Schwere Themen mit Humor und Leichtigkeit
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Bov Bjergs Roman "Auerhaus" war ein Bestseller über eine Schüler-WG Anfang der 80er. Jetzt hat Nele Vollmar das Buch fürs Kino verfilmt. Im Interview verrät sie, vor welche Herausforderungen sie die Adaption gestellt hat.
Patrick Wellinski: Sechs Jugendliche gründen eine Schüler-WG, nicht nur um dem Muff von Vätern und Stiefvätern zu entkommen, sondern um auf Frieder aufzupassen. Der Junge hat kurz vorher versucht, sich das Leben zu nehmen. Seine Freunde Vera, Höppner und Cäcilia versuchen alles, um den depressiven Teenager auf andere Gedanken zu bringen. Mit dieser Geschichte landete der Autor Bov Bjerg 2015 einen Bestseller. Nächsten Donnerstag kommt die Verfilmung dieser Freundschaftsgeschichte in die Kinos. Regie führte Nele Vollmar, die in letzter Zeit vor allem mit den Kinderbuchverfilmungen "Mein Lotta-Leben" und "Rico, Oskar und die Tieferschatten" Erfolge feiern konnte.
Frau Vollmar, wie sieht denn eigentlich Ihre eigene WG-Erfahrung aus?
Nele Vollmar: Meine WG-Erfahrung. Ich hab tatsächlich gar nicht so eine große WG-Vergangenheit – die war Ludwigsburg. Ich hab ja in Ludwigsburg studiert und bin von Hamburg aus nach Stuttgart gezogen und hatte einen Kommilitonen sozusagen, einen zukünftigen, kennengelernt, der auch aus Hamburg kam, und wir sind zusammen in Stuttgart in ein Haus gezogen – ziemlich heruntergekommen, das ist dem Auerhaus ganz ähnlich, sag ich mal. Auf Dielen musste man sich so mit Tape Kreuze machen, wo man wusste, da darf man nicht raufsteigen, weil es wackelig ist. Und da hab ich’s aber tatsächlich nicht so lange ausgehalten, ich glaub zwei Monate, weil ich irgendwann dachte, wenn man in Ludwigsburg studiert, muss man in Ludwigsburg wohnen und man kann nicht nach Stuttgart pendeln, weil das ja eigentlich so wie ein Internat ist. Und deswegen bin ich dann relativ schnell nach Ludwigsburg gezogen und hab da aber alleine gewohnt.
Roman für die Bühne
Wellinski: Im "Auerhaus" sind es ja sechs Teenager, die eine Schüler-WG gründen im baden-württembergischen Nirgendwo, Anfang der 80er-Jahre. Frieder, einer der sechs, hat versucht, sich umzubringen, die anderen passen jetzt mehr oder weniger auf ihn auf. Was hat Sie als Geschichtenerzählerin, als Regisseurin an dem Erfolgsroman von Bov Bjerg so fasziniert, dass Sie gesagt haben, ich verfilme das?
Vollmar: Das sind die Gespräche zwischen Frieder und Höppner, also diese Freundschaft von diesen beiden Jungens, die über Themen reden wie, was ist, wenn du im Eis einbrichst, soll ich dich da retten oder nicht, die mich so berührt haben und die mit einer Feinheit und trotz schweren Themas eine Leichtigkeit auch haben und einen Humor haben, der mich beim Lesen wirklich zur Gänsehaut gebracht hat und ich dachte, dass das toll wäre. Klar spielt unser Film in den 80er-Jahren, aber das ist ein Thema, was ja heute genauso präsent und akut ist.
Wellinski: Dieses Universelle, ist das vielleicht auch das Erfolgsrezept dieser Geschichte, denn ich will ich gar nicht vom Roman sprechen. "Auerhaus" wird jetzt auch auf Bühnen gespielt, in Düsseldorf und in Hamburg, vergleichbar eigentlich irgendwie nur mit "Tschick" von Herrndorf, was ja auch so eine Geschichte hat vom Roman bis auf die Bühne. Was ist es an diesem Stoff von "Auerhaus", das jetzt nicht nur Filmregisseure, sondern auch Theaterregisseure begeistert?
