Nelson Mandela: "Briefe aus dem Gefängnis"
Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube
C.H. Beck Verlag, München 2018
752 Seiten, 28,00 Euro
Eine Freundlichkeit, die Mauern sprengt
Nelson Mandela war der erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas. 27 Jahre hatte er zuvor wegen seiner Überzeugungen in Haft verbracht. Mandelas "Briefe aus dem Gefängnis" geben Zeugnis, mit welcher Würde er diese Jahre überstand.
Über Nelson Mandela ist vieles bekannt: Vom Antiapartheid-Kämpfer und Häftling, der 28 Jahre eingesperrt war, zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Südafrikas. Ein staunendes Nacherzählen der äußeren Fakten beschreibt jedoch nicht die tieferen Gründe für seine Standhaftigkeit, für die Abwesenheit von Rachegedanken und Machtgier nach seiner Freilassung im Februar 1990. Wie aber übersteht ein Mensch 10.052 Tage in Haft?
Eine Auswahl von Mandelas Gefängnisbriefen, datierend vom 23. September 1963 bis zum 11. Februar 1990, lässt nun die Gründe für eine solch immense Lebensleistung aufscheinen. Da ist zum einen die mit Disziplin verbundene Empathie Mandelas, die ihn Geburtstage anderer nie vergessen lässt, die Fähigkeit zu feiner Ironie und Ermutigung selbst in den 500-Wörter-Briefen, die er anfangs nur schreiben darf, ehe er sich eine größere Kommunikationsfreiheit erkämpfen kann. Auch muss er immer wieder erfahren, dass Briefe – an seine Frau Winnie etwa – nicht weitergeleitet wurden, um damit eine Isolations-Depression auszulösen. Und selbst, wenn Briefe "zeitnah" gewechselt werden können, wird die entsetzliche Entfernung offenbar, die sich schließlich in der Entfremdung zwischen Winnie und Nelson Mandela manifestiert.
Eine Auswahl von Mandelas Gefängnisbriefen, datierend vom 23. September 1963 bis zum 11. Februar 1990, lässt nun die Gründe für eine solch immense Lebensleistung aufscheinen. Da ist zum einen die mit Disziplin verbundene Empathie Mandelas, die ihn Geburtstage anderer nie vergessen lässt, die Fähigkeit zu feiner Ironie und Ermutigung selbst in den 500-Wörter-Briefen, die er anfangs nur schreiben darf, ehe er sich eine größere Kommunikationsfreiheit erkämpfen kann. Auch muss er immer wieder erfahren, dass Briefe – an seine Frau Winnie etwa – nicht weitergeleitet wurden, um damit eine Isolations-Depression auszulösen. Und selbst, wenn Briefe "zeitnah" gewechselt werden können, wird die entsetzliche Entfernung offenbar, die sich schließlich in der Entfremdung zwischen Winnie und Nelson Mandela manifestiert.
Jede Zeile sprengt quasi Mauern
Mandela aber gibt nicht auf, bewahrt Gelassenheit und Würde, verfasst mit juristischem Sachverstand Beschwerdebriefe über den Diebstahl eines Kugelschreibers, setzt sich für die Freilassung seiner Mithäftlinge ein, schreibt einen Bittbrief in Sachen Schulgeld für seinen Enkel, warnt seine Tochter Zinzi launig vor den Gefahren des Übergewichts oder reflektiert – geschmeidig – über die Metaphern in einem Buch, das er liest. Jede Zeile hier ist quasi mauern-sprengend, weitet die Enge seiner Zelle, verteidigt das Menschenrecht auf ungebrochene Neugier. Nichts davon ist monologisch; immer werden die Biographien der Brief-Adressaten, von Mandela geradezu atemberaubend erinnert, mitgedacht und angesprochen. Und so führt dieser sorgfältig edierte, 700-seitige Band nicht zur Ermüdung; kursiv gesetzte, erklärende Passagen und ein konziser Anmerkungsteil sorgen dafür, dass man sich trotz zahlreicher Namen, Geschehnisse und historischer Details nicht verirrt.
Souveräne Freundlichkeit und Konzilianz
Vor allem eines wird offenbar: Mandela konnte seine Menschlichkeit unter einem unmenschlichen Gefängnisregime auch deshalb bewahren, weil er nicht in jene Falle ging, in die viele Revolutionäre gerieten und späterhin als Diktatoren endeten. Vergleicht man seine Briefe mit der herrischen Diktion, in der etwa Lenin aus der Verbannung schrieb, zeigt sich die Wahrheit der französischen Sentenz "Der Stil ist der Mensch selbst". Mandela ist, ohne im Kampf gegen die Apartheid je Konzessionen gemacht zu haben, von einer so souveränen Freundlichkeit und Konzilianz, die schließlich nicht nur viele seine Wärter überwältigte, sondern auch den letzten Apartheid-Präsidenten de Klerk überzeugte: Wenn einer den Bürgerkrieg verhindern konnte, dann allein jener Mann, den seine Freunde "Madiba" nannten.
Nelson Mandelas Gefängnisbriefe heute zu lesen, ist ein wunderbares Antidot zur Versuchung, angesichts gegenwärtiger Krisen in larmoyante Rhetorik zu verfallen. Er leuchtet und ermutigt noch immer.
Nelson Mandelas Gefängnisbriefe heute zu lesen, ist ein wunderbares Antidot zur Versuchung, angesichts gegenwärtiger Krisen in larmoyante Rhetorik zu verfallen. Er leuchtet und ermutigt noch immer.
In unserer Sendung Zeitfragen sprachen wir mit unserem Kritiker Marko Martin außerdem über Ndaba Mandela, den Enkel Nelson Mandelas, dessen Buch "Mut zur Vergebung" über das Vermächtnis seines Großvaters gerade auf Deutsch erschienen ist. Den Großvater erkennt man im Enkel allerdings nicht wieder, so Martin - dies gelte auch für die sudafrikanische Gesellschaft.
Doch "in dem Maße, wie Ndaba Mandela sich an seinen Großvater und an die Gespräche am Küchentisch erinnert hat, wurde aus einem blasierten Geschäftsmann Ende 40 wieder ein sehr sympathischer Zeitgenosse, der vielleicht das Beste, was sein Großvater ihm geben kann, in einem Teil seines Wesens noch gespeichert hat. Und dann war wieder die Gangsta-Rapper-Attitüde da, wie ihn auch die südafrikanische Öffentlichkeit erlebt. Aber in dem Maße, als er sich erinnerte, was für Gespräche er hatte, wie er als Waise von seinem Großvater, der noch die ganze Last der Gefängnisjahre mit sich trug, behütet und aufgezogen wurde, in dem Maße gab es ein Humanum, was mich als Besucher durchaus berührte."
Hier können Sie das Gespräch in voller Länge nachhören: