Neonazis, Antifa und die gelenkte Demokratie
Unter russischen Neonazis herrscht eine extreme Gewaltbereitschaft. Hunderte Menschen wurden in den letzten Jahren verprügelt oder erstochen, weil sie Migranten, Schwule oder Hip-Hopper waren. Die russische Antifa hat den Rechten den Kampf angesagt - manche bezahlen dafür mit dem Leben.
Am Eingang des Moskauer Stadtgerichts muss Maxim Solopow seine Pistole abgeben. Statt der schwarzen Kluft europäischer Autonomer hat der 24-jährige Antifaschist heute einen weiten Sportanzug angezogen, damit seine kugelsichere Weste nicht zu sehr auffällt. Maxim darf sie sogar anbehalten, als er die Sicherheitskontrolle passiert. Heute stehen Neonazis vor Gericht, die wegen mehrfachen Mordes angeklagt sind. Maxim will sichergehen, dass alles rechtmäßig abläuft. Seit fünf Jahren kämpft er gegen die Rechtsradikalen, er hat viele seiner Freunde in diesem Kampf verloren.
Vor dem Moskauer Stadtgericht stehen heute 12 Mitglieder einer nationalsozialistischen Splittergruppe, die 27 Menschen umgebracht haben sollen, darunter einen von ihren Genossen, den sie für einen V-Mann der Polizei hielten. Sein Körper wurde vor laufender Handykamera zerstückelt. Einen 16-jährigen Freund von Maxim, der unterwegs zu einem Konzert war, haben diese Rechtsextremisten mit 34 Messerstichen getötet.
Unterwegs zum Gericht hat sich Maxim öfter umgeschaut, ob ihm jemand gefolgt ist. Keine Nazi-Skinheads waren zu sehen. Erst im Foyer des Gerichts erkennt Maxim einen von ihnen. Dabei sieht der stämmige Mann über 30 nicht wie ein Skinhead aus: Ein voluminöser Vollbart, keine Glatze. Das ist Dmitrij Djomuschkin, der Chef des Slawischen Bundes, einer der größten Neonazigruppen in Russland. Er redet lächelnd mit den Anwälten der Angeklagten und wirkt bestens gelaunt, obwohl der Slawische Bund vor kurzem verboten wurde. Der Prozess scheint eine gute Wendung für die Neonazis zu nehmen. Die Verhandlung wurde vertagt und an ein Militärkollegium übergeben. Das bedeutet: Keine Presse, keine Geschworenen, keine Beobachter. Maxim ist umsonst gekommen.
Sie hätten mächtige Sympathisanten, erklärt Djomuschkin:
"In den Medien werden die Skinheads als betrunkener Abschaum dargestellt, der tadschikische Gastarbeiter verprügelt. Natürlich gibt es solche, aber der Kern unserer Bewegung sind gestandene Leute. Im Vorstand des Slawischen Bundes sitzt einer der Leiter des Ministeriums für Schwerindustrie. Oder ein leitender Manager der Firma Boing in Russland. Wir haben Anhänger in der Generalstaatsanwaltschaft, und beim Föderalen Sicherheitsdienst."
Fremdenfeindlichkeit ist längst gesellschaftsfähig in Moskau, einer reichen Metropole mit bis zu zwei Millionen Gastarbeitern. Tadschikische Straßenkehrer oder moldawische Maurer erledigen Arbeiten, die für Moskauer nicht fein genug oder zu schlecht bezahlt sind. Sie werden ausgebeutet und ausgegrenzt.
Nicht nur Rechtsradikale nutzen xenophobe Stimmungen aus. Auch der Staat unterstützt sie. Erst nachdem die Neonazis den ranghohen Richter Eduard Tschuwaschow ermordet hatten, wurden zwei der rechtsradikalen Organisationen verboten.
"Der Inhaber dieser Nummer wird von der Polizei gesucht", das hört man, wenn man den Aktivisten des Slawischen Bundes mit dem Decknamen Tourist anruft. "Sollte Ihnen sein Aufenthalt bekannt sein, melden Sie diesen bitte unverzüglich der Polizei."
