber und auch Perser sind zu jener Zeit Analphabeten. Zudem ist gedruckte Agitation teuer und in den britischen Einflussgebieten nur schwer unter die Leute zu bringen. So setzen die Nationalsozialisten auf ein billiges, schnelles und weitreichendes Medium: das Radio.
"Achtung, Achtung! Hier ist Berlin, Königs Wusterhausen und der deutsche Kurzwellensender!"
Der deutsche Auslandsrundfunk existiert bereits seit 1929. Er hatte seinen Sitz in Zeesen, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen, südlich von Berlin. Der "Weltrundfunksender Zeesen" wird von den Nationalsozialisten technisch aufgerüstet. "Unser Fernkampfgeschütz im Äther" lobt Propagandaminister Joseph Goebbels den Kurzwellen-Sender.
Eine der wichtigsten Hörfunk-Redaktionen ist seit 1939 die rund 80-köpfige Orientredaktion. Sie bereitet speziell für Araber, Türken, Perser und Inder Hetzmaterial auf. Allerdings wird die nationalsozialistische Rassentheorie nicht eins zu eins übersetzt und über den Äther gejagt. Antisemitismus-Experte Küntzel hat herausgefunden, dass Untermenschen-Parolen beim Auslandsfunk die Ausnahme waren:
"Man hat die Erfahrung gemacht, dass man in der arabischen Welt, aber auch in Iran, mit der Rassentheorie nicht weit kam. Das war ein europäisches Konstrukt. Das hing ja mit Darwin, Sozialdarwinismus und diesen Punkten zusammen. Und man hat festgestellt, dass man einen ganz speziellen Zugang braucht, um wirklich den europäischen Judenhass in diese islamische Welt zu transferieren. Und der Zugang, das Türchen, das man da aufgemacht hat, das war die Religion. Man hat dort gesagt, dass Mohammed gegen die Juden gekämpft hat und dass Hitler dies heute auch tut."
Bei Radio Zeesen arbeiten Propagandisten, die den Koran für ihre Zwecke ausschlachten. Im Koran gibt es durchaus einzelne antijüdische Verse. Doch diese Textpassagen führen bis in die 30er Jahre kaum zu praktischer Judenfeindschaft. Erst die Nationalsozialisten reißen die Textstellen aus dem Zusammenhang und bauschen sie im großen Stil für ihre Hasstiraden auf. So zitiert der Kurzwellensender 1944 auf Arabisch aus Sure 62:
"Sag: Ihr, die Ihr dem Judentum angehört! Wenn Ihr behauptet, daß Ihr, im Gegensatz zu den anderen Menschen, Freunde Allahs seid, dann wünscht Euch doch den Tod herbei, wenn anders Ihr die Wahrheit sagt! Allah weiß über die Frevler Bescheid. Der Tod, vor dem Ihr flieht, wird Euch auf jeden Fall einholen."
Die braunen Medienmacher beschwören einen angeblichen Konflikt, den es zuvor nie so gegeben hat. In fingierten Berichten und in Kommentaren wiegeln sie auf:
"Feindschaft zwischen Arabern und Juden hat immer geherrscht, seit alter Zeit. Doch hat sie sich seit dem Erscheinen des Islams verschärft. Im Islam entdeckten die Juden eine Gefahr für ihren Glauben. Sie bekämpften den Propheten und seine Anhänger, und als sie feststellen mußten, daß die Muslime an Stärke gewannen, begannen sie zu intrigieren. Sie unternahmen sogar Anschläge auf den Propheten selbst."
Die Auslandspropaganda stellt sich ganz auf die islamische Zielgruppe ein: Sie verzichtet auf innerdeutsche "Untermenschen"-Parolen. Und sie schneidert ihre Hassbotschaften auf die einzelnen Kulturkreise zu. Etwa auf den Iran, der seit 1941 von Briten und Sowjets besetzt ist.
