Neil Harbisson - der Cyborg
Neil Harbisson hat es als Cyborg zu Berühmtheit geschafft: Seit sechs Jahren trägt der von Geburt an farbenblinde Künstler ein elektronisches Auge, dass Farben in Töne und Töne in Farben übersetzt. Die Beziehung zwischen Klang und Farben ist das Leitmotiv seiner Arbeit.
Am 20. Januar hat seine Performance "Das Geräusch des Orangenbaums" in Barcelona Premiere. Mit dem gemeinsam mit der Künstlerin Moon Ribas entwickelten Stück geht Neil Harbisson im nächsten Jahr auf Europatournee.
Julia Macher hat den Künstler in seiner Heimatstadt Mataró an der katalanischen Küste getroffen.
Wie eine Art Insektenfühler hängt das elektronische Auge vor Neil Harbissons Stirn. Es irritiert ungefähr fünf Minuten, dann fällt der Apparat dem Betrachter schon gar nicht mehr auf. Harbisson ist von Geburt an farbenblind, doch dank des elektronischen Auges kann er Farben hören: Ein Sensor erkennt die Frequenzen des Farbspektrums, übersetzt sie vierzig Oktaven tiefer, in den hörbaren Bereich, in Schallwellen: Leise, für Außenstehende kaum wahrnehmbar, summt ein Stirnband für Neil "blau", "rot", "grün".
Der schmächtige Mann, 28 Jahre alt, Augen blaugrau – also in etwa ein gestrichenes C –, Haar, kinnlang, dunkelblond – Tonlage Fis –, schiebt den Laptop auf dem Wohnzimmertisch beiseite und führt durch seine Privatgalerie: Im Treppenaufgang des kleinen Stadthauses in Mataró, das er mit Tante, Schwester und Kunst- und Lebensgefährtin Moon Ribas teilt, hängen sorgsam gerahmte Partituren. Darunter stehen Namen: Woody Allen, Nicole Kidman, Antoni Tàpies.
"Wenn ich das Gesicht von Menschen betrachte, höre ich unterschiedliche Töne. Ich höre die Farbe ihrer Haare, ihrer Augen, ihrer Lippen, ihrer Haut und schreibe die Noten auf eine Partitur. Von jedem Gesicht habe ich so einen Akkord. Es gibt hässliche Gesichter, die sehr harmonisch klingen und schöne Gesichter, die sehr disharmonisch klingen."
Ein harmonischer Prince Charles ...
..und eine unscheinbare Montserrat Caballé.
Neil zieht aus einem Stapel Acrylbilder eine quer gestreifte Leinwand hervor: Das Verfahren funktioniert natürlich auch umgekehrt.
"Das sind die ersten hundert Noten von Beethovens 'Für Elise'. "(summt)" Man sieht, dass das Stück ziemlich rosa, lila ist. Durch die Übersetzung erkennt man den Grundton, die Klangfarbe des Komponisten sehr gut - Mozart zum Beispiel ist gelb, weil er viel in G-Dur komponiert."
"Die Soundporträts sind sehr viel präziser als die Musikbilder, denn wenn ich Musik in Farbe übersetze, verwende ich ja meistens nur zwölf Farben, die Farben der zwölf Töne, die in den Kompositionen verwendet werden. Wenn ich ein Gesicht betrachte, höre ich dagegen 360 Farben."
Harbisson, Sohn eines katalanisch-irischen Lehrerpaars, hat ein feines musikalisches Gehör. Bereits mit elf komponierte er Klavierstücke, für das Instrument entschied er sich der schwarz-weißen Tasten wegen: seine Rebellion gegen die "Diktatur der Farben". Die Welt zwei Jahrzehnte nur schwarz-weiß-grau zu sehen war für ihn mehr ein soziales als persönliches Problem. Es fuchste ihn, mit Sätzen wie "Wir treffen uns vor dem rosa Haus" oder "Blau ist meine Lieblingsfarbe" nichts anfangen zu können. Das elektronische Auge, das er 2004 während seines Musikstudiums am südwestenglischen Dartington College of Arts gemeinsam mit einem Kybernetik-Professor entwickelte, hat seine Wahrnehmung radikal verändert:
"Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass es so viele Farben gibt. In allen Ecken des Zimmers habe ich Farben gefunden. Das war eine völlig andere Welt! Und ich entdecke ständig Neues. Früher sagten mir Leute, Städte seien 'grau'. Seit ich das elektronische Auge trage, weiß ich aber, dass das eine große Lüge ist. Die Städte sind eine wahre Farbexplosion, es gibt sehr viel mehr Farben dort als in der Natur."
