Über die Faltkunst Erwin Hapkes
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Kurz nach der Beerdigung seines Onkels machte Matthias Burchardt eine erstaunliche Entdeckung in dessen Elternhaus: eine riesige Sammlung von Faltkunstwerken, präsentiert wie in einem Museum. Ein unglaubliches Werk, dessen Erforschung gerade erst begonnen hat.
"Das ist der absolute Gegenpol zum momentanen, medialisierten, beschleunigten, ökonomisierten Welt." Das sagt der Bildungsphilosoph Matthias Burchardt über das unglaubliche Kunstwerk seines Onkels: unzählige Figuren aus Papier und Metall, die der promovierte Biologe Erwin Hapke in seinem Elternhaus in Unna faltete und aufbewahrte. Insekten, Vögel, Menschengruppen, Architekturmodelle von weltbekannten Bauwerken bis hin zu riesigen Metallskulpturen, die unter dem Dach des Hauses zu finden sind.
"Das erstaunliche war, dass es wie ein Museum arrangiert war, das nur darauf wartete, von Besuchern entdeckt zu werden", sagt Matthias Burchardt.
Der Neffe und Erbe beschreibt den Entdeckungsmoment kurz nach der Beerdigung seines Onkels so: "Es war einerseits kalt und andererseits blühte da das pralle Leben in Form von Papierfaltfiguren, und ich war wirklich überwältigt von den vielen Farben und Formen – und irgendwie mischte sich in meine Trauer dann ein unglaubliches Gefühl von Anerkennung und aber auch Tragik im Hinblick auf dieses Werk, was da gewachsen war, unabhängig vom Blick der Öffentlichkeit, ohne dass der Schöpfer irgendwie Anerkennung dafür kriegen konnte."
In den 80er- und 90er-Jahren hatte er noch Kontakt zu Erwin Hapke. Er wusste, dass der sich mit Papierfalten beschäftigt. In seiner Beurteilung dessen war er hin und her gerissen zwischen, "das ist jetzt ein Spleen, und andererseits dachte ich aber auch, das ist ein wissenschaftliches Projekt", beschreibt Matthias Burchardt seine Gedanken. "Er sagte damals, ich werde mal probieren, das, was Kant für die Philosophie geschaffen hat, nämlich die Grundlagen allen möglichen Denkens zu beschreiben, ein Raster für alles mögliche Falten zu schaffen." Dementsprechend seien in der Sammlung auch keine identischen Objekte zu finden.
Das Insektenzimmer sei "der Wahnsinn. Das ist für mich der Höhepunkt der ganzen Ausstellung, wo man dann einfach kapitulieren muss, weil man weder mit Begriffen, noch mit Fotos oder Berichten dessen habhaft wird." Eine gewaltige Tischfläche mit Gottesanbeterinnen, Käfern, Schmetterlingen und allem, was man sich vorstellen könne an Insekten.
"Das sind Etüden in Wahrnehmung"
"Er hat es sehr schön arrangiert, in dem er seine Objekte kombiniert hat mit biologischen Lehrbüchern, mit Darstellungen aus Kinderbüchern, ich würde sagen, das sind Etüden in Wahrnehmung, das wir wirklich gezwungen sind, uns einzulassen auf ein Werk, und in der Betrachtung des Besonderen in der Vielheit, eigentlich zurückzufinden zu einer Muße des Sehens."
Der Onkel ist inzwischen drei Jahre tot. Was macht man mit dieser fragilen Sammlung, wie kann man ihr Überleben sichern? Matthias Burchardt träumt davon, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, "aber es ist völlig klar, jeder Besuch ist eine Gefährdung dieses gewaltigen Kunstwerkes." Bislang finanziert die Familie den Unterhalt des Hauses selbst. Eine Papierrestauratorin, die dafür sorgt, dass die Werke "nicht den Bach hinunter gehen", arbeitet ehrenamtlich. Mittelfristig muss sich eine andere Lösung finden, doch die ist bislang nicht in Sicht.
(cwu)