Aus der Trümmerwüste ins Bordell
Fast wäre die 13jährige Maya aus Nepal in ein Bordell verschleppt worden – Opfer skrupelloser Schlepper. Sie nutzten die Notsituation vieler Menschen nach dem Erdbeben. Und immer noch sind die falschen Versprechen der Menschenhändler eine Gefahr für die Familien.
Dass irgendetwas nicht stimmte, das ahnte Maya erst, als eine Polizistin auf sie zukam. Maya saß in einem Bus. Neben ihr eine Frau. Eine Nachbarin aus ihrem Dorf, der Maya bisher vertraut hatte.
"Die Polizistin fragte mich: Wohin willst Du denn fahren? Und ich sagte: Nach Kathmandu. Dann sagte die Polizistin: Aber wenn Du nach Kathmandu willst, was machst Du dann hier an der Grenze zu Indien? Dann erklärte sie mir, dass mich meine Nachbarin wohl nach Indien habe schmuggeln wollen."
Die Beamtin zog Maya aus dem Bus und ließ die Frau neben ihr verhaften. In dem Moment dämmerte es dem 13 Jahre alten Mädchen, das sie so gerade noch einer weiteren Katastrophe in ihrem Leben entkommen war. Das war im September 2015, knapp fünf Monate nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal.
"Das Erdbeben hatte unser Haus völlig zerstört. Ich hatte die Nachbarin kurz danach getroffen. Sie sprach mit mir darüber, dass ich doch in Kathmandu arbeiten könnte. Ich fand, das war eine gute Idee."
Denn Mayas Familie ist nicht nur bitterarm, sie lebt auch noch im vom Erdbeben besonders betroffenen Distrikt Nuwakot. Mayas Vater ist Landwirt, die Familie gehört zu einer Bevölkerungsgruppe, die in der nepalesischen Gesellschaft ganz unten steht. Nach dem Beben fehlte es an allem. Das Wellblech für einen Unterschlupf reichte nicht aus. Die Bauern schafften es nach dem Erdbeben nicht, rechtzeitig Reis anzubauen. Sie sind noch immer auf Lebensmittel-Lieferungen angewiesen.
"Mein Vater ist außerdem seit dem Erdbeben behindert. Er kann nicht mehr gehen. Und unser Büffel starb damals auch. Alles, was wir hatten, war zerstört."
Maya durfte niemandem von dem Jobangebot erzählen
Die schiere Verzweiflung trieb Maya in die Arme ihrer Nachbarin.
"Sie versprach mir einen Job in einem Hotel. Ich sollte fünf- bis sechstausend Rupien im Monat verdienen."
6000 Rupien, das wären etwa 50 Euro. Die einzige Bedingung, so erzählt es Maya: Sie solle niemandem von dem Plan erzählen. Nicht mal ihren Eltern oder ihren vier Geschwistern. Nach bisherigen Erkenntnissen wollte die Frau tatsächlich Maya in ein Bordell in Indien verkaufen.
Virginia Perez vom Kinderhilfswerk UNICEF in Nepal überrascht Mayas Geschichte nicht, im Gegenteil. Nach dem Erdbeben versuchten UNICEF, die nepalesischen Be-hörden und Hilfsorganisationen, die Menschen aufzuklären, per SMS, durch Besuche in zerstörten Dörfern und im Radio.
"Im Radio liefen nach dem Erdbeben sechs- bis achtmal täglich Hinweise, um die Menschen vor dubiosen Schleppern mit all ihren Versprechen zu warnen. Nach un-seren Erkenntnissen ist das bei vielen Familien auch angekommen."
Verstärkte Kontrollen von Polizei und Freiwilligen
Die Polizei und Freiwillige verstärkten zudem ihre Kontrollen auf den Straßen. Die Zahl der Kinder und Frauen, die sie nach dem Erbeben retten konnten, stieg trotzdem an, auf 195 im Monatsdurchschnitt. Vor dem Beben waren es noch pro Monat 139 Fälle - Kinder und Frauen, die entweder als Arbeitssklaven oder in Bordellen in Kathmandu und Indien landen oder weiter in den Nahen Osten verkauft werden sollten.
Ob der Anstieg der Fälle mit vermehrten Kontrollen zu tun habe oder ein Indiz für einen deutlich zunehmenden Menschenhandel sei, das lasse sich noch nicht genau sagen, meint Virginia Perez. Nur so viel: Eine schwere politische Krise und eine monatelange Blockade der Grenze zu Indien hätten die Lage der Menschen in Nepal nach dem Erdbeben weiter verschlimmert.
"Und all das führt dazu, dass das Risiko für Frauen und Kinder, einem Menschenhändler aufzusitzen, weiter sehr hoch ist. Die Armut setzt die Familien unter extremen Druck. Sie denken, es könnte helfen, wenn ein Familienmitglied im Ausland arbeitet. Also fallen viele Kinder, Frauen und Familien auf diese falschen Versprechen der Schlepper rein."
Die 13 Jahre alte Maya lebt jetzt in einem Kinderheim in Kathmandu. Ihre Eltern sind froh, dass Maya hier Unterschlupf, Essen und eine Ausbildung erhält. Auf die Frage nach ihrem Traum lächelt das Mädchen zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Maya will später einmal Schneiderin werden.