Das sagt Neil und schiebt den Sensor über der Stirn auf die Seite, der ist keine Sehhilfe, sondern ein eigenständiges Sinnesorgan.
"Es geht nicht nur darum, Farben mit Tönen zu verbinden, sondern kreativ damit umzugehen und eben konstant Farben zu hören: Die Pieptöne im Radio um Punkt zwölf etwa sind türkis. Mein Staubsauger klingt rot, mein Kühlschrank lila, auch wenn er weiß ist."
Die Welt als Farb-Ton-Symphonie: Darüber hat der zurückhaltend-schüchterne Künstler auf Dutzenden Konferenzen berichtet, mit internationalen Künstlern gearbeitet – und klingt immer noch enthusiastisch. Dass der Apparat auf seinem Kopf außerhalb seiner Heimatstadt, wo er inzwischen mehr als Dreiviertel seines Lebens verbracht hat, Argwohn weckt, registriert er mit verwunderter Nonchalance:
"Dieses Wochenende in Paris etwa kam ein Polizist und hat angefangen auf das Auge zu tippen, einfach so. Cyborgs, also Menschen, die elektronische Geräte als Erweiterung ihres Körpers tragen, werden in unserer Gesellschaft gemobbt. Die Leute haben Angst, weil sie so etwas nicht kennen und greifen an: Vor allem Sicherheitspersonal und Polizisten!"
Einen Kampf gegen die Staatsgewalt gewonnen zu haben, freut ihn diebisch: Nach monatelangen Auseinandersetzungen durfte Neil Harbisson für ein hochoffizielles Passfoto mit selbstkreiierten Sinnesorgan posieren: als vermutlich erster Cyborg der Welt.
Julia Macher hat den Künstler in seiner Heimatstadt Mataró an der katalanischen Küste getroffen.
Wie eine Art Insektenfühler hängt das elektronische Auge vor Neil Harbissons Stirn. Es irritiert ungefähr fünf Minuten, dann fällt der Apparat dem Betrachter schon gar nicht mehr auf. Harbisson ist von Geburt an farbenblind, doch dank des elektronischen Auges kann er Farben hören: Ein Sensor erkennt die Frequenzen des Farbspektrums, übersetzt sie vierzig Oktaven tiefer, in den hörbaren Bereich, in Schallwellen: Leise, für Außenstehende kaum wahrnehmbar, summt ein Stirnband für Neil "blau", "rot", "grün".
Der schmächtige Mann, 28 Jahre alt, Augen blaugrau – also in etwa ein gestrichenes C –, Haar, kinnlang, dunkelblond – Tonlage Fis –, schiebt den Laptop auf dem Wohnzimmertisch beiseite und führt durch seine Privatgalerie: Im Treppenaufgang des kleinen Stadthauses in Mataró, das er mit Tante, Schwester und Kunst- und Lebensgefährtin Moon Ribas teilt, hängen sorgsam gerahmte Partituren. Darunter stehen Namen: Woody Allen, Nicole Kidman, Antoni Tàpies.
"Wenn ich das Gesicht von Menschen betrachte, höre ich unterschiedliche Töne. Ich höre die Farbe ihrer Haare, ihrer Augen, ihrer Lippen, ihrer Haut und schreibe die Noten auf eine Partitur. Von jedem Gesicht habe ich so einen Akkord. Es gibt hässliche Gesichter, die sehr harmonisch klingen und schöne Gesichter, die sehr disharmonisch klingen."
