Klugheit und Grausamkeit in einer Person
Der römische Kaiser Nero ist als Christenverfolger in die Geschichte eingegangen. Doch er war auch ein hochgebildeter, kluger Mensch, sagt der Althistoriker Werner Dahlheim. Neros Problem sei es gewesen, mit dieser Klugheit richtig umzugehen.
Nana Brink: Beim Stichwort Nero fällt mir natürlich sofort ein, Grausamkeit. Und Kaiser Nero war grausam. Er hat seine Mutter umgebracht, Menschen von wilden Tieren zerfleischen lassen und Christen als menschliche Fackeln in der Arena verbrannt. Allerdings ist das kein Alleinstellungsmerkmal, viele antike Herrscher standen Nero da ja in nichts nach. Und der römische Kaiser, der antike Herrscher war mehr. Er war lange beim Volk beliebt übrigens, er war Künstler, Architekt, Reformer. Und da fragt man sich natürlich, haben wir ein falsches oder ein reduziertes Bild von Nero?
Das Rheinische Landesmuseum in Trier eröffnet heute die große Schau "Nero. Kaiser, Künstler und Tyrann". Und schon jetzt rechnen die Macher damit, dass der römische Imperator die Massen in seinen Bann ziehen wird. Der Althistoriker Professor Werner Dahlheim hat sich ausgiebig mit der römischen Kaiserzeit befasst. Guten Morgen!
Peter Ustinov im Film "Quo vadis?"
Werner Dahlheim: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wahrscheinlich graust es Sie als Wissenschaftler, aber ich muss jetzt erst mal über Peter Ustinov reden, weil er ja in "Quo vadis?" unser Nero-Bild eigentlich geprägt hat. Ustinovs Nero, der ist ja nicht nur grausam und von einer fixen Idee besessen, ein großer Künstler zu sein, sondern er ist eigentlich ziemlich dumm. Ist das nur der Film-Nero?
Dahlheim: Das ist nur der Film-Nero. Der römische Kaiser Nero war durchaus ein guter, wohlerzogener Junge, der mit 16 Jahren auf den Kaiserthron stieg. Seine Lehrer waren die besten, die es im damaligen Imperium aufzutreiben gab. Er sprach Griechisch fließend, er kannte die griechischen Philosophen, kurz: Er war ein hochgebildeter, kluger Mensch. Die Frage war, und das prägte sein Schicksal, was fing er mit seiner Klugheit an.
Brink: Aber da stockt mir so ein bisschen der Atem, wenn Sie sagen, er war ein kluger, ein guter junger Mann, und ist dann ja aber doch bekannt geworden unter anderem auch als Massenmörder, als einer, der die Christen verfolgte, sie zu Hunderten im Kolosseum aufgehängt hat.
Dahlheim: Die Christenverfolgung ist natürlich ein zentrales Thema. Wir wüssten von Nero viel weniger, wenn er nicht die Christen als Täter des Brandes von Rom verfolgt hätte. Sein Schicksal war es, dass im Sommer 64 in Rom ein verheerendes Feuer ausbrach, das weite Teile der Stadt, insbesondere die Viertel der Armen, in Schutt und Asche legte.
Das Gerücht wollte nicht verstummen, dass Nero der Schuldige sei, weil er Platz für eine neue Palastanlage gebraucht hat. Um dieses Gerücht von seiner Person abzuwenden, hat er die Christen verantwortlich gemacht für den Brand Roms und ist mit diesem Gerücht – das ja durch nichts bestätigt ist –, ist mit diesem Gerücht dann in die Weltgeschichte eingegangen als der erste große Christenverfolger.
Die Christen und der Brand Roms
Brink: Ist das typisch gewesen dann für seine Zeit, dieses Verhalten? Oder erscheint es nur jetzt uns so besonders grausam?
