Négar Djavadi: „Die Arena“

Eskalation in Paris

07:23 Minuten
Négar Djavadis Buch „Die Arena“: Das Cover zeigt einen Straßenzug von Paris - im Hintergrund ist der Eiffelturm zu erkennen
© C.H. Beck

Négar Djavadi

Übersetzt von Michaela Meßner

Die ArenaC. H. Beck, München 2022

464 Seiten

26,00 Euro

Von Dirk Fuhrig |
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Unruhen, Hetze im Netz und Kontrollverlust der staatlichen Institutionen: Die iranisch-französische Autorin Négar Djavadi zeichnet ein düsteres Bild Frankreichs. Ihr Roman beruht auf den tatsächlichen Ungleichheiten, die unser Nachbarland prägen.
Aufstand im Problemviertel: Négar Djavadi siedelt ihren Roman im Nordosten der französischen Hauptstadt an. Die traditionelle Arbeitergegend rund um den Boulevard de la Villette ist durchschnitten von Wohnblocks aus den 70er-Jahren, in denen trotz Gentrifizierung immer noch viele Ärmere wohnen. Drogendealer liefern sich Revierkämpfe, Flüchtlinge campieren am Rande des Canal St. Martin, und islamistische Verführer versuchen, die perspektivlosen migrantischen Jugendlichen zu indoktrinieren.

Ein Video entzündet Proteste

Négar Djavadis Protagonist Benjamin Grossmann ist Mitte 30, kleidungsmäßig stets auf den Punkt gestylt, durch allmorgendliches Jogging figürlich top in Form und Frankreich-Chef einer amerikanischen Serien-Produktions-Firma. Ein klassischer Aufsteiger, der in dieser Gegend im 20. Arrondissement aufgewachsen ist, aber nun in begehrter Lage unweit der Sorbonne residiert.
Nach einem Besuch bei seiner Mutter kommt ihm sein Mobiltelefon abhanden. Er verdächtigt einen jungen Mann im Kapuzenshirt, verfolgt ihn und rammt ihm den Ellbogen in die Magengrube. Das Handy bleibt verschwunden.
Am nächsten Morgen finden drei Polizisten den jungen Mann tot am Ufer des Kanals. Eine Beamtin tritt ihn etwas unsanft, weil sie vermutet, er dämmere im Alkohol- oder Drogenrausch dahin. Dabei wird sie von einer Jugendlichen gefilmt, die das Video, verkürzt auf die dadurch besonders brutal wirkende Sequenz mit dem Fußtritt, im Internet postet.

Es kommt zum Aufstand

Die Sache geht viral. Aktivisten-Gruppen, ohnehin stets auf der Suche nach vermeintlichem polizeilichem Fehlverhalten, eskalieren den Vorfall, bis es zu einem regelrechten Aufstand im Quartier kommt, mit Explosionen, Toten und Verletzen.
Djavadi zeigt zahlreiche Konflikte in der französischen Gesellschaft auf. Ein Paris, das immer reicher wird, die sozial Schwachen aber vernachlässigt. In dem einzelne Fälle von „Polizeigewalt“ medial skandalisiert werden, bei gleichzeitiger Unmöglichkeit für die Beamten, bestimmte Viertel zu betreten, ohne selbst angegriffen zu werden.

Fast wie ein Drehbuch

Négar Djavadi wurde 1969 im Iran geboren. Ihre Eltern verließen mit ihr das Land, um sich vor der „islamischen Revolution“ in Sicherheit zu bringen. Seit sie 11 Jahre alt ist, lebt sie in Paris.
Über die Flucht hat sie vor einigen Jahren den beeindruckende Roman „Desorientale“ geschrieben. Vor allem aber ist sie eine bekannte und erfolgreiche Drehbuchautorin, was man auch dem Stil und dem Sujet von „Die Arena“ anmerkt.

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Die Welt des Serien-Produzenten Benjamin Grossman - prächtige Büros, internationale Vernetzung, enormer Arbeitsdruck - beschreibt sie äußerst plastisch und wirklichkeitsnah. Aber auch der Aufbau des Romans, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt, erinnert an die Cliffhanger-Dramaturgie einer Fernsehserie.
Und natürlich werden die Aufstände am Ende zum Material für eine weitere TV-Serie.
Man mag einzelne Wendungen etwas konstruiert und allzu vordergründig empfinden. Aber Djavadi gelingt es, enorm viele Bereiche anzusprechen, in denen Frankreich vor fast unlösbaren Problemen steht: die sozialen Gegensätze, der Einfluss der islamistischen Prediger, der schwindende Respekt vor staatlichen Institutionen, die zunehmende Gewalt. Und die Hilflosigkeit der meisten Politiker, diese Gemengelage noch einigermaßen zu beherrschen.

Mitreißender Roman

Die Stärke dieses Krimis ist es, dass es - mit Ausnahme der radikalen Islamisten - keine eindeutig Bösen oder Guten gibt. Négar Djavadi klagt nicht „die Politik“ oder „die Elite“ als allein Verantwortliche für die Misere an - wie das manche ihrer „engagierten“ französischen Schriftstellerkollegen gerne tun.
Vielmehr zeigt sie vor allem die menschliche Ebene: das Leid der Mütter der Drogendealer, die Angst der Polizistin, der Druck der Gruppe, dem die Jugendlichen ausgesetzt sind.
Nicht zuletzt ist „Die Arena“ ein Roman, der sich mit der Macht der Hashtags und viralen Videos auseinandersetzt, mit der immer stärkeren Manipulation von Bildern in den sozialen Medien und den Gefahren durch die schnelle Emotionalisierung, „Shitstorms“ und gesteuerte Kampagnen - ein mitreißend geschriebener Roman mitten aus unserer Gegenwart.
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