Nele Pollatschek: Das Unglück anderer Leute
Galiani Berlin, 2016, 224 Seiten, 18,99 Euro
Spießertum als Rebellion
Die Heldin in Nele Pollatscheks Romandebüt "Das Unglück anderer Leute" hat eine Punkerin zur Mutter und einen Vater mit Coming Out. Ihre Altersgenossen rebellierten mit Spießertum gegen ihre unspießigen Eltern, sagt die Autorin.
Nele Pollatschek, Jahrgang 1988, hat in ihrem gerade erschienenen Roman "Das Unglück anderer Leute" die Lebenseinstellung ihrer Generation auf den Punkt gebracht: irgendwie progressiv, aber im Privaten eher konservativ – Picknick mit Kirsch-Streusel statt Transparente für Demos basteln. Der neue Biedermeier.
Pollatscheks Heldin Thene hat es nicht leicht: Mutter – Punkerin mit einer bunten Sammlung von Sexspielzeugen, Oma – auch ziemlich flott, Vater – lebt nach seinem Coming Out mit einem Mann zusammen. Sie flüchtet sich in eine Streuselkuchen-Idylle mit sonntäglichen Ausflügen mit Freund Paul in den Odenwald. Und immer sucht sie eine Mutterfigur, die ihre ausgeflippte Mutter Astrid nicht sein will und die es so wohl nur in alten Disney-Filmen gibt, die Tene sich als Kind anschaut. Je unspießiger die Eltern, so scheint, desto mehr muss die Generation der Kinder ein beschauliches Spießerdasein pflegen.
Parallelen zwischen Autorin und Heldin
Was Pollatschek in kraftvoller Sprache wiedergibt, ist ihr selbst keineswegs fremd: Nele Pollatschek lebt im Odenwald. Sie wurde in Ost-Berlin geboren, verbrachte ihre Schulzeit in Frankfurt am Main und hat einige Zeit später Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Oxford studiert. Sie arbeitet als Dozentin und promoviert in Oxford gerade über das Problem des Bösen in der Literatur.
"Ich bin auf eine Schule gegangen, in Frankfurt im Nordend, wo alle Lehrer unendlich links waren und die ganze Zeit gesagt haben: ‚Geht heute nicht in die Schule, geht Schwänzen und geht auf Demonstrationen, tut irgendwas Gesellschaftliches‘. Und bei mir war es die größte Rebellion zu sagen: ‚Nein, ich sitze heute in der Schule. Nein, ich gehe heute nicht demonstrieren‘."
Angepasstsein könne auch ein Akt der Rebellion sein. Und zu diesem Mittel griffen viele ihrer Altersgenossen, um sich von den Eltern abzugrenzen, die so engagiert seien und so viel bewirken wollten.