Dahlheim: Die Grausamkeit ergibt sich ja aus der Art der Verfolgung, nicht aus der Tatsache, dass er für den Brand Roms Schuldige suchte und fand. Nach unserer heutigen Rechtsprechung würden wir seine Entscheidung, die Christen für den Brand Roms verantwortlich zu machen, nicht auf die Goldwaage legen, sondern in dubio pro reo, im Zweifel für die Angeklagten votieren.
Generell gilt: Nero war im Volk zu dem Zeitpunkt, von dem wir reden, also im Jahre 64, als Rom brannte, schon kein beliebter Kaiser mehr. Er hatte mehr und mehr Rückhalt verloren und vor allem die wichtigsten seiner Berater gab es nicht mehr. Der eine war verstorben, der andere, Seneca, war in den Hintergrund gedrängt worden. Und die entscheidende Figur seiner Anfänge, seine Mutter Agrippina, gab es nicht mehr, die hatte er selber umbringen lassen.
Brink: Was ist das, was uns heute dann an dieser Figur so fasziniert, weshalb man ihr eine ganz große Schau widmet, wie es ja das Rheinische Landesmuseum tut?
Wie Hollywood Nero zu einer unvergesslichen Gestalt machte
Dahlheim: Die ganz große Schau ist nicht zuletzt das Ergebnis von Hollywood, das in den 50er-Jahren, angefangen mit dem Film "Quo vadis?", Nero zu einer unvergessenen Gestalt macht, unvergessen nicht zuletzt deswegen, weil in dem ersten großen Film "Quo vadis?" Peter Ustinov die Hauptrolle spielte. Und dieser Peter Ustinov hat diesem Nero Züge verliehen, die ihn im Grunde mehr unsterblich gemacht haben als der historische Kaiser Nero. Dessen Taten lassen sich leicht wiegen.
Der Mann war ein Künstler, er verstand sich so. Er war übrigens ein sehr guter Künstler. Er war blendend ausgebildet. Er war ein Sänger, er war ein Wagenlenker, er war ein Schauspieler von hohen Graden. Die Frage war nur, regiert man mit diesen Fähigkeiten ein Imperium, ein Weltreich, das an den Grenzen Krieg führte, das mit Aufständen im Inneren zu tun hatte, und vor allem, das eine vernünftige Verwaltung brauchte. Kurzum: Dass wir von Nero fasziniert sind, ist im Grunde nicht auf seine historischen Leistungen zu beziehen, sondern hat zu tun mit dem, was Hollywood aus ihm machte.
Die Antike ist ein Thema von "bewundernswerter Klarheit"
Brink: Ist das schlimm? Bekümmert Sie das als Historiker?
Dahlheim: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, weil solche Rezeptionen antiker Herrschergestalten zeigen doch, dass die Antike, die römische Kaiserzeit ein Thema von immer noch bewundernswerter Klarheit ist, in dem man alles studieren kann, worauf es für historische Fragestellungen ankommt. Man kann fragen, wie ist der Mann beurteilt worden? Antwort: Alle antiken Quellen haben ihn negativ beurteilt.
Nächste Frage: Wie stellte er sich als Kaiser vor? Wie hat er darauf geachtet, sich beim Volk beliebt zu machen? Die Antwort: Durch großzügige Geschenke, durch großzügige Noblesse gegenüber den führenden Eliten und durch die Künste seiner Lyra, die das römische Volk eine gewisse Zeit offenbar sehr angenehm, sehr belustigend fand, zumindest dies. Langer Rede kurzer Sinn: Wenn Hollywood sich mit Sandalenfilmen schmückte, so kam dies der Blick der heutigen Generationen auf die Welt der römischen Kaiser sehr wohl zugute. Und ich wäre ein Tor, dies als falsch oder negativ zu empfinden.
Brink: Der Althistoriker Werner Dahlheim. Danke für das Gespräch! Und die Ausstellung "Nero. Kaiser, Künstler, Tyrann" ist noch bis zum 16. Oktober im Rheinischen Landesmuseum in Trier zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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