Nazigegner als Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft
Hatte der politische Widerstand im NS-Deutschland eine Bedeutung für die Verfassung und für die gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik? Der Kreisauer Kreis aus Protestanten, Katholiken und demokratischen Sozialisten hat wichtige Impulse gegeben, meint der Sozialethiker Günter Brakelmann.
Hat der politische Widerstand im NS-Deutschland eine Bedeutung für die Verfassung und für die innere gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gehabt? So wird häufig gefragt. Die Urteile fallen sehr verschieden aus.
Der Kreisauer Widerstandskreis, der aus Protestanten, Katholiken und demokratischen Sozialisten bestand, hat durchaus Impulse gegeben. Manches, was später entschieden wurde, findet sich bereits in seinen Papieren.
Das letzte und entscheidende Dokument der Kreisauer – mit dem Titel: "Grundsätze für eine Neuordnung" – stammt vom 9. August 1943. Keiner konnte damals wissen, wann und wie der Krieg zu Ende ging. In jedem Fall ging man davon aus, dass Deutschland ein internationales Rechtssubjekt bleiben würde.
Und dieses Deutschland müsse wieder ein Rechtsstaat werden, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleiste und die "unverletzliche Würde der menschlichen Person" anerkenne. Was später in den Grundrechtsartikeln 1 bis 20 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland steht, also die Geltung von personalen Grund- und Menschenrechten, war für die Kreisauer der normative Kern der Neuordnung.
Hinzu kamen für sie die sozialen Grundrechte: das "Recht auf Arbeit und Eigentum", die "Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüber hinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang" sowie die Beteiligung an der Selbstverwaltung.
Diese sozialen Grundrechte haben in der Verfassung der BRD nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Formen von Mitberatung, Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer sind erst später entwickelt worden. Der Gedanke einer basisdemokratischen Ordnung im Betrieb, im Unternehmen und in der Wirtschaft kam kaum zum Zuge.
Die "Beteiligung der Belegschaft an der Betriebsführung und an den Betriebsergebnissen" - Stichworte: Mitbestimmung und Mitbeteiligung - hatte in der Nachkriegszeit keine Chance, ebenso nicht die paritätische Besetzung von Organen der Gewerbe- und Landwirtschaftskammern.
Von ordnungspolitischer Bedeutung werden sollte der Passus: "Die Reichsregierung sieht die Grundlage des Wiederaufbaus der Wirtschaft in einem geordneten Leistungswettbewerb, der sich im Rahmen staatlicher Wirtschaftsführung vollzieht und hinsichtlich seiner Methoden ständiger staatlicher Aufsicht unterliegt." Das ist nichts anderes als eine frühe Beschreibung des Modells der späteren "Sozialen Marktwirtschaft".
Das Konzept der Kreisauer hatte also einen begrenzten Einfluss auf die Nachkriegsordnung, konnte nie die Strukturen des "neuen Deutschland" im Ganzen normieren und bestimmen.
Völlig ohne Bedeutung sind ihre Vorstellungen über den Reichsaufbau, über die Gemeinde, den Kreis und das Land geblieben. Der Grundgedanke war ein Aufbau des Gemeinwesens von unten nach oben. Die politische Willensbildung sollte sich zunächst in dem Rahmen vollziehen, der für den Einzelnen überschaubar war. Nach dem Delegationsprinzip sollten die Organe des Reiches von den Kreis- und den Ländervertretungen gebildet werden. Verhindert werden sollte dadurch ein zentralistischer Reichsaufbau.
Dieses basisdemokratisch-föderalistische Konzept hatte nach 1945 überhaupt keine Chancen. Es hätte zum Ende von Parteien und zentralistisch aufgebauten Gewerkschaften geführt.
Es bleibt bei einem doppelten Befund: der normative Kerngedanke der Freiheit und Würde der Person hat bundesrepublikanische Geschichte mitgestaltet ebenso wie Elemente der Wirtschaftsordnung in die spätere Gesetzgebung Eingang gefunden haben. Eine basisdemokratische politische Ordnung hatte keine Chancen gegenüber dem Modell der repräsentativen Demokratie.
