Nervenkrieg um Berlin 1961
Panzer am Checkpoint Charlie: Nach dem Mauerbau 1961 wäre der Kalte Krieg fast zum heißen Krieg eskaliert. © picture alliance / akg-images
Panzer in der Friedrichstraße
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Neun Orte in und um Berlin hatten die USA 1959 für den Abwurf von Atombomben bestimmt. Das haben neueste historische Forschungen ergeben. Im Oktober 1961 wurde die Gefahr konkret. Nach dem Mauerbau eskalierte der Kalte Krieg in Berlin.
1961 ist als Jahr des Mauerbaus in die Geschichte eingegangen. Es hätte aber noch viel schlimmer kommen können. Denn für SED-Chef Walter Ulbricht war der Mauerbau eigentlich nicht die Lösung des Problems. Er wollte mehr: Westberlin. Deshalb kam es vom 25. bis 27. Oktober 1961, drei Monate nach dem Mauerbau, zu einer gefährlichen Konfrontation der Supermächte am Grenzübergang Friedrichstraße. Sowjetische und amerikanische Panzer standen sich gegenüber, die Geschütze aufeinander gerichtet.
Die Vorgeschichte beginnt 1948. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges hatten Berlin in vier Sektoren aufgeteilt. Die Angehörigen der Besatzungsmächte hatten Bewegungsfreiheit in der ganzen Stadt. Nach Ausbruch des Kalten Krieges jedoch versuchte Stalin mit der Berliner Blockade, die Westmächte zum Abzug aus den Westsektoren Berlins zu zwingen. Doch mit der Luftbrücke 1948/49 zwangen die Westmächte Stalin, seinen Plan aufzugeben.
Berlin-Ultimatum: Würden die Westmächte in Berlin bleiben?
Die Frage war noch nicht entschieden: Wie lange würden die Westmächte Westberlin noch halten wollen und können? 1961 sollte zum Jahr der Entscheidung werden. Stalins Nachfolger Chruschtschow war selbstbewusster denn je. Die Sowjetunion war Atommacht und als erste ins All vorgestoßen. 1958 verkündete Chruschtschow sein Berlin-Ultimatum: Die Westmächte sollten Berlin verlassen, Westberlin sollte "Freie Stadt" werden. Die Konsequenz wäre gewesen, dass Westberlin dem sowjetischen Druck ausgesetzt gewesen wäre. Die Tage der westlichen Enklave in der DDR wären gezählt gewesen.
Chruschtschow ließ sein Ultimatum zunächst verstreichen, aber 1961 ergab sich eine neue Situation. Die USA hatten einen neuen, jungen und unerfahrenen Präsidenten: den Demokraten John F. Kennedy. Der wollte Entspannungspolitik und Deeskalation, um einen Atomkrieg zu verhindern. Wenn aber die USA zugleich ihre Präsenz in Westeuropa und in Westberlin verteidigen wollten, war das ein Balanceakt.
Bei seinem Amtsantritt am 20. Januar 1961 machte Kennedy seine Verhandlungsbereitschaft, aber auch sein Selbstbewusstsein deutlich: "Wir sollten niemals aus Furcht verhandeln, aber wir sollten auch niemals Verhandlungen fürchten", sagte er.
Ulbricht droht dem Westen
Der Adressat war Chruschtschow, aber Kennedys härtester Gegenspieler war SED-Chef Walter Ulbricht. Er stellte in einer Rede zum 15. Jahrestag der SED-Gründung in Ostberlin klar, dass er sowohl die offene Sektorengrenze in Berlin im Blick hatte als auch Westberlin. Ein Friedensvertrag sollte den Sonderstatus Westberlins mit den Rechten und der militärischen Präsenz der Westmächte beenden:
"Mit Hilfe des Friedensvertrages würde auch die Westberlin-Frage gelöst. Die Bonner Regierung und auch der Westberliner Senat betreiben von Westberlin aus unter dem Schutz des Besatzungsstatuts und auch der amerikanischen, englischen und französischen Truppen mit allen, selbst kriminellen Mitteln eine verbrecherische Störtätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik und gegen die Staaten des sozialistischen Lagers.
Es ist unser legitimes Recht, dass durch den Abschluss eines Friedensvertrages und die Umwandlung Westberlins in eine entmilitarisierte Freie Stadt endlich dieser Sumpf der Korruption und des Kalten Krieges in Westberlin trockengelegt wird. Wir können und werden nicht auf Dauer dulden, dass vom Störzentrum Westberlin aus die Korrumpierung von Bürgern der DDR, ihre systematische Abwerbung, ihre Verleitung zur Verletzung unserer Gesetze organisiert betrieben wird. Mögen das alle, die es angeht, mit ganzem Ernst zur Kenntnis nehmen!
Ich wende mich an die Werktätigen Westdeutschlands und Westberlins und sage Ihnen offen: Klug sind diejenigen, die früh genug an die Sache der Arbeiterbewegung glauben und die Unabwendbarkeit des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in der ganzen Welt erkennen."
Hintergrund war die Massenflucht von DDR-Bürgern über die Sektorengrenzen nach Westberlin. Die Fluchtwelle erreichte 1961 ein Ausmaß, dass die Existenz des zweiten deutschen Staates auf dem Spiel stand.