Vollmar: Ich glaube die Kombination aus einem schweren Thema mit einer Leichtigkeit, und das finde ich schon sehr, sehr besonders an diesem Roman. Und dass es natürlich für ein junges Publikum, die jetzt in der Zeit sind, also sprich 18-Jährige sind, dass es aber auch für Leute, die eben genau zu der Zeit, Anfang der 80er-Jahre, genau in dem Alter waren, spannend ist, und ich glaube aber auch für eine Generation – ich war auf vielen Lesungen auch und war auch auf vielen Inszenierungen, und da sind auch teilweise 60-, 70-Jährige, die da noch sitzen und die das berührt. Das ist einfach ein ganz feiner Ton, den der Bov da getroffen hat und den wir hoffentlich auch im Film übernommen haben und getroffen haben.
Jeder trägt seinen Problemrucksack
Wellinski: Wenn diese sechs Teenager zusammenziehen in dieses Haus, ist das für sie so eine Art von Utopie, die sie da leben, wenn sie da einziehen? Ist das so der Gedanke, jetzt ist hier die Freiheit, obwohl sie ja auch in der Provinz bleiben letztlich, nicht wahr?
Vollmar: Ja, das sind ja alles so kleine Inseln, jeder ist ja so mit sich beschäftigt und jeder hat so ein Problemrucksack irgendwie, mit dem er da einzieht, und sie sind alle mit sich selber und ihrem Problem beschäftigt. Klar gibt es diesen Deckmantel, wir passen auf, dass der Frieder sich nicht noch mal das Leben nimmt, aber das Schöne ist, glaube ich, dass da so unterschiedliche Energien aufeinandertreffen und jeder so seinen Platz in der Welt finden muss. Und darum geht es denen, glaube ich, in dem Moment, wo sie da einziehen.
Wellinski: Wie wichtig war es Ihnen als Regisseurin, diese Atmosphäre dieser bundesrepublikanischen Provinz Anfang der 80er-Jahre zu erzeugen? Es beginnt ja bei den Klamotten der Darsteller, den Haaren, aber es geht auch weiter über diese tristen Straßenzüge, die Regalauslage im Supermarkt, also sehr detailversessen so wie letztendlich auch das Buch.
Vollmar: Es ist einfach eine andere Zeit gewesen, und was mir wichtig war, ist, dass wir jetzt gar nicht diesen 80er-Jahre-Stempel drauf haben. Man ist so ein bisschen weg von der großen Welt und man ist sehnsüchtig und man denkt vielleicht, das ist ein anderer Ort, der ist besser als der Ort, an dem wir jetzt sind. Und das Schöne ist ja, dass es solche Orte gibt noch und dass sich durch diese Zeit, in der wir gedreht haben – und wir haben relativ viel in NRW gedreht, die ganzen Außenaufnahmen sind in einem ganz kleinen Ort in Hessen – haben wir was gefunden. Das ist so eine Stunde von der Autobahn entfernt, und da sieht es so aus und da gibt es keinen Handy-Empfang. Und als wir dort alle hingereist sind für die Dreharbeiten, hat man so ein Gefühl bekommen, als ob wir selber in so einer Zeitmaschine zurückkatapultiert werden, eben in die 80er-Jahre wieder. Und das war ganz toll und das hatte auch was Befreiendes. Und hat das irgendwie total viel Spaß gemacht.
Bloß nicht leben wie die Eltern
Wellinski: Musste man denn diese Art und Weise der Codes der 80er-Jahre mit den Schauspielern besonders erarbeiten? Das ist ja eine Generation, die in den 90er-Jahren vor allem geboren worden ist, für die ist das jetzt noch ein Stück weiter weg. Oder muss man das gar nicht so erarbeiten?
Vollmar: Na klar, es gibt natürlich viele Worte, die die Jugend heute benutzt, die gab’s damals natürlich nicht so. Ich habe viel gelesen, sodass man einfach weiß, was ist politisch zu dem Zeitpunkt passiert und so. Wir wissen das noch so, und die das natürlich spielen, die Anfang-20-Jährigen, wissen das natürlich nicht mehr, aber die haben sich da sehr reingefuchst.
