Nein heißt nein: "Wer das nicht verstanden hat, ist halt ein Täter"
Heute gibt es in Deutschland die ersten Slutwalks. Die Teilnehmerinnen versuchen, das Wort "Schlampe" positiv zu besetzen. Anne Wizorek, die den Berliner Marsch organisiert hat, sieht darin keinen Feminismus light.
Frank Meyer: "Wenn ihr keine Opfer sexueller Gewalt werden wollt, dann lauft nicht wie die Schlampen herum." Das hat ein kanadischer Polizist bei einem Vortrag Studentinnen empfohlen, und die waren daraufhin echt sauer, weil sie dachten: Das kann doch nicht wahr sein, dass wir als Frauen hier wieder die Schuld an sexueller Gewalt von Männern zugeschoben bekommen! Die Studentinnen haben deshalb einen Slutwalk organisiert, eine Schlampenprotestdemo, und diese Demos sind nun auch in Deutschland angekommen: Morgen soll es bundesweit Slutwalks geben. Den Berliner Slutwalk hat Anne Wizorek mitorganisiert, und sie ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen!
Anne Wizorek: Hallo!
Meyer: Von einer Slutwalk-Aktivistin habe ich gelesen, ihr gehe es darum, sie sagte: Ich will auch nachts nackt durch einen Park gehen können, ohne dass mich jemand belästigt. Geht es Ihnen darum im Prinzip?
Wizorek: Also mir persönlich jetzt weniger, aber ich glaube, das war die Frau, die das in London organisiert hat, und wenn man es drastisch herunterbricht, dann geht es schon auch darum. Es ist halt wirklich immer die Schuld bei den Tätern zu sehen und niemals bei den Betroffenen, egal was diese anhaben.
Meyer: Aber wenn man sich das vor Augen führt: Bei diesen Slutwalks ziehen sie halbnackt durch die Straßen, in Unterwäsche und so weiter, also aufreizend gekleidet, um gegen Vergewaltigung zu protestieren. Hat das nicht auch was Widersinniges?
Wizorek: Es gibt einen Bruchteil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die das auf diese Weise ausdrücken. Für mich hat das in dem Sinne mehr so einen performativen Charakter, wirklich auch, um dieses drastische Beispiel mit nachts nackt durch den Park zu laufen, sozusagen auch darzustellen. Aber das ist wirklich der geringste Anteil, und ansonsten zeichnet sich die Demo auch durch … es sieht vom Bild her aus wie jede andere Demo, und die Leute laufen da in Alltagsklamotten rum. Und die wichtigste Botschaft drückt sich tatsächlich über das aus, was sie auf den Plakaten stehen haben und was sie rufen.
Meyer: Und was steht auf den Plakaten?
Wizorek: "Whatever I wear, wherever I go, yes means yes and no means no", diese ganz einfache Botschaft, die es auch schon lange im Feminismus gibt, dass nein nein heißt, und wer das nicht verstanden hat, ist halt ein Täter.
Meyer: An diesem kleinen Teil, wie sie sagen, von dann tatsächlich als Sluts, als Schlampen gekleideten Frauen, entzündet sich aber auch immer wieder Kritik, auch von Feministinnen selber, die sagen: Wir protestieren immer dagegen, dass wir als Sexualobjekte dargestellt werden in der ganzen Werbewelt zum Beispiel – halbnackte Frauen an jeder Straßenecke –, und nun machen wir das selber! Nun gehen wir selber als Sexualobjekte gekleidet auf die Straße. Damit stellen wir uns doch selbst ein Bein!
Wizorek: Da würde ich widersprechen, weil der Slutwalk natürlich ein anderer Kontext ist, gerade mit dem politischen Hintergrund. Es ist eine politische Demo, und die Botschaft geht meines Erachtens dadurch auch nicht verloren. Und beim Berliner Team kann ich auf jeden Fall sagen, uns war es halt wichtig, gerade da den Schlampen-Begriff so zu sehen, dass es eher symbolisch steht für alle Mechanismen, die es innerhalb der Gesellschaft halt noch gibt, um sexuelle Selbstbestimmung zu beschneiden. Und es gibt klar einen Teil Leute, die den Schlampenbegriff sich aneignen, um ihn sozusagen für sich positiv damit zu besetzen. Es gibt Leute, die das trotzdem weiterhin ablehnen, was aber nicht davon abhalten kann, sich trotzdem mit denen zu solidarisieren, die tagtäglich mit sexualisierter Gewalt zu tun haben.
