Nelson Mandela

Auch eine Faust ist eine Hand

Von Arno Ozessek · 07.12.2013
In den Feuilletons ist weiterhin der Tod von Nelson Mandela das bestimmende Thema. Daneben bekommt Alice Schwarzer wegen ihrer Kampagne gegen Prostitution viel Kritik.
"Ich habe mein Leben dem Kampf des afrikanischen Volkes gewidmet. Ich habe gegen weiße und gegen schwarze Herrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen freien Gesellschaft hochgehalten, in der alle Menschen in Harmonie leben können und die gleichen Möglichkeiten haben. Ich hoffe, für dieses Ideal leben zu können […]. Aber, hohes Gericht, wenn es sein muss, bin ich bereit, für dieses Ideal zu sterben."
Nelson Mandela am 20. April 1964 vor Gericht in Johannesburg. Seine Strafe: lebenslänglich.
Es war die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die den verstorbenen Anti-Apartheid-Kämpfer und ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas als überragenden "Rhetor" feierte…
Und rund um ein Schwarz-Weiß-Foto der geballten Faust Mandelas historische Rede-Auszüge abdruckte, Freiheit, Versöhnung und Demokratie betreffend.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG reckte Mandela ebenfalls seine Faust zum Himmel. Indessen ist auch eine Faust eine Hand – und Mandela reichte sie bekanntlich jedermann…
Wie der Schriftsteller Zakes Mda unterstrich:
"Er erinnerte uns, dass wir das geistige Erbe des 'ubuntu' teilten – jener schlichten und grundlegenden afrikanischen Philosophie, welche die Essenz des Menschseins feiert. Im Geist von 'ubuntu' lehrten uns die Alten, dass erst die anderen uns zu Menschen machen […]. Mandela bestärkte uns in dieser Geisteshaltung; solange andere gedemütigt und unterdrückt würden, betonte er, sei auch unsere eigene Menschlichkeit beschnitten. Nicht zuletzt dem Einfluss dieser Ideen war es zu verdanken, dass diejenigen, die zur Zeit der Apartheid gefoltert und gemordet hatten, nicht im Rahmen eines neuen Nürnberger Prozesses abgeurteilt, sondern vor eine Kommission zur Wahrheitsfindung und Versöhnung geführt wurden",
erläuterte Zakes Mda in der NZZ.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG zitierte die berühmte Mandela-Sentenz "Mut ist nicht, wenn man keine Angst hat, sondern wenn man die Angst überwindet"
Und Nils Minkmaar fragte sich, was das hier und heute zu bedeuten hat.
"Angst legitimiert ein transnationales […] digitales Überwachungsimperium, eine geschlossene Gesellschaft in der offenen. Angst vor der Globalisierung, also vor den Menschen in anderen Ländern, die angeblich nicht unsere Werte, sondern bloß unseren Reichtum teilen wollen, […] [spielt] eine große Rolle beim Abbau des Sozialstaats und beim Drücken der Löhne. Mandela zeigt uns, dass die Angst etwa vor der Entwertung der universellen Freiheits- und Bürgerrechte im Zuge des Aufkommens anderer Staaten unbegründet ist. Mandelas Botschaft ist hochbrisant, während der Westen fleißig damit beschäftigt ist, Rechtsstaat und Demokratie immer mehr und immer diffuseren Ängsten zu opfern",
predigte Nils Minkmaar in der FAZ. –
Apropos Demokratie!
Während die SPD-Mitglieder in diesen Tagen über die große Koalition entscheiden, erfreut sich der Volksentscheid überhaupt einer wachsenden Fan-Gemeinde. Und das war der Wochenzeitung DIE ZEIT suspekt.
"Könnte es sein [fragte Adam Soboczynski], dass die derzeitige Neigung von Parlamentariern, sich für Plebiszite einzusetzen und damit die eigene Macht einzudämmen, mit der sehr deutschen Sehnsucht einhergeht, die Fragmentierung der modernen Gesellschaft auf illusorische Weise zu kitten und sich dergestalt im Einklang mit dem Volk zu wähnen?"
Für ZEIT-Autor Soboczynski sind das Flausen. Er hielt fest:
"Direkte Demokratie befördert einen Mehrheitswillen, der oft nur scheinbar dem Gemeinwohl entspricht. Sie stillt ideologische Bedürfnisse ohne Rücksicht auf politische Gerechtigkeit oder den individuellen Freiheitsraum. Stärkere Partizipation ist ohne die Erniedrigung von Minderheiten kaum zu haben."
Auch die SZ distanzierte sich vom Volksbefragungs-Ideal. Unter der abgründigen Frage "Wer spricht, wenn das Volk spricht?" untersuchte Gerhard Matzig diverse Volks-Entscheide in Europa und resümierte:
"Die direkte Demokratie scheint mehr für den Status quo tun zu können – als dass sie sich für Dynamik und Veränderung anbietet."
In der FRANKFURTER RUNDSCHAU formulierte der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm eine elegante Kompromiss-Formel:
"Mir würde es genügen, dass das Volk die Möglichkeit erhielte, Themen auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, mit denen dieses sich dann beschäftigen muss. So ließe sich verhindern, dass die Parteien sich gegenüber Problemen oder Bedürfnissen, die große Teile der Bevölkerung bewegen, taub stellen. Parteien und Parlamente würden […] wieder näher an ihre Basis heranrücken, ohne dass man die Vorzüge der repräsentativen Entscheidungsstruktur aufgeben müsste."…
So der wirklich pfiffige Vorschlag, den Dieter Grimm in der FR machte.
Gar nicht lustig dürfte die Feuilleton-Lektüre in der vergangenen Woche für Alice Schwarzer gewesen sein.
"Nicht nur anachronistisch, sondern geradezu frauenfeindlich" – nannte die SZ Schwarzers aktuellen Feldzug gegen die Prostitution.
„Das Wort ‚Frauenkauf‘, das von Schwarzer […] oft verwendet wird, ist besonders deutlicher Ausdruck eines Essentialismus, laut dem eine Frau dasselbe ist wie ihr Sex. In dieser Idee verschmilzt die weibliche Person mit ihrer Geschlechtlichkeit so stark, dass ihr – anders als dem Mann – keine sexuelle Autonomie möglich ist. […] [Eben] Dieses Denken motiviert Mullahs in Saudi-Arabien, Frauen nicht ohne Niquab auf die Straße zu lassen.“
Noch gröber, noch zickiger rechnete in der Tageszeitung DIE WELT Cora Stephan mit Schwarzer öffentlichen Invektiven ab.
"Schwarzers Gegenangriffe pflegen stets sexistisch zu sein und immer unter die Gürtellinie zu zielen. Wer ihr widerspricht, behauptet sie, handelt denunziatorisch und ist eine von Männern bestellte und bezahlte Agentin des Bösen."
Kurz: An der Feminismus-Front gab’s ordentlich Zoff.
Was uns Gelegenheit gibt, den Versöhner Nelson Mandela zu zitieren: "Hass vernebelt den Kopf. Er stört jede Form der Strategie"…
Und Ihnen, liebe Hörer, einen Tipp weiterzugeben, der in der SZ Überschrift wurde und eigentlich immer passt. Er lautet: "Nicht rotsehen."