Kitsch, Trash, Kunst
Preisschilder, Flyer, Paketaufkleber: Neonfarben tauchen vor allem in der Welt der Werbung auf. Dass sie jedoch eine völlig andere Entstehungsgeschichte haben und wie sie von Künstlern entdeckt wurden, zeigt jetzt eine Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt
„Neonfarbe polarisiert einfach. Man liebt sie oder man hasst sie - und das von Anfang an, seit den 50er-Jahren. Seit die ersten Künstler Neonfarbe verwendet haben, haben es die einen Betrachter oder auch Künstler geliebt und die anderen haben es gehasst und gesagt, bleibt mir nur weg mit dem Zeug.“
Die Beobachtung der Kuratorin Amely Deiss spiegelt sich auch im Spektrum der Werke wieder, die sie für die Schau ausgewählt hat: Rupprecht Geiger verwendete als einer der ersten Künstler bereits in den 50er-Jahren Leuchtfarben, weil er von ihrer Strahlkraft fasziniert war und ihre räumliche Wirkung erprobte. Einen kühlen Schauder verschafft dagegen ein stetig wachsender, quietschpinker Kristallbaum, der auf den ersten Blick sofort Kitsch, Trash und Künstlichkeit assoziieren lässt:
“Das ist eine Arbeit von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, in die wir Kunstdüngerlösung gießen. Die haben wir hier mitgeliefert bekommen in sechs großen Flaschen, die alle säuberlich beschriftet sind. Als wir die Arbeit aufgestellt haben, war das einfach eine Etagere mit einem blauen Eimer ohne irgendwas Pinkfarbenes drin. Gießt man nach und nach diese Flüssigkeit rein und wartet ein paar Stunden oder Tage, dann sprießen immer mehr von den Kristallen, die richtig neonpink sind - sieht aus wie giftige Korallen oder so was und das zeigt auch ganz gut die Verbindung zwischen Natur und Kultur, die in den Arbeiten von Lenzlinger/ Steiner immer vorherrscht.“
Warnfarben im Fahrzeugbau und in der Schiffahrt
Dass Leuchtfarben als schreiend und aufdringlich empfunden werden können, hat mit ihrer Entstehungsgeschichte zu tun, denn sie wurden in den USA als Warnfarben entwickelt. Leuchtende Lacke kamen dort in den 40er-Jahren vor allem im Fahrzeugbau und bei der Schifffahrt zum Einsatz: Sie markierten durch ihre Signalwirkung potenziell gefährliche Fahrzeugteile.
Rupprecht Geiger ließ in den 50er-Jahren seine Farben von Freunden aus den USA mitbringen, bis sie einige Jahre später auch in Deutschland erhältlich waren. Die Geschichte der Leuchtfarben erstreckt sich, weil sie spätestens seit den 80er-Jahren mit der Textilindustrie und der Mode verbunden ist, über verschiedene Kontinente. Auch das wird in der Ausstellung deutlich. Der indonesische Künstler Yudi Noor verweist in seiner Arbeit auch auf einen kritischen Aspekt der Textilindustrie:
“Er erzählt gerne diese Geschichte, dass er auf Java aufgewachsen ist, da gibt’s eine große Textilindustrie und an seinem Heimatort ist ein Fluss vorbeigelaufen. An einem Tag war der knallgrün, am anderen gelb und am nächsten leuchtend pink und das hat ihm als Kind wahnsinnig gut gefallen, alle Farben, aber das Pink war für ihn so anziehend und märchenhaft, dass er da baden wollte und irgendwann, als junger Mann hat er gemerkt, das ist alles nicht so gesund und nicht so schön, aber die Faszination für diese märchenhafte Farbe hat er sich beibehalten und die kommt fast in jeder seiner Arbeiten vor.“##
Pionierarbeit auf dem Feld der Farbforschung
Die Bezeichnung „Neon“, wie sie auch im Titel der Schau steckt, ist eigentlich irreführend, denn Neon steht in seiner ursprünglichen Bedeutung für ein chemisches Element, genauer: ein farbloses Edelgas, mit dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Leuchtstoffröhren zum Strahlen gebracht wurden. Als Farbbezeichnung meint Neon zum einen Tagesleuchtfarben, die die Eigenschaft haben, besonders viel Licht zu reflektieren. Zum anderen versteht man darunter fluoreszierende Farben, die im Dunkeln leuchten, weil sie Lichtenergie speichern und allmählich wieder abgeben können.
Die Ausstellungsmacher haben ihr Thema bewusst eingeschränkt, sie widmen sich allein dem Phänomen Farbe, nicht dem gleichnamigen Neon-Licht. Dadurch leistet die Schau in Ingolstadt Pionierarbeit auf dem Feld der Farbforschung:
„Die Geschichte der Tagesleuchtfarbe ist ziemlich schwierig zu rekonstruieren, weil es dazu kaum Material gibt, kunsthistorisch gibt’s fast gar nichts. Es gibt aber auch farbhistorisch sehr wenig. Wenn man jetzt in die Farbanthologien schaut, ist jede Farbe und jedes Pigment behandelt, aber die Neonfarbe kommt ziemlich stiefmütterlich dabei weg.“
Daher unternimmt der ansprechend konzipierte Katalog auch eine Spurensuche zu den Anfängen von Leuchtfarben in der Kunst: Max Beckmann hat bereits 1941 in seinem „Selbstbildnis mit grauem Schlafrock“ ein industriell hergestelltes, fluoreszierendes Leuchtpigment verwendet.
Besonders plastisch wird in der Ausstellung die Wechselwirkung von Alltagsphänomenen und Kunst in Bezug auf Leuchtfarben. Sehr sinnlich sind die Objekte inszeniert und die Eigengesetze der Neonfarben treten klar hervor, nämlich Aufmerksamkeit zu ködern, starke Raumwirkungen herzustellen und Vorstellungen von Künstlichkeit zu wecken. Doch von wegen schreiend und schrill: Auch subtile und indirekte Phänomene können entdeckt werden, wenn etwa ein Feld weißer Würfel leuchtende Farbschatten reflektiert.