Meyer: Und wie halten Sie das, diesen Schlampenbegriff? Würden Sie sich dann auch Schlampe nennen lassen?
Wizorek: Ich persönlich gehöre eher zur letzteren Kategorie. Ich würde mich jetzt nicht auf die Straße stellen und sagen: Ich bin eine Schlampe. Ich werde das morgen sozusagen symbolisch betrachten, und würde aber wiederum auch sagen: Sprache ist stets im Fluss. Man sollte da niemals nie sagen. Vielleicht kommen wir irgendwann dahin, dass Schlampe tatsächlich als Begriff positiv besetzt werden kann, wenn weiter gekämpft wird.
Meyer: Es gibt ja solche Vorgänge, die wir kennen. Bei Schwulen und Lesben zum Beispiel, das waren negative Begriffe, heute wird das ganz selbstbewusst von Schwulen und Lesben selbst als Bezeichnung für sie gebraucht. Ich habe allerdings in Großbritannien – da waren wir vorhin schon kurz, da gab es schon mehrere solcher Slutwalks, da gab es auch schon eine öffentliche Auseinandersetzung darin –, ich habe im "Guardian" gelesen das Argument, dass dieser Begriff Schlampe so tief im patriarchalen Blick, in dieser Madonna-Hure-Perspektive verwurzelt ist, im Blick auf die weibliche Sexualität im Sinne von Verfügbarkeit, dass man diesen Begriff eigentlich nicht retten kann. Sie meinen aber doch, die Schlampe kann man retten?
Wizorek: Da kann ich natürlich jetzt keine Aussage zu treffen, ich sage nur: Unmöglich ist es nicht, wie wir an den anderen Beispielen wie zum Beispiel auch bei queer gesehen haben, es ist schon gelungen. Und letztendlich ist Slutwalk halt auch definitiv als eine Taktik zu betrachten. Einerseits bezieht sich der Name natürlich sowohl auf die Aussage des Polizisten, die da getroffen wurde, als auch auf eine Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu schaffen für ein wichtiges Thema, was aber sonst nicht in den Mainstream gelangt, das ist leider so.
Meyer: Also auch als mediale Strategie, weil Ihnen auch klar ist, wenn da ein paar von uns eben aufreizend gekleidet mitmarschieren, dann schauen viel mehr Kameras hin, als wenn wir alle bürgerlich angezogen rumziehen?
Wizorek: Nun ja, wie gesagt, wenn Leute das als Ausdrucksform wählen, ist das völlig in Ordnung. Dass die Medien sich wiederum sehr einseitig auf diese Teilnehmer konzentrieren, ist natürlich auch wieder eher so ein Armutszeugnis für diese Seite.
Meyer: Es gibt – ich war vorhin schon mal bei den Old-School-Feministinnen und ihrer Kritik auch an Ihrer Bewegung, die entzündet sich an verschiedenen Punkten. Einmal an diesem Punkt, stelle ich mich selbst jetzt als Sexualobjekt dar? Aber es gibt auch klassische Feministinnen, die sagen, das ist jetzt eigentlich Feminismus light oder Fun-Feminismus, was die machen. Es geht nur noch um einen Akt persönlicher Freiheit, kann ich anziehen, was ich will, oder kann ich das nicht anziehen. Uns ging es immer um die großen Strukturen, die wir verändern wollten, und eigentlich ist das, was Sie jetzt machen als junge Feministin nur noch eine Schrumpfform.
Wizorek: Da muss ich natürlich auch widersprechen! Denn wir richten uns auch eindeutig gegen … wir sind pro sexuelle Selbstbestimmung und gegen die Verharmlosung sexualisierter Gewalt. Ich wüsste nicht, was daran jetzt als Fun-Feminismus zu bezeichnen wäre. Das sind trotzdem immer noch eindeutige Botschaften, die sich gegen das Patriarchat richten. Und wir sprechen halt genau so an, dass es weitere Unterdrückungsmechanismen gibt, wie zum Beispiel Queerphobie, Homophobie, Transphobie – das spielt alles mit rein, das ist alles in unserer Botschaft drin, das sind alles Sachen, gegen die wir uns auflehnen!
