Nele Neuhaus: "Im Wald"
Ullstein, Berlin 2016
560 Seiten, 22 Euro
Erfolg mit der Doppelt-hält-besser-Prosa
Die Krimis von Nele Neuhaus sind die idealen "Books to go" für eine mobile Lesegesellschaft, meint unser Kritiker Kolja Mensing. Denn Neuhaus habe den richtigen Riecher für Redundanz und außergewöhnlichen Sinn für stereotype Wendungen.
Nele Neuhaus ist eine beharrliche Autorin. Ihre ersten drei Romane veröffentlichte sie auf einer Self-Publishing-Plattform, darunter auch den Taunus-Krimi "Eine unbeliebte Frau", in dem zum ersten Mal das Ermittlerduo Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff auftrat. Erst ihr vierter Roman – "Tiefe Wunden" – erschien bei einem großen Verlagshaus.
Neuhaus schrieb weiter, und nach und nach erreichte mit ihren Bodenstein-und-Kirchhoff-Romanen immer höhere Auflagen. Ihre Taunus-Krimi sollen sich insgesamt 3,5 Millionen Mal verkauft haben, und wenn jetzt mit "Im Wald" der achte Band der Reihe erscheint, ist der Platz in den Bestsellerlisten sicher.
Wenn alte Wunden endlich heilen
Auch ihre Figuren entwickelt Nele Neuhaus beharrlich weiter und führt den Polizisten Oliver von Bodenstein – von Anfang an die interessantere Figur im Vergleich zu Pia Kirchhoff – jetzt zurück in seine Kindheit. Er war sieben, als sein Freund Artur spurlos verschwand, und jetzt ist plötzlich alles wieder da: Ein grausamer Mordfall führt von Bodenstein zurück nach Ruppertshain, in das Dorf, in dem er aufgewachsen ist.
Schon bald tauchen erste Hinweise darauf auf, dass der Mord in Verbindung steht mit dem Verschwinden seines Freundes vor fast 50 Jahren. Oliver von Bodenstein ermittelt also in eigener Sache – und gegen sich selbst.
Das Erstaunliche an den Taunus-Krimis von Nele Neuhaus sind allerdings nicht ihre Figuren und die Geschichten, sondern die Prosa. Nele Neuhaus ist nämlich auch eine beharrliche Erzählerin, die erst dann weitermacht, wenn wirklich alle verstanden haben, worum es geht.
An einer Stelle zum Beispiel erzählt Oliver von Bodenstein seiner Freundin von den bedrückenden Erlebnissen seiner Kindheit und öffnet dabei nicht nur einen "Verschlag im hintersten Winkel seiner Seele". Er entmystifiziert auch "lang verdrängte Geheimnisse", macht "Frieden mit seiner Vergangenheit", er spürt, dass "alte Wunden endlich heilen" und die "Dämonen ihren Schrecken" verlieren.
Das alles liest man in einem einzigen Absatz: Nele Neuhaus hat einen echten Hang zur Redundanz, gepaart mit einem außergewöhnlichen Sinn für stereotype Wendungen.
Schnell leben, aber alles zweimal lesen
Dass diese Art von Doppelt-hält-besser-Prosa unglaublich viel Erfolg hat, ist dann auch kein Wunder. Wenn man "Im Wald" auf dem Smartphone liest, kann man selbst in einer vollbesetzten U-Bahn oder an der Kasse in einem überfüllten Supermarkt nie den Anschluss an die Erzählung verlieren, auch dann nicht, wenn man nebenher noch mit drei Freunden bei WhatsApp chattet: Die Kriminalromane von Nele Neuhaus sind mit ihren vielen Wiederholungen und sprachlichen Leerformeln geradezu die idealen "books to go" für eine mobile Lesegesellschaft.
Schnell leben – und alles zweimal lesen. Oder dreimal. Das ist halt die Zukunft.