Günter Brakelmann, geboren 1931 in Bochum, studierte evangelische Theologie, Sozialwissenschaften und neuzeitliche Geschichte in Bethel, Tübingen und Münster, arbeitete als Pfarrer in Siegen, als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Münster und war Direktor der Evangelische Akademie in Berlin. Seit 1972 ist er Professor für Christliche Sozialethik an der Ruhr-Universität Bochum. Nach seiner Emeritierung beschäftigte er sich vor allem mit der Geschichte des Protestantismus, des Antisemitismus und des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Der Kreisauer Widerstandskreis, der aus Protestanten, Katholiken und demokratischen Sozialisten bestand, hat durchaus Impulse gegeben. Manches, was später entschieden wurde, findet sich bereits in seinen Papieren.
Das letzte und entscheidende Dokument der Kreisauer – mit dem Titel: "Grundsätze für eine Neuordnung" – stammt vom 9. August 1943. Keiner konnte damals wissen, wann und wie der Krieg zu Ende ging. In jedem Fall ging man davon aus, dass Deutschland ein internationales Rechtssubjekt bleiben würde.
Und dieses Deutschland müsse wieder ein Rechtsstaat werden, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleiste und die "unverletzliche Würde der menschlichen Person" anerkenne. Was später in den Grundrechtsartikeln 1 bis 20 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland steht, also die Geltung von personalen Grund- und Menschenrechten, war für die Kreisauer der normative Kern der Neuordnung.
Hinzu kamen für sie die sozialen Grundrechte: das "Recht auf Arbeit und Eigentum", die "Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüber hinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang" sowie die Beteiligung an der Selbstverwaltung.
Diese sozialen Grundrechte haben in der Verfassung der BRD nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Formen von Mitberatung, Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer sind erst später entwickelt worden. Der Gedanke einer basisdemokratischen Ordnung im Betrieb, im Unternehmen und in der Wirtschaft kam kaum zum Zuge.
Die "Beteiligung der Belegschaft an der Betriebsführung und an den Betriebsergebnissen" - Stichworte: Mitbestimmung und Mitbeteiligung - hatte in der Nachkriegszeit keine Chance, ebenso nicht die paritätische Besetzung von Organen der Gewerbe- und Landwirtschaftskammern.
Von ordnungspolitischer Bedeutung werden sollte der Passus: "Die Reichsregierung sieht die Grundlage des Wiederaufbaus der Wirtschaft in einem geordneten Leistungswettbewerb, der sich im Rahmen staatlicher Wirtschaftsführung vollzieht und hinsichtlich seiner Methoden ständiger staatlicher Aufsicht unterliegt." Das ist nichts anderes als eine frühe Beschreibung des Modells der späteren "Sozialen Marktwirtschaft".
Das Konzept der Kreisauer hatte also einen begrenzten Einfluss auf die Nachkriegsordnung, konnte nie die Strukturen des "neuen Deutschland" im Ganzen normieren und bestimmen.
Völlig ohne Bedeutung sind ihre Vorstellungen über den Reichsaufbau, über die Gemeinde, den Kreis und das Land geblieben. Der Grundgedanke war ein Aufbau des Gemeinwesens von unten nach oben. Die politische Willensbildung sollte sich zunächst in dem Rahmen vollziehen, der für den Einzelnen überschaubar war. Nach dem Delegationsprinzip sollten die Organe des Reiches von den Kreis- und den Ländervertretungen gebildet werden. Verhindert werden sollte dadurch ein zentralistischer Reichsaufbau.
Dieses basisdemokratisch-föderalistische Konzept hatte nach 1945 überhaupt keine Chancen. Es hätte zum Ende von Parteien und zentralistisch aufgebauten Gewerkschaften geführt.
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