Meyer: Deutschlandradio Kultur, Anne Wizorek ist bei uns im Studio, sie hat den Berliner Slutwalk mitorganisiert. Das ist ja eine relativ junge Bewegung im Anfang des Jahres entstanden aus dieser Empörung von kanadischen Studentinnen. Inzwischen gab es Slutwalks in Nordamerika, Südamerika, in verschiedenen Ländern Europas, in Südafrika ist einer geplant, in Südkorea gab es, glaube ich, auch schon einen, jetzt eben am Wochenende in Deutschland – haben Sie den Eindruck, da entsteht so etwas wie eine neue feministische Bewegung?
Wizorek: Ich würde sagen, das setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Einerseits aus den Leuten, die halt eh schon feministisch orientiert sind oder sich so verstehen und die jetzt sozusagen – ich kann das aus Erfahrung sagen, mir geht das genau so –, die sich jetzt total freuen, dass wirklich mal wieder die Wut nach außen getragen wird und eine Form bekommt, die wirklich viele Leute mitbekommen, und das nicht nur in so einem Nischenumfeld passiert. Aber andererseits zeigt der Slutwalk halt ganz gut – und er zeigt sich auch ganz gut an dem Titel, den die Leute in Toronto gewählt haben, der war "because we’ve had enough". Es ist wirklich so: Wenn man gerade als Frau tagtäglich mit so sexualisierter Gewalt konfrontiert ist, und die beginnt nun mal schon im Sprachgebrauch, dann ist genau irgendwie dieses Ich-habe-die-Schnauze-voll-Gefühl halt erreicht. Und das ist, glaube ich, der Punkt, wo man jetzt auch ganz viele Leute abholt, die bisher noch nichts mit Feminismus bewusst zu tun hatten.
Meyer: Und nehmen Sie dann eigentlich auch Männer mit bei den Slutwalks? Gab es das auch schon?
Wizorek: Auf jeden Fall, die sind da definitiv eingeladen, und egal wie man sich geschlechtlich definiert, sollte man sich mit unseren Botschaften solidarisieren wollen, sollen sie alle kommen!
Meyer: Das heißt, Sie meinen, 2011 könnte der Beginn einer Slutwalk-Bewegung sein? Oder soll es dann eher die Ich-habe-die-Schnauze-voll-Bewegung heißen?
Wizorek: Das könnte man ja fürs nächste Jahr überlegen. Aber es ist tatsächlich so, dass wir auch mit den anderen Slutwalks vernetzt sind, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch international, und die Idee besteht, nächstes Jahr einen Tag festzulegen, wo hoffentlich so viele Städte wie möglich teilnehmen können, das am selben Tag veranstalten.
Meyer: Da werden wir dann hinschauen. Morgen gibt es erst mal in mehreren deutschen Großstädten Slutwalks, unter anderem in Berlin, und den Berliner Slutwalk hat Anne Wizorek mitorganisiert. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Wizorek: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Homepage des Slutwalk Toronto (englisch)
Anne Wizorek: Hallo!
Meyer: Von einer Slutwalk-Aktivistin habe ich gelesen, ihr gehe es darum, sie sagte: Ich will auch nachts nackt durch einen Park gehen können, ohne dass mich jemand belästigt. Geht es Ihnen darum im Prinzip?
Wizorek: Also mir persönlich jetzt weniger, aber ich glaube, das war die Frau, die das in London organisiert hat, und wenn man es drastisch herunterbricht, dann geht es schon auch darum. Es ist halt wirklich immer die Schuld bei den Tätern zu sehen und niemals bei den Betroffenen, egal was diese anhaben.
Meyer: Aber wenn man sich das vor Augen führt: Bei diesen Slutwalks ziehen sie halbnackt durch die Straßen, in Unterwäsche und so weiter, also aufreizend gekleidet, um gegen Vergewaltigung zu protestieren. Hat das nicht auch was Widersinniges?
Wizorek: Es gibt einen Bruchteil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die das auf diese Weise ausdrücken. Für mich hat das in dem Sinne mehr so einen performativen Charakter, wirklich auch, um dieses drastische Beispiel mit nachts nackt durch den Park zu laufen, sozusagen auch darzustellen. Aber das ist wirklich der geringste Anteil, und ansonsten zeichnet sich die Demo auch durch … es sieht vom Bild her aus wie jede andere Demo, und die Leute laufen da in Alltagsklamotten rum. Und die wichtigste Botschaft drückt sich tatsächlich über das aus, was sie auf den Plakaten stehen haben und was sie rufen.
Meyer: Und was steht auf den Plakaten?