Anfang Juni 1961 trafen sich US-Präsident Kennedy und der sowjetische Staats- und Parteichef Chruschtschow zu einem Gipfeltreffen in Wien. Kennedy hoffte auf den Beginn einer neuen Ära der Entspannungspolitik, Chruschtschow hingegen erneuerte sein Berlin-Ultimatum mit Frist zum Jahresende.
Erstmals zeigte sich: Kennedy war als Verhandlungspartner härter, als Chruschtschow erwartet hatte. Für die Lösung der Berlin-Frage hieß das: Eine Verhandlungslösung würde es nicht geben. Vergeblich hatte Ulbricht gehofft, dass Chruschtschow einen Friedensvertrag und damit die Beendigung der Besatzungsherrschaft in Berlin erzwingen könnte.
Zwei Wochen nach dem ergebnislosen Wiener Gipfel, am 15. Juni 1961, trat Ulbricht in einer Pressekonferenz vor über 300 Journalisten auf und sagte jenen Satz, der in die Geschichte eingegangen ist: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
"Sperrwand eines Konzentrationslagers"
Im Hintergrund liefen bereits die logistischen Vorbereitungen, und im Juli 1961 war Chruschtschow schließlich bereit, dem Drängen Ulbrichts nachzugeben und der Abriegelung der Sektorengrenze innerhalb Berlins zuzustimmen. Was folgte, war der Mauerbau in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961. "Sie bedeuten, dass mitten durch Berlin nicht nur eine Art Staatsgrenze, sondern die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen wird", empörte sich der Regierende Bürgermeister von Berlin (West), Willy Brandt, über die "Maßnahmen".
In Westberlin war man entsetzt, dass die Westmächte die Grenzschließung tatenlos hinnahmen. Doch US-Präsident Kennedy hatte schon am 25. Juli 1961 in einer Pressekonferenz klargestellt, worauf sich die Amerikaner im Fall des Falles konzentrieren würden. "Wir haben längst unsere Bereitschaft signalisiert, aktuelle Irritationen in Westberlin aus dem Weg zu räumen. Aber die Freiheit dieser Stadt ist nicht verhandelbar", betonte er.
Westberlin: das war Kennedys Botschaft. Mit der Abriegelung Ost-Berlins von den Westsektoren überschritten die Sowjetunion und die SED diese rote Linie nicht. Kennedys Linie im Umgang mit Chruschtschows Drohungen war hart, auch gegenüber dem eigenen Lager, aber scharf kalkuliert und durchsetzbar. Chruschtschow und Ulbricht hatten das Ziel, die Westmächte aus Berlin zu verdrängen. Der Mauerbau war nur eine Notlösung, um die Massenflucht zu stoppen. Und Ulbricht gab sich damit nicht zufrieden.
Nervenkrieg am Checkpoint Charlie
Im Oktober 1961 unternahm er noch einmal einen Versuch, am Status quo etwas zu ändern. Am 25. Oktober 1961 versuchten DDR-Grenzer, die Militärs und Bediensteten der Westmächte am Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße zu kontrollieren. Das war ein gezielter Versuch, das alliierte Recht zu verletzen, denn die DDR hatte keine Hoheitsrechte innerhalb Berlins. Die entscheidende Frage war, ob die Westmächte dies hinnehmen würden. Sie mussten darauf bestehen, dass kein DDR-Grenzbeamter sie kontrollierte. Sonst hätten sie selbst den Vier-Mächte-Status Berlins und damit die Anwesenheit der alliierten Truppen in Westberlin infrage gestellt.
Genau das wollte Ulbricht erreichen – mit dem Ergebnis, dass sich am 27. Oktober 1961 sowjetische und amerikanische Panzer am Checkpoint Charlie drohend gegenüberstanden. Eine falsche Aktion hätte eine Kettenreaktion und am Ende den großen Krieg auslösen können. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit weigerten sich die Angehörigen der Westmächte demonstrativ, sich gegenüber DDR-Grenzern auszuweisen und kehrten stattdessen am Checkpoint Charlie zurück nach Westberlin.
Nach einem tagelangen Nervenkrieg bis zum 27. Oktober folgte der genau kalkulierte und kontrollierte Rückzug der sowjetischen und amerikanischen Panzer vom Checkpoint.
Kennedys Sieg
Der Status quo in Berlin blieb unangetastet, die Westmächte blieben in Westberlin. Am Ende hatte Kennedy die Machtprobe gewonnen, weil er sich auf das Wesentliche konzentrierte: die Freiheit Westberlins. Er duldete, was nicht zu verhindern war: die Abriegelung Ostberlins. Das war der Preis, den Kennedy zu zahlen bereit war, um Westberlin zu halten.
Zehn Jahre später, 1971, regelten die Alliierten die offenen Fragen im Berlin-Abkommen. Westberlin verschwand aus dem Fokus der Weltpolitik – bis zum 9. November 1989. Wer weiß, ob es diesen Tag mit seinen Folgen gegeben hätte, wenn Westberlin 1961 nicht die eingemauerte Insel in der DDR geblieben wäre.