Warum Big Mama zum Fürchten ist
Sie möchte die Besucher zu einem sensiblen Umgang mit Daten animieren - die Schau "Nervöse Systeme" im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Die größte Attraktion ist jedoch der Nachbau des Wohnraumes in London, in dem sich Julian Assange derzeit aufhält.
Ein riesiger Raum, fast so groß wie eine Schulsporthalle, in fahles Halbdunkel getaucht. Überall Metallstangen, die vom Boden bis hinauf an die Decke reichen. Stellwände mit Bildern oder Monitoren, Monitore auch an den Wänden und einem Gerüst, das frei herumsteht, im Hintergrund ein abgeteilter Raum, ganz in Weiß - das ist mein erster Eindruck der Ausstellung "Nervöse Systeme" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Aber was soll das eigentlich sein ein "nervöses System"?
"Nervöse Systeme sind natürlich erst einmal das Nervensystem, die jeden biologischen Organismus zentral ausmachen, das ist klar, aber das ist natürlich gleichzeitig eine Metapher geworden für das Verhältnis, biologischer Organismen, vor allem Menschen zu Technologie."
Erklärt mir Anselm Frank, einer der drei Kuratoren, die die Ausstellung ausgerichtet haben. Das Verhältnis des Menschen zu einer - von ihm selbst geschaffenen - datensammelnden und verarbeiteten Welt will die Ausstellung zeigen - aber - das ist Anselm Franke wichtig.
Snowdens Enthüllungen haben nichts bewirkt
Staatliche Überwachung ist nicht das zentrale Thema, denn das sei gewissermaßen auserzählt, Snowdens Enthüllungen hätten kaum etwas bewirkt. Deswegen geht es vor allem um die Frage:
"Warum ist das so? Warum hat das keine Konsequentialität? Warum geben wir uns diesem System, dieser Logik der Rationalität, die dahinter steckt, eben auch so hin, heute?"
Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage durchstreife ich die Ausstellung, ich höre mir Texte an, die durch einen Lügendetektor analysiert werden, ich sehe ein Science-Fiction-Video über ein Gaumenimplantat, das Gefühle lesen kann, ich erforsche einen Eins-zu-eins-Nachbau des Zimmers, in dem sich seit Jahren Wikileaks-Gründer Julian Assange in London aufhält, und ich finde eine Videoinstallation, die erst durch einen Anruf meines Handys aktiviert wird.
Das ist alles ganz interessant, aber das meiste bewegt mich nicht. Ich sehe schwer überladene Kunstwerke, aber ich suche eigentlich Erfahrungen, ohne Führung und Erklärung bleibt mir das alles zu abstrakt. Eigentlich spannend, denke ich mir: Genauso geht es wahrscheinlich vielen Menschen mit dem Thema Big Data und Überwachung.
Big Mama statt Big Brother
Vielleicht ist es ja im "White Room" anders: Ein vom Rest der Ausstellung abgegrenztes Areal, weißer, spiegelnder Boden, drei weiße große Tische, eine weiße Bar mit Barhockern - darin andere Besucher und Menschen in weißen Anzügen, auf denen "Ingenious" steht.
Das wirkt vertraut: Apple-Stores sehen genauso aus und es ist sicherlich kein Zufall, dass in solchen Läden Fachberatungen durch "Genius Mitarbeiter" durchgeführt werden. Ich mag den offensichtlichen Seitenhieb, auch wenn er dementiert wird.
"Nein, das ist kein Seitenhieb, wir wollen überhaupt keine Seitenhiebe austeilen, wir wollen einfach nur mit Klischees spielen und die Besucher zum Nachdenken anregen."
Ich lasse mir den White Room von Caroline Jane Kent vom Tactical Tech Collective zeigen. Die Initiative hat nicht nur zusammen mit dem Haus der Kulturen der Welt die Ausstellung kuratiert, sondern auch den White Room erschaffen.
"Das ist unser Big-Mama-Tisch. Das ist eine Anspielung auf den sogenannten Big Brother, nur mit dem Unterschied mit Big Mama sind auch wohlmeinende datensammelnde Unternehmen oder auch Staaten gemeint."
"Wohlmeinend" heißt hier "nicht auf den ersten Blick gruselig". Denn auf dem Tisch liegen Dokumente, die zum Beispiel zeigen, dass in Nigeria der Personalausweis von Mastercard - einem Kreditkartenunternehmen - angefertigt werden soll. Das hinterlässt bei mir einen angenehmen Grusel – weil klar ist: Das ist nicht toll, aber ich bin ja selbst auch nicht betroffen.
In der Hand von datenverarbeitenden Unternehmen
Auch auf den anderen Tischen liegen Exponate, die zeigen, wie fest wir und unsere Welt in der Hand von datenverarbeitenden Unternehmen sind und wie man dieser Welt ein Schnippchen schlagen kann. Dazu führt mich Carolin an ein Metronom.
"Quasi ein Metronom mit einem sogenannten Fitbit. Davon gibt es auch mehrere Produkte, die man tragen kann, um seine Gesundheitsdaten zu monitoren, und man kann, ich kanns kurz anmachen, und dann hört man das Metronomklicken."
An dem Metronom ist ein Schrittzähler befestigt: Wenn das Metronom wackelt, denkt das Gerät, man würde joggen. Eine kleine Subversivität im Zeitalter der Körperoptimierung durch Selbstüberwachung.
Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil das das einzige Ausstellungsstück ist, dass den Sprung vom Kunstwerk in meine private Realität schafft. Der Rest ist zwar nicht unspannend, aber vieles hätte ich mir auch im Netz anschauen können: Apps und Videos, die zum Beispiel erklären, wie mein Datenschatten im Netz aussieht, wie leicht sich Webinhalte manipulieren lassen und welche Alternativen zu beliebten Apps und Webdiensten es gibt, die datensparsam sind.
Spielerischer Umgang mit eigenen Daten
Caroline Jane Kent und das Tactical Tech Collective hoffen so den Besuchern etwas mitgeben zu können:
"Ich hoffe, dass sie zum einen ein bisschen darüber nachdenken, was ihre Geräte können, dass sie einfach darüber nachdenken, welche Funktionen sie wirklich brauchen, und dass sie vielleicht auch lernen, dass nicht alles bierernst ist, dass man auch spielerisch mit seinen eigenen Daten umgehen kann."
Bei mir bleibt trotzdem das Gefühl, dass ich mir irgendwie mehr als ein Mitmach-Museum, als nur bloße Präsentation wünsche. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich mich mit solchen Sachen sowieso viel beschäftigte und deswegen selbst wenig Neues lerne.
Wer aber einen sanften Einstieg in das Thema möchte, ist hier im White Room gut aufgehoben, an bestimmten Tagen soll es auch Workshops für die Besucher geben. Ich verabschiede mich vorerst und gehe noch einmal in das Austellungsstück, dass mich dann doch begeistert hat: Das Zimmer von Julian Assange - schließlich hat man ja nicht alle Tage die Möglichkeit in den Sachen eines gesuchten Hackers herumzukramen.