Diese Ansage hat der sich Tourist nennende Rechtsaußen statt des gewöhnlichen Rufzeichens aufgenommen. Einfach zum Spaß. Denn noch versteckt er sich nicht vor der Polizei. Tourist trägt weder Springerstiefel noch eine Bomberjacke, seine nackten Oberarme sind flächendeckend tätowiert, der Kopf ist rasiert. Es ist lange her, dass Tourist selbst Ausländer überfallen hat. Für Unbeteiligte, erzählt der 27-Jährige, hat ein Überfall so ausgesehen:
"Zehn besoffene Jugendliche treffen in einem Vorortzug auf einen armseligen Straßenkehrer oder Studenten, der das Pech hat, im selben Waggon zu fahren. Er wird brutalst verprügelt. Die Halbwüchsigen rufen 'White Power, es lebe Russland!' und ziehen davon. Mir tun die Leute nicht leid, die erstochen oder erschossen werden. Sie sind Okkupanten. Die Urbevölkerung ist ihrer Aggression ausgeliefert, und wir setzen uns zu Wehr."
Fünf enge Freunde von Tourist sitzen im Gefängnis. Er will einen anderen Weg gehen. Tourist hat eine Band und macht viel Sport: Gewichtheben und Messerkampf. Das lässt wenig Zeit für das Studium übrig, das Tourist durch einen Job als Restaurantkoch finanzieren muss. Er hat bereits mehrere Studiengänge angefangen und abgebrochen, jetzt studiert er Geschichte auf Lehramt.
In einem Moskauer Club spielt heute eine Antifa-Band. Das Konzert beginnt in zwei Stunden, aber der Eingang ist bereits von etwa 50 jungen Männern umstellt. Das ist die Schutzwache gegen die Neonazis. Maxim ist für die Sicherheit zuständig.
"Wenn wir eine Veranstaltung machen, führe ich Selbstverteidigungswaffen mit mir. Andere Aktivisten tun das auch. Angefangen mit Reizgas und bis hin zu legalen Stich- und nicht letalen Feuerwaffen. Heute habe ich eine Gummigeschosspistole der Marke Wespe dabei."
Noch kein Neonazi hat sich blicken lassen. Nach und nach stoßen die ersten Konzertbesucher dazu, immer in Gruppen von 20 bis 30 Leuten. Wer allein zu einem Antifa-Konzert unterwegs ist, riskiert sein Leben. In den letzten fünf Jahren wurden 12 Antifa-Aktivisten ermordet.
"Gehst du wirklich ohne Messer aus dem Haus?" hatte der Nazi-Skinhead Tourist gleich als Erstes zum Deutschlandradio-Reporter gesagt. "Bist du leichtsinnig, Mann."
In einem Schnellrestaurant, wo der Schwergewichtheber einen Hamburger und einen Fishburger verspeist, legt Tourist sein Messer neben das Tablett. Offiziell sei das keine Stichwaffe, nur ein Haushaltsgegenstand, meint er. Lang wie ein Brotmesser, hat das Messer in der Mitte Rillen, von denen das Blut ablaufen kann. Bei einem Zusammenstoß mit der Antifa ist es bereits zum Einsatz gekommen:
"Ich saß in der U-Bahn und las ein Buch, als mich plötzlich fünf Leute umstellt haben. Also habe ich mein Messer geholt und auf das aufgeschlagene Buch gelegt. Sie sind regelrecht erstarrt. An der nächsten Station bin ich ausgestiegen, und als ich mich dann umgedreht habe, trafen mich ihre zornigen Blicke. Zwei von ihnen hatten ein slawisches Aussehen, die anderen waren irgendwelche Mischlinge, kaukasisch, asiatisch, weiß der Geier, was da alles gemischt war."
"Hast du gerade Shalom gesagt?" fragt Tourist den Reporter, der gerade auf seinem Handy angerufen wurde. Nein, das war kein jüdischer Gruß, sondern einfach ein Ciao.
Was Tourist mit den Juden und seinen anderen Feinden machen würde, erklärt er in einem Song, den er auf Youtube online gestellt hat.
Darin singt er über Lampenschirme aus Judenhaut, Hundefutter aus den Schenkeln von Huren und über Medizinversuche mit Judenkindern. Dann sein Manifest:
"Eine Welt, bestehend aus KZs und Palästen für Übermenschen. Eine hundertprozentige Ordnung, ein ewiges Paradies, sie werden kommen, wenn du 'Sieg Heil' rufst."