Wellinski: Wie ist eigentlich dieses Verhältnis der Teenager zu ihren Eltern? Das ist sehr interessant: Meine Lieblingsszene in dem Film – und das ist ja auch eine Szene in dem Buch – ist, wenn Höppner seiner Mutter erzählt, wie das gerade so ist in der WG und sie ihm erklärt, was Depression ist, und man merkt, dass sie Worte plötzlich benutzt und Assoziationen, die viel zu konkret sind, als dass sie das aus einem Lexikon hat. Dabei sagen die Teenager ja, sie wollen alles haben, nur kein Leben wie ihre Eltern. Dabei ist dann doch die Nähe oder die Ähnlichkeit dieses Lebens oder der Existenz ja doch nicht so zu trennen, man kann gar nicht so weit weggehen. Westberlin ist ja auch immer so eine Insel, wo man weg möchte.
Vollmar: Ja, und gerade bei Höppner und der Mama, da hab ich das Gefühl, das waren für mich im Buch die Szenen, die mich auch wahnsinnig berührt haben, weil das so eine Nähe ist und die einfach ihr Wohnzimmer im Auto haben. Die sind halt nicht mehr zu Hause, weil der F2M2 da ist, der einfach grauenvoll ist und mit dem man nichts anfangen kann, aber dieses Band zwischen Mutter und Sohn, was für uns im Film vielleicht sogar noch einen Ticken stärker ist als im Roman – und da hab ich auch viel mit dem Bov mal so drüber diskutiert, was ganz spannend war … Und mir war das aber ganz wichtig, weil ich das Gefühl hab, das ist das, wo der Höppner mal seine Hose runterlassen kann, und das sind auch, muss ich sagen, mit meine Lieblingsszenen, die beiden im Auto, in ihrem Wohnzimmer sitzend.
Film muss eine Seele bekommen
Wellinski: Jetzt haben Sie sich über das Drehbuch gebeugt mit dem Ausgangsmaterial, Sie haben es schon erwähnt, Bov Bjerg war also in Gesprächen irgendwie präsent. Wie nah war er da, oder wie weit legen Sie wert darauf, dass ein Autor, dessen Buch ja wirklich sehr, sehr erfolgreich war und sehr bekannt ist, nah ist an dem, was Sie letztendlich schaffen wollen?
Vollmar: Das Allerwichtigste ist natürlich, es ist immer: Ein Buch ist ein Buch und ein Film ist ein Film und man muss immer die adäquate Umsetzung natürlich dazu finden. Aber dass man die Seele mit in den Film bekommt, das ist natürlich das Allerwichtigste. Das wäre für mich ein Alptraum gewesen, wenn der Bov den Film sieht und sagt: Oh Gott, was hast du denn da gemacht. Und ich werde nie vergessen, als wir im Kino saßen, das war natürlich einer der wichtigsten Momente für mich, dass ich weiß, der steht dahinter und er findet den Film toll. Das ist mir ganz wichtig natürlich.
Wellinski: Das Buch hat relativ viele Slapstick-Szenen, zum Beispiel bei der Musterung, wie die Jungs dann die Akte der Bundeswehr klauen. Ist das für Sie als Regisseurin ein dankbares Geschenk, weil Slapstick eignet sich ja fürs Kino hervorragend? Oder ist das dann auch wieder eine Herausforderung, weil man den Gag, einen Witz dann auch wirklich hinbekommen muss?
Vollmar: Man muss seine Figuren lieben, und ich glaube, in dem Moment, wo man anfängt, versucht, komisch zu werden, dann ist es nicht mehr komisch. Und ich fand, gerade bei unserem Höppner, der ja noch so auf der Suche ist, und der ist nicht hop oder top, wie er auch so schön sagt, "so bin ich halt nicht". Und so ist er halt nicht, und ich glaube, durch diese Voiceover, die es gibt, weil natürlich viel auch im Inneren sich abspielt beim Höppner – im Roman ja noch viel, viel mehr, deswegen haben wir diese Art der Voiceover auch genutzt –, aber das war ein ganz schmaler Grat. Und wenn man auch alleine in der Betonung der Voiceover schon wieder merkt, man will was Witziges erzählen, dann ist es nicht mehr lustig.
