Neo Rauch und sein "Protestbild"

Wer ist denn nun der "Anbräuner"?

08:21 Minuten
Der Künstler Neo Rauch steht in der Grafikstiftung in seiner Ausstellung "Die Stickerin", aufgenommen 2018
Der Künstler Neo Rauch ist nicht nur für seine Bilder bekannt, sondern auch für die eine oder andere umstrittene Interviewäußerung. © Klaus-Dietmar Gabbert / picture alliance
Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Timo Grampes |
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Der Kritiker Wolfgang Ullrich rückt Neo Rauch in die Nähe rechter Künstler - der Maler quittiert das mit einem Bild. Ist mit "Der Anbräuner" der Kritiker gemeint? Ullrich dreht diese Lesart um und sagt: Der Maler könnte sich selbst meinen.
Es begann mit einem "Zeit"-Artikel Ende Mai. Darin rückte der Kunstkritiker Wolfgang Ullrich den Leipziger Maler Neo Rauch in die Nähe rechts gerichteter Künstler, die sich in Deutschland in einer Art DDR 2.0 fühlten.
Der Maler reagierte jetzt im gleichen Medium mit einem Bild. "Der Anbräuner" zeigt einen Maler auf einem Nachttopf, der mit seinen Fäkalien eine Gestalt auf die Leinwand malt, die die Hand zu Hitlergruß zu erheben scheint. Die im Gemälde untergebrachten Initialen "U.W." scheinen darauf hinzudeuten, dass hier Rauchs Kritiker Ullrich dargestellt sein soll.
Der kritisierte Kritiker legte nun im Interview mit Deutschlandfunk Kultur seine eigene Deutung des Bilds vor, in der er diese Lesart umdreht. "Neo Rauch ist ja stolz darauf, dass seine Bilder vieldeutig sind", sagte Ullrich. "Und ich glaube, er malt in dem Bild sich selbst in der Situation, wo er sich so bedroht fühlt durch diese vermeintlichen Blockwarte und Politkommissare, von denen ich offenbar einer bin."

"Der gemalte Meinungskorridor"

Rauch zitiere hier einen beliebten kunsthistorischen Topos, der Künstler auf einem engen Dachboden, am Rande der Gesellschaft. "Er demonstriert damit seine Unabhängigkeit von der Gesellschaft", interpretiert Ullrich. "Aber gerade die scheint Rauch jetzt bedroht zu sehen durch diejenigen, die ihn sozusagen politisch wahrnehmen oder verhören oder ihm Aussagen aus Interviews übelnehmen. Denen will er jetzt zeigen, was sie damit anrichten."
Ullrich betont die Aufgespaltenheit der abgebildeten Malerfigur. "Ich finde, diese aufgespaltene Figur legt nahe, dass er das, was er malt, eben gar nicht als seine freie Entscheidung ansieht, sondern sozusagen seine wahre Identität nur noch als schattenhaft empfindet und sich eben in diese andere Rolle gedrängt fühlt - und deshalb dann auch das macht, was man in dieser Rolle von ihm erwartet, nämlich irgendwelche Nazis malt, sich aber auch verfolgt fühlt."
Mit einem Begriff des Schriftstellers Uwe Tellkamp von den angeblich sehr engen "Meinungskorridoren" glaubt Ullrich: "was Sie hier sehen, ist der gemalte Meinungskorridor, in dem sich der Maler eingezwängt fühlt."

"Mentalitätsgeschichtliches Dokument"

Persönlich betroffen fühle er sich nicht, sagte Ullrich. "Ich finde mich selbst so wenig in der Rolle eines Anbräuners. Ich habe Rauch rechte Motive unterstellt, aber ihn keineswegs zum Nazi gemacht - das macht er schon selber."
Ullrich will den Vorgang auch nicht als persönliche Geschichte verstanden wissen. Er habe sich als Kritiker geäußert, Rauch als Maler geantwortet. Der Kunsthistoriker sieht in dem durchaus mehrdeutigen "Protestbild" ein "mentalitätsgeschichtliches Dokument" - und auch einen Appell an eine größere Öffentlichkeit, sich damit zu beschäftigen.
(fmay)
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