Néhémy Pierre-Dahomey: "Die Zurückgekehrten"
Aus dem Französischen von Lena Müller
Edition Nautilus, Hamburg 2018
160 Seiten, 19,90 Euro
Im Irrsinnskosmos von Port-au-Prince
Bellis Flucht in die USA scheitert, sie muss zurück ins Elend von Port-au-Prince: Mit Néhémy Pierre-Dahomeys Debütroman "Die Zurückgekehrten" beweist die haitianische Literatur erneut ihre Fähigkeit, Chaos und Armut furchtlos ins Auge zu blicken.
Haiti ist das ärmste Eiland der westlichen Hemisphäre, ein Ort von Armut, Terror und politischer Gewalt, aufgrund jahrzehntelanger Abholzungen immer wieder heimgesucht von Überschwemmungen und Erdbeben, die unzählige Menschenleben fordern – von Aids und Cholera-Epidemien ganz zu schweigen.
Die List des Katastrophen ist unvollständig und doch, Haiti ist gleichzeitig auch dies: Geburtsland von Schriftstellern, deren Romane die Insel zumindest vor dem Schicksal bewahren, sprachlos zu bleiben im Angesicht all des Schrecklichen.
Mehr noch: Autoren wie Jacques Roumain und Stéphen Alexis inspirierten Graham Greene zu seinem berühmten Haiti-Roman "Die Stunde der Komödianten", und die sinnliche Prosa eines René Depestre ließ den Exil-Tschechen Milan Kundera die faszinierende, hochkomplexe Welt einer maritimen "Créolité" entdecken, in der sich seit jeher Wirklichkeiten überlappen. Anna Seghers Novellensammlung "Drei Frauen aus Haiti" verdankt sich ebenfalls der Beschäftigung mit dieser Insel. Nicht zu vergessen Dany Laferrière, inzwischen in Montreal lebend und seit 2013 Mitglied der renommierten Académie française, dem in seinen Büchern eine Wiederbelebung des intellektuellen Schelmenromans gelingt.
Die Freudlosigkeit könnte nicht größer sein
Und nun, als Jüngster in dieser beeindruckenden Tradition: Néhémy Pierre-Dahomey, geboren 1986 in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince, seit 2013 in Paris lebend. Sein in Frankreich preisgekrönter Roman "Die Zurückgekehrten" ist ebenfalls ein Augenöffner. Die Geschichte von Belli, deren Bootsflucht in die Vereinigten Staaten scheitert, worauf sie in das haitianische Elend zurückkehren muss, ist nämlich gleichzeitig ein wütender und sprachmächtiger Abgesang auf das westliche Stereotyp von der allzeit vitalen und feierfreudigen Karibik. Denn: Ja, es wird gesoffen und dauerkopuliert in Bellis Welt, doch könnte die Freudlosigkeit nicht größer sein. Pierre-Dahomey ist Menschenkenner genug, all diese verfehlten Existenzen nicht nur "dem System" anzulasten, doch verzichtet er auf jegliche moralisierende Didaktik.
Zwei ihrer Töchter gibt Belli schließlich zur Auslandsadoption frei – für ihren Sohn hatte die Gangsterkarriere bereits mit einem frühen Tod geendet. Jahre später begibt sich die Mutter auf eine hilflose Suche nach ihren entschwundenen Kindern und wird inmitten des allgemeinen gesellschaftlichen Verfalls schließlich wahnsinnig, als man ihr ein französisches Besuchsvisum verweigert.
Ein wütendes, sprachmächtiges Debüt
Bei einer kurzen Rückkehr nach Haiti gelingt es zwar der mittlerweile fast erwachsenen Tochter Belial, ihre Mutter wiederzufinden im Irrsinnskosmos von Port-au-Prince, doch wird es kein Happy End geben. "Ein Hauch Leben, eine Spur Freude breitete sich in ihr aus", heißt es über die frühzeitig gealterte Frau, die nun jedoch bereits an der Schwelle des Todes steht.
Keinerlei billigen Trost hält der junge haitianische Schriftsteller in seinem Roman bereit – seine Art der Renitenz, eine Literatur ohne Lüge:
"Einige Stunden später reiste Belial ab, ohne den weiteren Verlauf der Geschichte zu kennen. In den Warteschlangen am Flughafen sah das Mädchen ein unglückliches Ende voraus. Als sie im Flugzeug saß, presste es die Stirn an das Bullauge, um seine Tränen zu verstecken. Instinktiv wusste Belial, dass ihre einstige Mutter gegangen war und die Streitereien der Lebenden den Lebenden überlassen hatte."