So berücksichtigt Radio Zeesen, dass in Persien seit jeher viele Schiiten leben – im Gegensatz zum sunnitisch-arabischen Ägypten. Nach den Recherchen von Matthias Küntzel bezieht sich das persische Zeesen-Programm etwa auf den 12. Imam:
"Der 12. Imam ist eine Art schiitischer Messias. Und man hat damals gesagt: Wenn jemand so vom Kriegsglück verfolgt wird wie Adolf Hitler, dann muss er wohl der 12. Imam sein, derjenige, der auswählt ist, die Welt zu befreien. Also diese Art von Gerüchten, dass Hitler eigentlich ein Mohammedaner sei, dass er eigentlich mit einer grünen Schärpe geboren sei, dass er das Bild von Ali, den die Schiiten verehren, immer bei sich trage. Solche Gerüchte griffen um sich, in einer ganz anderen Weise – viel mythologischer, als es in der arabischen Welt war. "
Radio Zeesen argumentiert nicht nur religiös. Der Nazi-Hörfunk verbreitet auch alte Stereotypen. Juden sind feige und geizig – verkündet der Funk. Gleichzeitig werden Moslems als "mutig" und "kriegerisch" dargestellt. Das Bizarre: Innerhalb Deutschlands diskriminiert man - gemäß Rassepropaganda – alle "Nichtarier". Nach außen hin beschwören die NSDAP-Strategen aber angebliche Gemeinsamkeiten der Deutschen mit den Arabern.
Jeffrey Herf: "Sie waren, wie die Nazis gesagt haben, Judengegner. Sie waren gegen die Demokratie. Sie waren gegen eine pluralistische Gesellschaft. Sie waren für Ordnung und Stärke auch. Sie haben ein ganz traditionelles Verständnis von Männern und Frauen. Die Botschaft war, dass die Verbindung zwischen nationalsozialistischem Deutschland und den Arabern war nicht nur ein instrumentaler Bund, das war nicht nur: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Es war viel weiter. Es gab eine ideologische Gemeinsamkeit."
Jeffrey Herf von der Universität Maryland hat umfangreiches Radio-Zeesen-Material unter die Lupe genommen. Nach seinen Recherchen geht es Hitler bei der Kurzwellen-Agitation nicht nur um einen militärisch wichtigen Pakt mit den Moslems. Sondern auch um die physische Vernichtung aller Juden:
"Die Radiosendungen waren Teil eines Versuchs, den Holocaust von Europa nach dem Nahen Osten zu exportieren."
"Deutschland hat hinsichtlich der Juden Sondergesetze erlassen. Die Juden leben separiert. Sie haben ihre eigenen Restaurants und Kneipen, die andere nicht betreten dürfen. Man mag sagen, dass die Deutschen die Juden streng behandeln, doch muss zugegeben werden, dass Deutschland ihnen den gebührenden Platz zuweist. Die Araber sind auf dem Wege, die jüdische Bedrohung zu beseitigen. Wie groß auch die Hindernisse sein mögen, wie lange es auch dauern mag, die Araber werden ihr Ziel erreichen. Radio Zeesen, 19. Mai 1943."
Die Araber sollen den Judenmord selbst in die Hand nehmen in ihrer jeweiligen Region. Erst recht seit dem gescheiterten Afrikafeldzug. Die Deutschen haben 1942 Ägypten und Palästina nicht erobern können. Somit können sie auch nicht die dortigen Juden - wie ursprünglich geplant – durch eine extra SS-Einsatzgruppe ausrotten. Die Nationalsozialisten locken die Araber zu einem gemeinsamen Kampf. Berlin verspricht dabei, das britische Kolonialreich zu stürzen und einen jüdischen Staat in Palästina zu verhindern. Ideologische Munition für radikale muslimische Kreise in Kairo und Jerusalem.
Jeffrey Herf: "Sie hofften, dass wenn die Nazis den Krieg gewinnen könnten, dann würde Kolonialismus zerstört in der Region und sie würden frei."
Die deutschen Judenverfolger konnten mit Resonanz rechnen – vor allem in Palästina. Seit 1936 wird die Region vom "Arabischen Aufstand" erschüttert – der als Generalstreik gegen jüdische Einwanderung und britische Besatzung begonnen hat.
Die radikale Moslembruderschaft unterstützt die Revolten, indem sie in Ägypten zum Boykott jüdischer Geschäfte aufruft. Quellen belegen, dass NS-Deutschland die erstarkenden Muslimbrüder heimlich finanziell unterstützt.
