Neapel-Krimi

Abgründe einer mediterranen Metropole

Neapel
Blick auf Neapel © dpa / picture alliance / Andreas Engelhardt
Von Maike Albath |
Maurizio De Giovanni, einst Bankangestellter und Wasserballspieler, ist nur aus Zufall Schriftsteller geworden. Sein neuer Krimi über einen unheimlichen Mord in Neapel ist ein glänzendes Beispiel für gute Genre-Literatur.
Dieser Mann versteht sein Handwerk, kennt die Krimi-Tradition und deutet sie für seine Zwecke um: Maurizio De Giovanni. Der 1958 in Neapel geborene ehemalige Bankangestellte und Wasserballspieler zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten Vertretern des Genres. Sein schriftstellerisches Talent kam eher durch Zufall ans Licht: Freunde meldeten ihn 2005 aus Jux zu einem Literatur-Wettbewerb an.
Um nicht als Spielverderber da zu stehen, machte De Giovanni mit, belegte den ersten Platz und bekam sofort einen Verlagsvertrag. Es folgte eine inzwischen auf neun Bände angewachsene Krimireihe, deren Protagonist im Neapel der 30er-Jahre unbeirrbar Verbrechen aufklärt und sich nicht um politische Empfindlichkeiten schert.
Im vergangenen Jahr erfand De Giovanni dann eine zweite Serie, die in der Gegenwart angesiedelt ist. Inspektor Lojacono, aus Sizilien nach Neapel strafversetzt und von Frau und Tochter verlassen, ist den neuen Kollegen nicht sonderlich sympathisch und wird für die unbeliebten Nachtdienste abgestellt. Er vertreibt sich gerade die Zeit mit einem Computerspiel, als ein Notruf eingeht. Ein unbescholtener junger Mann wurde kaltblütig im Hof eines Wohnhauses exekutiert, augenscheinlich ohne Motiv.
Taschentücher mit Tränensekret
Lojacono nimmt den Tatort in Augenschein, stellt Indizien sicher und entwickelt eine Theorie. Die Lokalpresse tauft den unheimlichen Täter "das Krokodil", weil er unweit der Leiche Taschentücher mit Tränensekret zurückließ, so als habe er sein Opfer beweint. Während Lojaconos Vorgesetzter von einem Verbrechen unter verfeindeten Camorra-Clans ausgeht, deutet der Sizilianer die Zeichen anders.
Als kurze Zeit später ein zweiter Mord nach ähnlichem Muster passiert, bestätigen sich seine Vermutungen. Was seinem Chef gar nicht gefällt, imponiert der Staatsanwältin Piras. Sie gibt dem Sizilianer freie Hand. Und Lojacono führt Befragungen durch, entdeckt überraschende Zusammenhänge und bedenkt den menschlichen Faktor.
In kurzen, pointierten Kapiteln mit zahlreichen Perspektivwechseln treibt De Giovanni sein Personal durch die wimmelnde Stadt. Die Geschichte dreht sich ein paar Mal, und wie man es von einem guten Krimi erwarten darf, ist die Auflösung überraschend. Der Autor bietet ein vielfältiges Personal und eröffnet einen Einblick in die unterschiedlichsten Milieus. Dabei kommt ihm die soziale Struktur der Stadt zugute: In ein und demselben Haus prallen Unterschicht und Großbürgertum oder Adel aufeinander. Vor allem aber gelingt De Giovanni eine schillernde Ermittlerfigur.
Gespür für die Abgründe
Lojacono ist sinister und besitzt gleichzeitig etwas Unbeugsames. Er durchschaut die Verhältnisse in Neapel, weil er von außen kommt und als Süditaliener dennoch ein Gespür für die Abgründe der mediterranen Metropole entwickelt. Inspiriert von Ed Mc Bains Serie 87es Polizeirevier vermittelt De Giovanni in seiner Lojacono-Reihe, wie eine Gruppe von Polizisten in einem depravierten Viertel eine Reihe von Grundregeln zu etablieren versucht. Das Krokodil ist ein glänzendes Beispiel für gute Genre-Literatur.

Maurizio De Giovanni: Das Krokodil
Aus dem Italienischen übersetzt von Susanne Van Volxem
Kindler Verlag, Hamburg 2014
336 Seiten, 19, 95 Euro