Wizorek: "Whatever I wear, wherever I go, yes means yes and no means no", diese ganz einfache Botschaft, die es auch schon lange im Feminismus gibt, dass nein nein heißt, und wer das nicht verstanden hat, ist halt ein Täter.
Meyer: An diesem kleinen Teil, wie sie sagen, von dann tatsächlich als Sluts, als Schlampen gekleideten Frauen, entzündet sich aber auch immer wieder Kritik, auch von Feministinnen selber, die sagen: Wir protestieren immer dagegen, dass wir als Sexualobjekte dargestellt werden in der ganzen Werbewelt zum Beispiel – halbnackte Frauen an jeder Straßenecke –, und nun machen wir das selber! Nun gehen wir selber als Sexualobjekte gekleidet auf die Straße. Damit stellen wir uns doch selbst ein Bein!
Wizorek: Da würde ich widersprechen, weil der Slutwalk natürlich ein anderer Kontext ist, gerade mit dem politischen Hintergrund. Es ist eine politische Demo, und die Botschaft geht meines Erachtens dadurch auch nicht verloren. Und beim Berliner Team kann ich auf jeden Fall sagen, uns war es halt wichtig, gerade da den Schlampen-Begriff so zu sehen, dass es eher symbolisch steht für alle Mechanismen, die es innerhalb der Gesellschaft halt noch gibt, um sexuelle Selbstbestimmung zu beschneiden. Und es gibt klar einen Teil Leute, die den Schlampenbegriff sich aneignen, um ihn sozusagen für sich positiv damit zu besetzen. Es gibt Leute, die das trotzdem weiterhin ablehnen, was aber nicht davon abhalten kann, sich trotzdem mit denen zu solidarisieren, die tagtäglich mit sexualisierter Gewalt zu tun haben.
Meyer: Und wie halten Sie das, diesen Schlampenbegriff? Würden Sie sich dann auch Schlampe nennen lassen?
Wizorek: Ich persönlich gehöre eher zur letzteren Kategorie. Ich würde mich jetzt nicht auf die Straße stellen und sagen: Ich bin eine Schlampe. Ich werde das morgen sozusagen symbolisch betrachten, und würde aber wiederum auch sagen: Sprache ist stets im Fluss. Man sollte da niemals nie sagen. Vielleicht kommen wir irgendwann dahin, dass Schlampe tatsächlich als Begriff positiv besetzt werden kann, wenn weiter gekämpft wird.
Meyer: Es gibt ja solche Vorgänge, die wir kennen. Bei Schwulen und Lesben zum Beispiel, das waren negative Begriffe, heute wird das ganz selbstbewusst von Schwulen und Lesben selbst als Bezeichnung für sie gebraucht. Ich habe allerdings in Großbritannien – da waren wir vorhin schon kurz, da gab es schon mehrere solcher Slutwalks, da gab es auch schon eine öffentliche Auseinandersetzung darin –, ich habe im "Guardian" gelesen das Argument, dass dieser Begriff Schlampe so tief im patriarchalen Blick, in dieser Madonna-Hure-Perspektive verwurzelt ist, im Blick auf die weibliche Sexualität im Sinne von Verfügbarkeit, dass man diesen Begriff eigentlich nicht retten kann. Sie meinen aber doch, die Schlampe kann man retten?
Wizorek: Da kann ich natürlich jetzt keine Aussage zu treffen, ich sage nur: Unmöglich ist es nicht, wie wir an den anderen Beispielen wie zum Beispiel auch bei queer gesehen haben, es ist schon gelungen. Und letztendlich ist Slutwalk halt auch definitiv als eine Taktik zu betrachten. Einerseits bezieht sich der Name natürlich sowohl auf die Aussage des Polizisten, die da getroffen wurde, als auch auf eine Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu schaffen für ein wichtiges Thema, was aber sonst nicht in den Mainstream gelangt, das ist leider so.
Meyer: Also auch als mediale Strategie, weil Ihnen auch klar ist, wenn da ein paar von uns eben aufreizend gekleidet mitmarschieren, dann schauen viel mehr Kameras hin, als wenn wir alle bürgerlich angezogen rumziehen?
Wizorek: Nun ja, wie gesagt, wenn Leute das als Ausdrucksform wählen, ist das völlig in Ordnung. Dass die Medien sich wiederum sehr einseitig auf diese Teilnehmer konzentrieren, ist natürlich auch wieder eher so ein Armutszeugnis für diese Seite.
