"Schumacher" (2021), Regie: Vanessa Nöcker, Michael Wech, Hanns-Bruno Kammertöns, 112 Minuten. Ab dem 15. September bei Netflix.
"Michael hat uns immer beschützt, jetzt beschützen wir ihn"
05:13 Minuten
Seit seinem schweren Skiunfall 2013 wird Formel-1-Pilot Michael Schumacher von seiner Familie vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Für die Netflix-Doku "Schumacher" geben Ehefrau und Kinder jetzt einen Einblick in ihr Leben. Ein bisschen jedenfalls.
"Ich meine, jeder vermisst Michael", sagt Corinna Schumacher. "Aber Michael ist ja da, so. Anders. Aber er ist da und das gibt uns allen Kraft, finde ich."
Man kann es machen wie die Boulevardmedien und die Dokumentation "Schumacher" vor allem mit Blick darauf schauen, was über den Gesundheitszustand des Titelhelden erzählt wird. Aber das führt nicht weit, weil Ehefrau Corinna sich auch vor der Filmkamera bedeckt hält.
"Der Schnee ist nicht optimal"
Wie seit dem Skiunfall von Schumacher Ende 2013 in den französischen Alpen: "In Méribel war es ja noch so, dass er zu mir noch kurz vorher sagte: Der Schnee ist nicht optimal. Wir könnten ja nach Dubai fliegen und dann gehen wir da springen."
Deshalb sollte man "Schumacher" als Film schauen – mit Blick auf "Senna" aus dem Jahr 2010, den wohl besten Dokumentarfilm, den es über die Formel 1 gibt.
Zumal man von Michael Schumacher nicht erzählen kann, ohne von Ayrton Senna zu erzählen. Der Brasilianer war der herausragende Fahrer der späten Achtzigerjahre, ein Popstar, der aussah, als wäre er einem Nouvelle-Vague-Film entstiegen, und der "nur" dreimal Weltmeister wurde, weil er Anfang der Neunzigerjahre ein unterlegenes Auto fuhr.
Das ist die Zeit, in der Schumacher in der Formel 1 beginnt, und Schumacher ist es, der hinter Senna fährt, am 1. Mai 1994, beim berüchtigten Rennen in Imola.
Nach Sennas Tod ist Schumacher die Nummer eins
Das junge Talent setzt den alternden Star unter Druck, und wo der "Senna"-Film die Sekunden vor dem tödlichen Unfall mit Bildern aus Sennas Perspektive im Rennauto zeigt, greift der "Schumacher"-Film nun auf Filmmaterial aus dessen Auto zurück. Schumacher gewinnt das Rennen, über Senna heißt es da, er liege im Koma.
Für die Formel 1 ist die Sache nach dem Tod Sennas klar, wie im "Schumacher"-Film der britische Sportreporter Richard Williams sagt. Schumi wird zur neuen Nummer eins im Fahrerfeld:
"Nachdem Senna weg war, war Michael Schumacher jetzt die Nummer eins in diesem Sport."
Auch wenn er seine erste Weltmeisterschaft erst am Ende der Saison gewinnt.
An die frühen Erfolge schließt sich eine Durststrecke an, Schumacher muss bei Ferrari an der Entwicklung des richtigen Autos mittüfteln. Der Film erzählt diesen Umweg als Herausforderung – und Schumacher als Underdog, der seit der Kindheit besser Gokart-Rennen fahren musste als die anderen, weil er kein Geld für gutes Material hatte. Ex-Manager Willi Weber erzählt:
"Niki Lauda hat mich angesprochen, bei McLaren ist er einer unter vielen, die im Auto sitzen und Rennen gewinnen. Bei Ferrari ist er ein Ausnahmefall, ein Pilot, dem es dann gelingt, nach vielen Jahren der Abstinenz mit diesem Ferrari Rennen zu gewinnen. Und dann kam dieser Kampfgeist in ihm hoch, den er auch im Kart entwickelt hat. Er hat ja mit gebrauchten Karts und mit gebrauchten Reifen gewonnen."
Kombiniert wird die Aufstiegsgeschichte mit einer Perfektionserzählung. Schumacher, der sich um alles kümmert, alle motiviert, weil er der Beste sein will. Seine mitunter aggressive Fahrweise, die Konkurrenten strategisch in Unfälle verwickelt, wird verbucht unter übernatürlichem Ehrgeiz.
"Michael ist Steinbock, im Zeichen als Steinbock geboren und ein Steinbock wird sich niemals entschuldigen. Der kann sich nicht entschuldigen, und er machte auch keine Fehler. Das Wort Fehler existiert bei einem Steinbock nicht."
Lobhudelei zu Werbemusik-Geklimper
Wenn Schumacher dann seine fünf WM-Titel in Folge gewinnt, geht dem Film erzählerisch die Luft aus. Er flüchtet sich in Lobhudelei zu Werbemusik-Geklimper.
In diesen Momenten wird deutlich, dass der Film "Schumacher" nichts herausfinden will über seine Titelfigur, dass das Regie-Trio nicht unabhängig, sondern im Sinne der Familie erzählt. Der Film "Senna" hatte das Leben seines Helden als nationale Tragödie beschrieben. Die Dokumentation "Schumacher" macht PR für eine Marke. Bei der die aktive Managerin schon mal als Zeitzeugin auftritt, um Schumachers Comeback mit Floskeln schönzureden:
"Das war noch mal eine andere Phase, es war eine ganz andere Herangehensweise für ihn, weil er gemerkt hat, ich kann diese Formel 1 jetzt ganz anders erleben. Aber dadurch, dass ich gerade nicht der Weltmeisterschaftsawärter bin, das war für ihn einfach spannend und auch interessant."
So sehr man verstehen kann, dass die Familie sich nach dem Ski-Unfall medial abschottet – "Michael hat uns immer beschützt, und jetzt beschützen wir Michael", sagt Ehefrau Corinna – einen guten Film kann man so nicht machen.