Das Antifa-Konzert soll bald beginnen. Die Polizei hat Maxim vor einem geplanten Überfall gewarnt. Bisher war sie unfähig oder unwillig, Neonazi-Überfälle zu verhindern. Maxim verlässt sich lieber auf sich selbst:
"Seit zwei Jahren muss ich ständig Vorkehrungen gegen ein Attentat auf mein Leben treffen. Meine Fotos und meine Meldeadresse stehen auf rechtsradikalen Webseiten. Ich muss permanent die Wohnungen wechseln. Andere Aktivisten, die auf derselben Hitliste stehen, leben nicht mehr. Die Täter lauerten ihnen neben ihren Wohnhäusern auf und haben sie erschossen. Jetzt fordern die Neonazis den Tod meiner Freundin, die auch aktiv in der Bewegung ist."
Maxims Freundin Anja steht auch vor dem Club. Ein Auto fährt im Schleichtempo vorbei. Ob denn keiner bemerkt habe, fragt Anja, wer im Auto saß? Zwei Glatzen! Die Kundschafter der Nazi-Skinheads.
"Bei uns gibt es eine Arbeitsteilung, einige sorgen für die Sicherheit, ich organisiere legale Aktionen. Unsere Priorität ist jetzt, den Normalbürger anzusprechen. Zum Beispiel legen wir Kränze an den Soldatengräbern nieder. Wir wollen, dass sich uns alle anschließen, die gegen den Faschismus sind. Ich glaube, jeder normale Mensch sollte ein Antifaschist sein."
Das gesamte Eintrittsgeld für das heutige Konzert wird Anja an die Kriegsveteranen spenden. Den Behörden ist die Öffentlichkeitsarbeit der Antifaschisten ein Dorn im Auge. Jugendbewegungen wie alle zivilgesellschaftlichen Initiativen werden vom Kreml als potenziell subversiv behandelt.
Im russischen Fernosten wurde eine Zelle des Slawischen Bundes ausgehoben, die von Polizeibeamten geleitet wurde. Zugleich häufen sich Berichte über die Misshandlungen inhaftierter Antifaschisten. Sie werden von Polizisten verprügelt und mit fremdenfeindlichen Parolen beschimpft.
Ein Polizeiauto parkt vor dem Club und schaltet das Blaulicht ein. Nur ein Polizist sitzt drin. Die Schutzwache der Antifa behält ihre Stellung, andere Antifaschisten gehen in den Club. Das Konzert der Band "Moscow Death Brigade" beginnt.
"Spuckt dem, der das Hakenkreuz trägt, ins Gesicht!"
"Politik ist für Schwache, für Tapfere zählt die eigene Meinung."
Der Neonazi Tourist erzählt im Schnellrestaurant, er gebe seinen Kampf nach dem Verbot des Slawischen Bundes nicht auf:
"Jetzt sind unsere Leute auf sich allein gestellt. Wie werden sie weiter kämpfen? Möglicherweise werden sie wieder Menschen in den Vorortszügen erstechen. Oder sie werden Kraftwerke in die Luft jagen. Die Hauptsache ist, sie werden gegen das System kämpfen, das uns vernichten will. Aber der Sieg wird unser sein! Sollte aber die Antifa siegen, fahre ich weg von hier. So ein Russland brauche ich nicht. Die Antifa ist der Abschaum der Gesellschaft, lauter Asoziale, die für Schwulenrechte auftreten, sie stehen auf Drogen und Negermusik."
Das Antifa-Konzert ist zu Ende. Alle gehen hinaus auf die Straße. Statt Neonazis erwartet sie dort der OMON, eine Sondereinsatztruppe der Polizei.
Maxim und Anja stehen vor einer geschlossenen Schlachtreihe: Männer in Tarnuniform, um einen Kopf größer als die meisten Antifaschisten, in der Hand lange Schlagstöcke. Langsam setzt sich die Reihe in Bewegung. Diese Polizeitaktik kennt Maxim nur zu gut. So wurden die antifaschistischen Demonstrationen auseinander getrieben. So hat der OMON die Nazi-Aufmärsche vor der Antifa abgeschirmt.
Doch heute hat die Polizei anderes im Sinn. Die Menge weicht vor der immer näher kommenden Polizistenreihe zurück und setzt sich in Bewegung Richtung Metro-Station. Ein Polizeiauto mit Blaulicht und die Bereitschaftspolizisten geben ihnen sicheres Geleit.