Ein harmonischer Prince Charles ...
..und eine unscheinbare Montserrat Caballé.
Neil zieht aus einem Stapel Acrylbilder eine quer gestreifte Leinwand hervor: Das Verfahren funktioniert natürlich auch umgekehrt.
"Das sind die ersten hundert Noten von Beethovens 'Für Elise'. "(summt)" Man sieht, dass das Stück ziemlich rosa, lila ist. Durch die Übersetzung erkennt man den Grundton, die Klangfarbe des Komponisten sehr gut - Mozart zum Beispiel ist gelb, weil er viel in G-Dur komponiert."
"Die Soundporträts sind sehr viel präziser als die Musikbilder, denn wenn ich Musik in Farbe übersetze, verwende ich ja meistens nur zwölf Farben, die Farben der zwölf Töne, die in den Kompositionen verwendet werden. Wenn ich ein Gesicht betrachte, höre ich dagegen 360 Farben."
Harbisson, Sohn eines katalanisch-irischen Lehrerpaars, hat ein feines musikalisches Gehör. Bereits mit elf komponierte er Klavierstücke, für das Instrument entschied er sich der schwarz-weißen Tasten wegen: seine Rebellion gegen die "Diktatur der Farben". Die Welt zwei Jahrzehnte nur schwarz-weiß-grau zu sehen war für ihn mehr ein soziales als persönliches Problem. Es fuchste ihn, mit Sätzen wie "Wir treffen uns vor dem rosa Haus" oder "Blau ist meine Lieblingsfarbe" nichts anfangen zu können. Das elektronische Auge, das er 2004 während seines Musikstudiums am südwestenglischen Dartington College of Arts gemeinsam mit einem Kybernetik-Professor entwickelte, hat seine Wahrnehmung radikal verändert:
"Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass es so viele Farben gibt. In allen Ecken des Zimmers habe ich Farben gefunden. Das war eine völlig andere Welt! Und ich entdecke ständig Neues. Früher sagten mir Leute, Städte seien 'grau'. Seit ich das elektronische Auge trage, weiß ich aber, dass das eine große Lüge ist. Die Städte sind eine wahre Farbexplosion, es gibt sehr viel mehr Farben dort als in der Natur."
Das sagt Neil und schiebt den Sensor über der Stirn auf die Seite, der ist keine Sehhilfe, sondern ein eigenständiges Sinnesorgan.
"Es geht nicht nur darum, Farben mit Tönen zu verbinden, sondern kreativ damit umzugehen und eben konstant Farben zu hören: Die Pieptöne im Radio um Punkt zwölf etwa sind türkis. Mein Staubsauger klingt rot, mein Kühlschrank lila, auch wenn er weiß ist."
Die Welt als Farb-Ton-Symphonie: Darüber hat der zurückhaltend-schüchterne Künstler auf Dutzenden Konferenzen berichtet, mit internationalen Künstlern gearbeitet – und klingt immer noch enthusiastisch. Dass der Apparat auf seinem Kopf außerhalb seiner Heimatstadt, wo er inzwischen mehr als Dreiviertel seines Lebens verbracht hat, Argwohn weckt, registriert er mit verwunderter Nonchalance:
"Dieses Wochenende in Paris etwa kam ein Polizist und hat angefangen auf das Auge zu tippen, einfach so. Cyborgs, also Menschen, die elektronische Geräte als Erweiterung ihres Körpers tragen, werden in unserer Gesellschaft gemobbt. Die Leute haben Angst, weil sie so etwas nicht kennen und greifen an: Vor allem Sicherheitspersonal und Polizisten!"
Einen Kampf gegen die Staatsgewalt gewonnen zu haben, freut ihn diebisch: Nach monatelangen Auseinandersetzungen durfte Neil Harbisson für ein hochoffizielles Passfoto mit selbstkreiierten Sinnesorgan posieren: als vermutlich erster Cyborg der Welt.