"Ein ganz wichtiges Projekt für mich"
Wellinski: Sie haben sich in den letzten Jahren vor allem einen Namen gemacht mit sehr erfolgreichen Kinder- und Familienfilmen, die Oskar-und-Rico-Filme zum Beispiel, dieses Jahr allein schon "Mein Lotta-Leben". Ist jetzt "Auerhaus" für Sie so eine gewisse Fortentwicklung als Regisseurin? Welche Stellung nimmt dieses Projekt ein in den letzten Jahren?
Vollmar: Das ist ein ganz wichtiges Projekt für mich. Vor den Kinderfilmen hab ich ja "Maria, ihm schmeckt’s nicht" gemacht und "Friedliche Zeiten", also auch gar nicht Kinderfilme, und ich hab nach "Rico" gesagt, so, jetzt mach ich keine Kinderfilme mehr, jetzt geht’s wieder zurück zu den Erwachsenenfilmen. Und dann kam "Lotta-Leben", da dachte ich: Ach, shit, jetzt ist das noch mal so ein tolles Projekt oder ein spannendes Projekt. Und jetzt hab ich nach "Lotta" gesagt, jetzt mach ich keine Kinderfilme mehr und freue mich, dass man einfach wieder auch eine andere Art hat zu arbeiten, weil natürlich durch Kinderfilme ist das Zeitfenster ein ganz anderes, man kann gar nicht so proben, und ich hab das wahnsinnig genossen beim "Auerhaus" muss ich gestehen.
Wellinski: Aber auch etwas diese Arbeit mit Kindern, die einem vielleicht hilft, wenn man mit – 22-Jährige sind jetzt vielleicht noch eher Kinder als vielleicht so 50-jährige alte Haudegen, die schon seit 30 Jahren auf den Theaterbühnen und vor der Kamera stehen.
Vollmar: Die man ja sonst auch immer dabei hatte, sag ich jetzt mal. Ich finde, es ist einfach eine ganz andere Arbeit. Ich finde, Kinder, das ist so, die bringen einen auf den Boden, man ist wieder so im normalen Leben und man ist nicht so abgehoben, sondern wenn die beiden sich gestritten haben, dann haben die sich gestritten, und dann war es völlig wurscht, ob das Licht untergeht oder nicht, sondern ich musste gucken, dass die sich erst mal wieder vertragen. Und Filmemachen ist ja oft auch so wahnsinnig abgehoben, kann es sein, und das finde ich ganz schwierig. Ich finde es so wichtig, dass man weiß, warum man das macht, und das, finde ich, bringt Kinder, wenn du Kinder am Set hast, die rütteln einen manchmal wach und sagen: So, darum geht es einfach, und das ist das Wichtige. Und das finde ich toll. Aber was ich vermisst habe und was ich jetzt beim "Auerhaus" genossen haben, auch wenn das noch sehr junge erwachsene Menschen sind, aber ganz tolle und schlaue und wissbegierige, dass man einfach miteinander diskutieren kann und was erarbeiten kann gemeinsam und sagen kann, hey, was würde der machen, oder alleine, wo liegt der Frieder seinen Abschiedsbrief hin.
Da hatte ich so eine Geschichte von einer Freundin, da ist jemand gestorben, und der hatte so einen Scherzartikel in den Schrank gelegt, wo die Urkunden waren. Also das heißt, nach seinem Tod hat die Frau diesen Schrank aufgemacht und musste lachen, weil sozusagen eine Botschaft des Toten noch da war und hat sie zum Lachen gebracht. Und das fand ich toll, und das hab ich dem Max erzählt und gesagt, lass uns irgendwas finden, wo legt er diesen Brief hin, damit der Höppner vielleicht schmunzeln muss. Mehr hab ich dem Max gar nicht gesagt, und da kam er auf die Idee, dass er diese stinkende Socke da hinlegt. Solche Sachen, das sind so schöne Momente, und die Zeit hast du gar nicht, wenn du mit Kindern drehst, und das können natürlich Kinder auch gar nicht leisten.
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