"Die Obrigkeit hat es zu weit kommen lassen. Erst nachdem viel Blut vergossen wurde, begann sich die Situation zu ändern. Als einfache Menschen starben, seien es Migranten oder unsere Aktivisten, fiel das nicht ins Gewicht. Es mussten öffentliche Persönlichkeiten sterben, damit die Polizei einige Neonazi-Gruppen aus dem Verkehr zog. Die restlichen Gruppen radikalisieren sich, sie bauen terroristische Strukturen auf. Sie sind nicht weniger gefährlich als die islamistischen Terroristen. Aber ich habe keinen Zweifel, früher oder später wird diese Entwicklung überwunden werden. Schade, dass der Preis so hoch ist."
Vor dem Moskauer Stadtgericht stehen heute 12 Mitglieder einer nationalsozialistischen Splittergruppe, die 27 Menschen umgebracht haben sollen, darunter einen von ihren Genossen, den sie für einen V-Mann der Polizei hielten. Sein Körper wurde vor laufender Handykamera zerstückelt. Einen 16-jährigen Freund von Maxim, der unterwegs zu einem Konzert war, haben diese Rechtsextremisten mit 34 Messerstichen getötet.
Unterwegs zum Gericht hat sich Maxim öfter umgeschaut, ob ihm jemand gefolgt ist. Keine Nazi-Skinheads waren zu sehen. Erst im Foyer des Gerichts erkennt Maxim einen von ihnen. Dabei sieht der stämmige Mann über 30 nicht wie ein Skinhead aus: Ein voluminöser Vollbart, keine Glatze. Das ist Dmitrij Djomuschkin, der Chef des Slawischen Bundes, einer der größten Neonazigruppen in Russland. Er redet lächelnd mit den Anwälten der Angeklagten und wirkt bestens gelaunt, obwohl der Slawische Bund vor kurzem verboten wurde. Der Prozess scheint eine gute Wendung für die Neonazis zu nehmen. Die Verhandlung wurde vertagt und an ein Militärkollegium übergeben. Das bedeutet: Keine Presse, keine Geschworenen, keine Beobachter. Maxim ist umsonst gekommen.
Sie hätten mächtige Sympathisanten, erklärt Djomuschkin:
"In den Medien werden die Skinheads als betrunkener Abschaum dargestellt, der tadschikische Gastarbeiter verprügelt. Natürlich gibt es solche, aber der Kern unserer Bewegung sind gestandene Leute. Im Vorstand des Slawischen Bundes sitzt einer der Leiter des Ministeriums für Schwerindustrie. Oder ein leitender Manager der Firma Boing in Russland. Wir haben Anhänger in der Generalstaatsanwaltschaft, und beim Föderalen Sicherheitsdienst."
Fremdenfeindlichkeit ist längst gesellschaftsfähig in Moskau, einer reichen Metropole mit bis zu zwei Millionen Gastarbeitern. Tadschikische Straßenkehrer oder moldawische Maurer erledigen Arbeiten, die für Moskauer nicht fein genug oder zu schlecht bezahlt sind. Sie werden ausgebeutet und ausgegrenzt.
Nicht nur Rechtsradikale nutzen xenophobe Stimmungen aus. Auch der Staat unterstützt sie. Erst nachdem die Neonazis den ranghohen Richter Eduard Tschuwaschow ermordet hatten, wurden zwei der rechtsradikalen Organisationen verboten.
"Der Inhaber dieser Nummer wird von der Polizei gesucht", das hört man, wenn man den Aktivisten des Slawischen Bundes mit dem Decknamen Tourist anruft. "Sollte Ihnen sein Aufenthalt bekannt sein, melden Sie diesen bitte unverzüglich der Polizei."
Diese Ansage hat der sich Tourist nennende Rechtsaußen statt des gewöhnlichen Rufzeichens aufgenommen. Einfach zum Spaß. Denn noch versteckt er sich nicht vor der Polizei. Tourist trägt weder Springerstiefel noch eine Bomberjacke, seine nackten Oberarme sind flächendeckend tätowiert, der Kopf ist rasiert. Es ist lange her, dass Tourist selbst Ausländer überfallen hat. Für Unbeteiligte, erzählt der 27-Jährige, hat ein Überfall so ausgesehen:
"Zehn besoffene Jugendliche treffen in einem Vorortzug auf einen armseligen Straßenkehrer oder Studenten, der das Pech hat, im selben Waggon zu fahren. Er wird brutalst verprügelt. Die Halbwüchsigen rufen 'White Power, es lebe Russland!' und ziehen davon. Mir tun die Leute nicht leid, die erstochen oder erschossen werden. Sie sind Okkupanten. Die Urbevölkerung ist ihrer Aggression ausgeliefert, und wir setzen uns zu Wehr."