"Der Führer empfängt den Großmufti von Jerusalem, einen der einflussreichsten des arabischen Nationalismus. Wegen seiner nationalen Haltung verfolgten ihn die Engländer erbittert und setzten auf seinen Kopf einen Preis von 25.000 Pfund aus. Auf abenteuerlichen Wegen gelangte er über Italien nach Deutschland."
Deutsche Wochenschau, 1941. In der Reichshauptstadt wird Mohammed Amin al-Husseini empfangen, der Führer des Arabischen Aufstandes - ein radikaler Prediger, der sich Großmufti von Jerusalem nennt. Al-Husseini hat bereits in den 20er Jahren antijüdische Ausschreitungen in der heiligen Stadt angezettelt. Noch vor den Nazis bedient sich der Geistliche des Korans, um Propagandamaterial gegen Juden zu finden. Der Mufti missbraucht etwa Hadithe, also Berichte über das Leben von Mohammed.
Matthias Küntzel: "Es gibt zum Beispiel ein Hadith, demnach soll Mohammed gesagt haben, dass die Befreiung der Menschheit beginnt mit der Vernichtung aller Juden. Und dann wird also gesagt, dass die Juden sich hinter einem Baum und hinter einem Stein verstecken würden. Und der Baum und der Stein erklärt: Hinter mir versteckt sich ein Jude, komm, töte ihn Moslem. Also so furchtbare Hadithe.
Das ist bekannt, dass die in der arabischen, in der islamischen Welt zum Beispiel im 19. Jahrhundert keine Rolle gespielt hatten. Bis 1937 zum ersten Mal in einer Rede des Mufti von Jerusalem diese Verbindung hergestellt worden ist zwischen dieser Art mohammedanischer Überlieferung und dem Antisemitismus Europas und des Dritten Reiches."
Die deutschen und die arabischen Antisemiten arbeiten Hand in Hand. Hitlers Hörfunk greift auf, was der Großmufti bereits vorgemacht hat. Auch das Propagandamedium, das deutsche Kurzwellenradio, hat nach Auskunft des Experten Küntzel ein ausländisches Vorbild:
"Diese Radiopropaganda war eine Erfindung Mussolinis. Also er begann bereits 34 mit Radio Bari. Das war also ein faschistischer Sender, der von Bari aus in die arabische Welt sendete. Und Mussolini hatte den Trick, den Kaffeehäusern – also den Orten, wo man das Radio dann auch hörte, jeweils ein Radioapparat zu schenken. Das war was Besonderes. Bislang gab es nur Grammofone, immer die gleiche alte Leier. Jetzt gab es ein Radio plötzlich! Das war eine Sensation.
Aber dieses Radio von Mussolini hatte einen kleinen Nachteil: Man konnte nur einen einzigen Sender drauf einstellen. Das bedeutet, dass man mit jedem Schluck schwarzen Kaffee auch ein bisschen faschistische Propaganda in sich hineinbrachte. Und auf diese Vorarbeit konnten dann die Nazis ab 1939 aufbauen."
Radio Zeesen sendet zwar extrem plakative Propaganda – wie Originalton-Ansprachen des Jerusalemer Großmuftis. Dennoch sind die Sendungen handwerklich aufwendig und professionell gestaltet.
Matthias Küntzel: "Ich meine erstens, dass man sich sehr bemüht hat um hervorragende Sprecher. Man hat zweitens passende arabische Musik ausgesucht. Man hat drittens entsprechende Koransuren rezitiert im Radio. Das heißt, es war schon eine sehr perfekte Show, die dort veranstaltet worden ist, um die analphabetischen Massen in der islamischen Welt an Nazideutschland zu binden."
Selbst die folkloristische Musik transportiert NS-Ideologie. Ein maghrebinisches Lied handelt etwa davon, dass eine Mutter weint, weil ihr Sohn in den Kampf zieht.
Dieser Mitschnitt aus den 40er Jahren ist eine der wenigen erhaltenden Tonaufzeichnungen des NS-Auslandsfunks. Das zuständige Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main verfügt lediglich über zwei Original-Aufnahmen der Orientredaktion: ein Band mit maghrebinischen Liedern sowie ein Band mit arabischen Nachrichten. Mehr gibt es nicht zu hören. Denn viele Radiosendungen wurden live ausgestrahlt und nicht mitgeschnitten.