Meyer: Es gibt – ich war vorhin schon mal bei den Old-School-Feministinnen und ihrer Kritik auch an Ihrer Bewegung, die entzündet sich an verschiedenen Punkten. Einmal an diesem Punkt, stelle ich mich selbst jetzt als Sexualobjekt dar? Aber es gibt auch klassische Feministinnen, die sagen, das ist jetzt eigentlich Feminismus light oder Fun-Feminismus, was die machen. Es geht nur noch um einen Akt persönlicher Freiheit, kann ich anziehen, was ich will, oder kann ich das nicht anziehen. Uns ging es immer um die großen Strukturen, die wir verändern wollten, und eigentlich ist das, was Sie jetzt machen als junge Feministin nur noch eine Schrumpfform.
Wizorek: Da muss ich natürlich auch widersprechen! Denn wir richten uns auch eindeutig gegen … wir sind pro sexuelle Selbstbestimmung und gegen die Verharmlosung sexualisierter Gewalt. Ich wüsste nicht, was daran jetzt als Fun-Feminismus zu bezeichnen wäre. Das sind trotzdem immer noch eindeutige Botschaften, die sich gegen das Patriarchat richten. Und wir sprechen halt genau so an, dass es weitere Unterdrückungsmechanismen gibt, wie zum Beispiel Queerphobie, Homophobie, Transphobie – das spielt alles mit rein, das ist alles in unserer Botschaft drin, das sind alles Sachen, gegen die wir uns auflehnen!
Meyer: Deutschlandradio Kultur, Anne Wizorek ist bei uns im Studio, sie hat den Berliner Slutwalk mitorganisiert. Das ist ja eine relativ junge Bewegung im Anfang des Jahres entstanden aus dieser Empörung von kanadischen Studentinnen. Inzwischen gab es Slutwalks in Nordamerika, Südamerika, in verschiedenen Ländern Europas, in Südafrika ist einer geplant, in Südkorea gab es, glaube ich, auch schon einen, jetzt eben am Wochenende in Deutschland – haben Sie den Eindruck, da entsteht so etwas wie eine neue feministische Bewegung?
Wizorek: Ich würde sagen, das setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Einerseits aus den Leuten, die halt eh schon feministisch orientiert sind oder sich so verstehen und die jetzt sozusagen – ich kann das aus Erfahrung sagen, mir geht das genau so –, die sich jetzt total freuen, dass wirklich mal wieder die Wut nach außen getragen wird und eine Form bekommt, die wirklich viele Leute mitbekommen, und das nicht nur in so einem Nischenumfeld passiert. Aber andererseits zeigt der Slutwalk halt ganz gut – und er zeigt sich auch ganz gut an dem Titel, den die Leute in Toronto gewählt haben, der war "because we’ve had enough". Es ist wirklich so: Wenn man gerade als Frau tagtäglich mit so sexualisierter Gewalt konfrontiert ist, und die beginnt nun mal schon im Sprachgebrauch, dann ist genau irgendwie dieses Ich-habe-die-Schnauze-voll-Gefühl halt erreicht. Und das ist, glaube ich, der Punkt, wo man jetzt auch ganz viele Leute abholt, die bisher noch nichts mit Feminismus bewusst zu tun hatten.
Meyer: Und nehmen Sie dann eigentlich auch Männer mit bei den Slutwalks? Gab es das auch schon?
Wizorek: Auf jeden Fall, die sind da definitiv eingeladen, und egal wie man sich geschlechtlich definiert, sollte man sich mit unseren Botschaften solidarisieren wollen, sollen sie alle kommen!
Meyer: Das heißt, Sie meinen, 2011 könnte der Beginn einer Slutwalk-Bewegung sein? Oder soll es dann eher die Ich-habe-die-Schnauze-voll-Bewegung heißen?
Wizorek: Das könnte man ja fürs nächste Jahr überlegen. Aber es ist tatsächlich so, dass wir auch mit den anderen Slutwalks vernetzt sind, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch international, und die Idee besteht, nächstes Jahr einen Tag festzulegen, wo hoffentlich so viele Städte wie möglich teilnehmen können, das am selben Tag veranstalten.
Meyer: Da werden wir dann hinschauen. Morgen gibt es erst mal in mehreren deutschen Großstädten Slutwalks, unter anderem in Berlin, und den Berliner Slutwalk hat Anne Wizorek mitorganisiert. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Wizorek: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Homepage des Slutwalk Toronto (englisch)