Fünf enge Freunde von Tourist sitzen im Gefängnis. Er will einen anderen Weg gehen. Tourist hat eine Band und macht viel Sport: Gewichtheben und Messerkampf. Das lässt wenig Zeit für das Studium übrig, das Tourist durch einen Job als Restaurantkoch finanzieren muss. Er hat bereits mehrere Studiengänge angefangen und abgebrochen, jetzt studiert er Geschichte auf Lehramt.
In einem Moskauer Club spielt heute eine Antifa-Band. Das Konzert beginnt in zwei Stunden, aber der Eingang ist bereits von etwa 50 jungen Männern umstellt. Das ist die Schutzwache gegen die Neonazis. Maxim ist für die Sicherheit zuständig.
"Wenn wir eine Veranstaltung machen, führe ich Selbstverteidigungswaffen mit mir. Andere Aktivisten tun das auch. Angefangen mit Reizgas und bis hin zu legalen Stich- und nicht letalen Feuerwaffen. Heute habe ich eine Gummigeschosspistole der Marke Wespe dabei."
Noch kein Neonazi hat sich blicken lassen. Nach und nach stoßen die ersten Konzertbesucher dazu, immer in Gruppen von 20 bis 30 Leuten. Wer allein zu einem Antifa-Konzert unterwegs ist, riskiert sein Leben. In den letzten fünf Jahren wurden 12 Antifa-Aktivisten ermordet.
"Gehst du wirklich ohne Messer aus dem Haus?" hatte der Nazi-Skinhead Tourist gleich als Erstes zum Deutschlandradio-Reporter gesagt. "Bist du leichtsinnig, Mann."
In einem Schnellrestaurant, wo der Schwergewichtheber einen Hamburger und einen Fishburger verspeist, legt Tourist sein Messer neben das Tablett. Offiziell sei das keine Stichwaffe, nur ein Haushaltsgegenstand, meint er. Lang wie ein Brotmesser, hat das Messer in der Mitte Rillen, von denen das Blut ablaufen kann. Bei einem Zusammenstoß mit der Antifa ist es bereits zum Einsatz gekommen:
"Ich saß in der U-Bahn und las ein Buch, als mich plötzlich fünf Leute umstellt haben. Also habe ich mein Messer geholt und auf das aufgeschlagene Buch gelegt. Sie sind regelrecht erstarrt. An der nächsten Station bin ich ausgestiegen, und als ich mich dann umgedreht habe, trafen mich ihre zornigen Blicke. Zwei von ihnen hatten ein slawisches Aussehen, die anderen waren irgendwelche Mischlinge, kaukasisch, asiatisch, weiß der Geier, was da alles gemischt war."
"Hast du gerade Shalom gesagt?" fragt Tourist den Reporter, der gerade auf seinem Handy angerufen wurde. Nein, das war kein jüdischer Gruß, sondern einfach ein Ciao.
Was Tourist mit den Juden und seinen anderen Feinden machen würde, erklärt er in einem Song, den er auf Youtube online gestellt hat.
Darin singt er über Lampenschirme aus Judenhaut, Hundefutter aus den Schenkeln von Huren und über Medizinversuche mit Judenkindern. Dann sein Manifest:
"Eine Welt, bestehend aus KZs und Palästen für Übermenschen. Eine hundertprozentige Ordnung, ein ewiges Paradies, sie werden kommen, wenn du 'Sieg Heil' rufst."
Das Antifa-Konzert soll bald beginnen. Die Polizei hat Maxim vor einem geplanten Überfall gewarnt. Bisher war sie unfähig oder unwillig, Neonazi-Überfälle zu verhindern. Maxim verlässt sich lieber auf sich selbst:
"Seit zwei Jahren muss ich ständig Vorkehrungen gegen ein Attentat auf mein Leben treffen. Meine Fotos und meine Meldeadresse stehen auf rechtsradikalen Webseiten. Ich muss permanent die Wohnungen wechseln. Andere Aktivisten, die auf derselben Hitliste stehen, leben nicht mehr. Die Täter lauerten ihnen neben ihren Wohnhäusern auf und haben sie erschossen. Jetzt fordern die Neonazis den Tod meiner Freundin, die auch aktiv in der Bewegung ist."