Allerdings fand man vor sieben Jahren in einem Keller des Rundfunkarchivs zufällig 40 alte Tonbänder, die offenbar aus dem Zeesen-Bestand sind. Laut Beschriftung der Bandkartons handelt es sich um 33 Musikaufnahmen und sieben Wortaufzeichnungen – arabische Nachrichten und Suren. Das Problem: Die Bänder sind nichts abspielbar, weil sich längst Moder und Schimmel breitgemacht haben.
Jörg Wyrschowy: "Das kann sehr gefährlich sein. Sie kennen möglicherweise den Fluch des Pharao (schmunzelt). Die Schimmel der Aspagillusgruppe, Aspagillus niger, Aspagillus flavus, sind sehr aggressiv und greifen vor allem die Atemwege an. Darum haben wir Proben zu einem Institut geschickt, das untersuchen soll, ob das Abspielen der Bänder – sofern das überhaupt noch möglich ist, mit Gesundheitsgefährdungen verbunden sind."
Jörg Wyrschowy ist Archivar im Deutschen Rundfunkarchiv, kurz DRA. Der Ton-Fachmann hofft, dass das Analyse-Institut die fast 70 Jahre alten Aufzeichnungen retten kann:
"Das wäre ein sehr großer Wert, denn mir ist im Moment nicht bekannt, dass es dieses Material sonst noch irgendwo als Originaltondokument gibt. Und insofern wäre das schon ein sensationeller Fund."
Woher wissen die Experten nun, was damals aus von der Spree in den Nahen Osten gesendet wurde? Sie wissen es von den Mitschriften der Alliierten. Die US-Botschaft in Kairo etwa transkribierte damals die Hasstiraden des Nazifunks.
Jeffrey Herf: "Die Radiosendungen aus Berlin waren wichtig, weil die Amerikaner und die Engländer wollten wissen, wie haben die Nazis versucht, die Araber als Kollaborateure zu bekommen. Wir müssen das verstehen, weil wir werden auch political warfare, politische Kriegsführung, machen hier im Nahen Osten. Wie können wir die Araber und die Muslime für unsere Seite gewinnen? Um das zu tun, müssen wir verstehen, was die Nazis tun."
Professor Jeffrey Herf hat als erster Forscher die Mitschriften der US-Botschaft genau untersucht und die Ergebnisse kürzlich in seinem englischsprachigen Buch "Nazi Propaganda for the Arab World" veröffentlicht. Antisemitismus-Experte und Publizist Matthias Küntzel hat zudem im deutschen Bundesarchiv einen Teil der persischsprachigen Sendeprotokolle aufgestöbert. Ein historischer Schatz: Denn aufgrund dieses Materials lässt sich abschätzen, welche Wirkung Radio Zeesen in der islamischen Welt hatte. Historiker Herf bilanziert, dass die Nazi-Ideologie lange Zeit nachwirkte:
"Nach dem Krieg, in 46, 47, gab es eine antisemitische Welle im Nahen Osten. Und die Muslimenbruderschaft in Ägypten war sehr aktiv. Die Argumente gegen die Juden in der Muslimenbruderschaft waren ähnlich zu was man über das Radio während des Krieges hören konnte."
Nach Auskunft der Fachleute finden sich bis heute in der islamischen Welt alte Stereotype des NS-Antisemitismus. Hamas und Hisbollah verwendeten gern Parolen aus der Reichshauptstadt.
Matthias Küntzel: "Das lässt sich daran erkennen, dass die islamische Welt die Vorstellung, Juden könnten den Globus beherrschen, überhaupt nicht kannte. Weil diese Vorstellung der jüdischen Allmacht in der christlichen Tradition entstanden ist. Der Ursprungsmythos ist, dass die Juden so stark gewesen seien, dass sie sogar Gottes einzigen Sohn töten konnten. Das war der Ausgangspunkt."
Ob Juden als Welteroberer, ob Juden als Muslim-Mörder, ob Juden als Wucherer – die Antisemiten der islamischen Welt sprechen bis heute auch die Sprache des Reichsrundfunks.
Jeffrey Herf: "Damals die Radiosendungen produzierten einen Baustein des gegenwärtigen radikalen Islamismus."