Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft zu Köln. Sie studierte Kognitions- und Neurowissenschaften, unter anderem an der McGill University (Kanada), und promovierte am University College London (England) in Neurowissenschaften. 2016 gründete sie das Online-Magazin Perspective Daily für Konstruktiven Journalismus mit. Ihr erstes Buch "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" (München: Droemer 2019) ist ein Spiegel-Bestseller.
Stoppt die Überflutung!
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Täglich prasseln schlechte Nachrichten auf uns ein. Selbst Menschen, die sich eigentlich für Neuigkeiten interessieren, können die Dauerbefeuerung kaum noch ertragen. Sind sie nur zu empfindlich? Nein, meint die Neurowissenschaftlerin Maren Urner.
Hand aufs Hirn: Wer hatte nicht schon mal das Gefühl, gegen all die Probleme auf der Welt nichts ausrichten zu können? Vielleicht, weil "die da oben sowieso machen, was sie wollen", vielleicht, um sich nicht die Stimmung verderben zu lassen, vielleicht, um Gefühle von Stress, Angst und Hoffnungslosigkeit zu vermeiden.
Denn genau die hinterlässt die tägliche Ladung Nachrichten in jedem noch so hart gesottenen Medienkonsumenten irgendwann. Dabei geht es der Menschheit so gut wie nie zuvor. Schauen wir zum Beispiel auf Langzeitdaten zu Kindersterblichkeit, Lebenserwartung und Alphabetisierung, zeigen sie alle eine positive Entwicklung.
Nachrichtenflut bedingt ein negatives Weltbild und macht krank
Trotzdem will uns gefühlt irgendwie jeder an den Kragen – und zwar im Sekundentakt und überall. Denn die Zeiten, in denen die Nachrichten "vorbei" waren, die Zeitung ausgelesen und der Fernseher ein Standbild zeigte, sind passé. Heute können wir uns 24 Stunden am Tag informieren, am besten gleichzeitig auf mindestens drei Kanälen und Geräten. Kopfhörer im Ohr, ein Bildschirm auf dem Schreibtisch, den anderen als Smartphone in der linken Hand. So sind wir in Zeiten von dauerhafter Erreichbarkeit und Digitalisierung also bestens informiert – oder?
Nein! Im Gegenteil. Der Negativfokus der Berichterstattung hinterlässt nicht nur ein zu negatives Weltbild, das nicht der Realität entspricht, sondern wirkt sich auch auf unsere Psyche und damit unsere Gesundheit aus. Die digitale Dauerbeschallung aus Messerstechern, Machetenmännern und Massensterben stressen Hirn und Körper – teilweise stärker, als selbst bei einem schrecklichen Ereignis vor Ort zu sein.
Gestresste Hirne brauchen Medienhygiene
Die akute Stressreaktion ist natürlich und Teil unseres einprogrammierten Willens zu überleben. Deshalb rannten unsere Vorfahren weg, wenn der Säbelzahntiger vor der Höhle stand. In digitaler Form steht der nun aber dauerhaft vor uns, und wir sind chronisch gestresst. Das wiederum fördert sämtliche "Zivilisationskrankheiten".
Über gesundheitliche Folgen hinaus, ist unsere Medienkultur auch ein gesellschaftliches Problem. Warum? Weil uns die Erkenntnisse aus der Psychologie verraten, dass gestresste und hoffnungslose Menschen nicht handlungsfähig sind. Eine gelebte Demokratie braucht aber genau solche Menschen. Die offensichtliche Frage lautet also: Wie kommen wir da wieder raus? Indem wir beginnen, unseren Medienkonsum zu hinterfragen. Und dann eine Medienhygiene etablieren. So wie wir täglich Zähne putzen, regelmäßig duschen und nichts essen, was länger als drei Sekunden auf dem Boden lag, können wir uns fragen: Welche Informationen sind wirklich wichtig – und gesund – für das sensibelste Organ, unser Gehirn?
Konstruktiver Journalismus statt Negativberichterstattung
Dabei geht es nicht um Ausblenden, Filterblasen und Schönfärberei, sondern um die Frage: Was hilft mir wirklich, die Welt und die Herausforderungen unserer Zeit besser zu verstehen? Schließlich stehen wir vor enormen Herausforderungen – allen voran der menschgemachte Klimawandel. Umso wichtiger ist es, dass wir viel mehr über Lösungsansätze und Ziele sprechen. Egal, ob in den Parlamenten, am Frühstückstisch oder eben in den Medien.
Mit Blick auf letztere bietet der Konstruktive Journalismus einen wichtigen Ansatz. Zentral ist dabei die Frage: Was jetzt? Wie kann es weitergehen? So liefert er nicht nur ein vollständigeres – und damit realistischeres – Weltbild, sondern stimuliert auch konstruktive Diskurse. Weil er sich nicht in Sündenbocksuchen und Zynismus verliert, sondern lösungs- und zukunftsorientiert auf die Herausforderungen unserer Zeit schaut.
Das geht nur, wenn wir anerkennen, dass es keine objektive Berichterstattung geben kann, weil auch Journalisten Menschen sind. Menschen mit Erfahrungen und Werten. Klar gibt es Fakten, Zahlen und Tatsachen. Aber: Ohne Wertung und Zusammenhang sind sie bedeutungslos. Und weil uns eben nicht jeder immer und überall an den Kragen will, können wir uns öfter mal ganz subjektiv fragen: Was jetzt? - Egal, ob es um die Zukunft der Mobilität oder unsere eigene Medienhygiene geht.