Maxims Freundin Anja steht auch vor dem Club. Ein Auto fährt im Schleichtempo vorbei. Ob denn keiner bemerkt habe, fragt Anja, wer im Auto saß? Zwei Glatzen! Die Kundschafter der Nazi-Skinheads.
"Bei uns gibt es eine Arbeitsteilung, einige sorgen für die Sicherheit, ich organisiere legale Aktionen. Unsere Priorität ist jetzt, den Normalbürger anzusprechen. Zum Beispiel legen wir Kränze an den Soldatengräbern nieder. Wir wollen, dass sich uns alle anschließen, die gegen den Faschismus sind. Ich glaube, jeder normale Mensch sollte ein Antifaschist sein."
Das gesamte Eintrittsgeld für das heutige Konzert wird Anja an die Kriegsveteranen spenden. Den Behörden ist die Öffentlichkeitsarbeit der Antifaschisten ein Dorn im Auge. Jugendbewegungen wie alle zivilgesellschaftlichen Initiativen werden vom Kreml als potenziell subversiv behandelt.
Im russischen Fernosten wurde eine Zelle des Slawischen Bundes ausgehoben, die von Polizeibeamten geleitet wurde. Zugleich häufen sich Berichte über die Misshandlungen inhaftierter Antifaschisten. Sie werden von Polizisten verprügelt und mit fremdenfeindlichen Parolen beschimpft.
Ein Polizeiauto parkt vor dem Club und schaltet das Blaulicht ein. Nur ein Polizist sitzt drin. Die Schutzwache der Antifa behält ihre Stellung, andere Antifaschisten gehen in den Club. Das Konzert der Band "Moscow Death Brigade" beginnt.
"Spuckt dem, der das Hakenkreuz trägt, ins Gesicht!"
"Politik ist für Schwache, für Tapfere zählt die eigene Meinung."
Der Neonazi Tourist erzählt im Schnellrestaurant, er gebe seinen Kampf nach dem Verbot des Slawischen Bundes nicht auf:
"Jetzt sind unsere Leute auf sich allein gestellt. Wie werden sie weiter kämpfen? Möglicherweise werden sie wieder Menschen in den Vorortszügen erstechen. Oder sie werden Kraftwerke in die Luft jagen. Die Hauptsache ist, sie werden gegen das System kämpfen, das uns vernichten will. Aber der Sieg wird unser sein! Sollte aber die Antifa siegen, fahre ich weg von hier. So ein Russland brauche ich nicht. Die Antifa ist der Abschaum der Gesellschaft, lauter Asoziale, die für Schwulenrechte auftreten, sie stehen auf Drogen und Negermusik."
Das Antifa-Konzert ist zu Ende. Alle gehen hinaus auf die Straße. Statt Neonazis erwartet sie dort der OMON, eine Sondereinsatztruppe der Polizei.
Maxim und Anja stehen vor einer geschlossenen Schlachtreihe: Männer in Tarnuniform, um einen Kopf größer als die meisten Antifaschisten, in der Hand lange Schlagstöcke. Langsam setzt sich die Reihe in Bewegung. Diese Polizeitaktik kennt Maxim nur zu gut. So wurden die antifaschistischen Demonstrationen auseinander getrieben. So hat der OMON die Nazi-Aufmärsche vor der Antifa abgeschirmt.
Doch heute hat die Polizei anderes im Sinn. Die Menge weicht vor der immer näher kommenden Polizistenreihe zurück und setzt sich in Bewegung Richtung Metro-Station. Ein Polizeiauto mit Blaulicht und die Bereitschaftspolizisten geben ihnen sicheres Geleit.
"Die Obrigkeit hat es zu weit kommen lassen. Erst nachdem viel Blut vergossen wurde, begann sich die Situation zu ändern. Als einfache Menschen starben, seien es Migranten oder unsere Aktivisten, fiel das nicht ins Gewicht. Es mussten öffentliche Persönlichkeiten sterben, damit die Polizei einige Neonazi-Gruppen aus dem Verkehr zog. Die restlichen Gruppen radikalisieren sich, sie bauen terroristische Strukturen auf. Sie sind nicht weniger gefährlich als die islamistischen Terroristen. Aber ich habe keinen Zweifel, früher oder später wird diese Entwicklung überwunden werden. Schade, dass der Preis so hoch ist."