Netflix-Doku über Cambridge Analytica

Wenn Daten die Welt manipulieren

06:46 Minuten
Graphische Darstellung zum Datenskandal der Firma Cambridge Analytica. Zu sehen ist das Facebook Logo auf einem Smartphone.
Facebook spielt ebenfalls eine dubiose Rolle im Datenskandal um die Firma Cambridge Analytica. © picture alliance/dpa/Jaap Arriens
Von Patrick Wellinski |
Audio herunterladen
Mit der illegalen Auswertung von über 85 Millionen Facebook-Profilen hat die Firma Cambridge Analytica politische Kampagnen wie den Brexit und die Wahl von Trump beeinflusst. In der Doku "The Great Hack" rollt Netflix den Skandal noch mal auf.
"Wer von Ihnen hat schon mal eine Werbeanzeige gesehen, bei der er gedacht hat, das Mikrofon seines Smartphones hat gerade mitgehört?" fragt der amerikanische Medienprofessor David Carroll seine Studenten. "Sie glauben, wir werden belauscht? Tatsächlich ist es aber so, dass ihr Verhalten richtig kalkuliert wird."
Und weil es beim reinen Vorhersagen unseres Konsumverhaltens nicht geblieben ist, steht David Carroll am Anfang des Cambridge Analytica-Skandals und damit auch der Dokumentation "The Great Hack". Der Professor verklagt das bis dato unbekannte Unternehmen auf Herausgabe seiner Daten, um zu erfahren, ob und wie sie für Zwecke politischer Einflussnahme genutzt wurden: "Ich hatte mir schon seit einiger Zeit Gedanken darüber gemacht, wie persönliche Daten missbraucht und unsere Zukunft beeinflusst werden könnte. Doch erst nach den Wahlen 2016 wurde mir klar, dass es schon längst passiert war."

Aufdecken des Überwachungsmolochs

Carrolls Recherche ist die Treppe ins Herz der Daten-Finsternis. Peu à peu deckt er auf, dass illegalerweise Persönlichkeitsprofile von Millionen von Menschen erstellt wurden, um potentielle Wähler im US-Wahlkampf 2016 von Donald Trump zu überzeugen. Wie das geschah und wie weitreichend die Big Data Methoden in unser Leben reichen, das erfährt Carroll erst, als er in Großbritannien auf die Spur von Cambridge Analytica und seinem Chef Alexander Nix kommt.
Dort trifft der US-Professor dann auch auf die Investigativjournalistin Carole Cadwalladr. Sie recherchierte über die Hintermänner der Brexit-Kampagne und fragte sich, wie der Ausgang des Referendums überhaupt zustande kommen konnte. Durch einen Informanten landet auch sie bei Cambridge Analytica und stößt auf die dubiose Rolle von Facebook.
Carole Cadwalladr: "Und dann erzählte er mir alles Mögliche darüber, dass sie künstliche Intelligenz verwendet hatten und Informationen von Facebook anzapften. Er meinte: ' Es ist unheimlich, Carole, wie viel Informationen man über Menschen erhalten kann. Und sie geben sie dir einfach. Freiwillig! Es ist absurd.'"
Das Regie-Ehepaar Jehane Noujami und Karim Amer, die für ihren Dokumentarfilm "The Square" über den arabischen Frühling eine Oscar-Nominierung erhalten haben, konzentrieren sich in "The Great Hack" in Anbetracht der Komplexität des Skandals vor allem auf die Chronologie der Ereignisse. Gemeinsam mit ihren Protagonisten rekonstruieren sie alle bekannten Tatsachen über die Arbeitsweise von Cambridge Analytica.
Nach und nach wird durch Informationen von zwei Whistleblowern die Skala des kapitalistischen Überwachungssystems deutlich. An die begehrten Daten gelangte das Unternehmen durch gratis Online-Fragebögen auf Facebook. Damit war der Weg frei für eine illegale Datenverwertung, die alles Dagewesene zu übertreffen scheint.
Ausschnitt aus "The Great Hack":
"Wir verwendeten Dinge wie Statusmeldungen, Likes, persönliche Nachrichten. Wir benötigten lediglich die Daten von ein paar Hunderttausend Leuten, um ein psychologisches Profil jedes Wählers in den USA zu erstellen." / "Und die Leute wussten nicht, dass ihre Daten dafür verwendet wurden?" / "Nein."
"The Great Hack" zeigt eindrücklich, wie diese Büchse der Pandora im 21. Jahrhundert geöffnet wurde. "Ein unethisches Experiment" nennt es einer der Whistleblower. Eines, das seit fast zehn Jahren unbemerkt und illegal unsere Daten ausnutzte, um auf der ganzen Welt Wahlen zu manipulieren. Besonders beliebt scheint die Methode bei der neuen Rechten zu sein. Trump in den USA, Nigel Farrage in Großbritannien, Bolsonaro in Brasilien. Auch aus Deutschland und Frankreich bekam das Unternehmen Anfragen, wie Brittany Kaiser, geläuterte Whistleblowerin und ehemalige rechte Hand von Alexander Nix, vor dem Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses gestand:
"Und man kann durchaus die Frage stellen, wie das ethisch von mir zu vertreten war. Allerdings habe ich es bei bestimmten Kunden auch abgelehnt, mich mit ihnen zu treffen, zum Beispiel mit der 'Alternative für Deutschland' und Marine Le Pens Kampagne."

Datenüberwachung als Normalität

"The Great Hack" ist damit eine hoch informative Pflichtlektüre unserer Gegenwart. Zwar zeigt der Dokumentarfilm keine Lösungen auf, hinterfragt auch nicht unser eigenes leichtsinniges User-Verhalten, aber er stellt die wichtigen Fragen und demonstriert so das monströse Ausmaß des Skandals, der bis in die Grundfesten des westlichen Demokratieverständnisses vordringt.
So hat der Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments in seinem Abschlussbericht festgestellt, dass der Überwachungskapitalismus außer Kontrolle geraten ist und die Wahlmechanismen der ältesten Demokratie der Welt durch diese "digitalen Gangster" nicht mehr funktionieren. Das muss man erstmal sacken lassen. Und obwohl Cambridge Analytica mittlerweile Insolvenz angemeldet hat und nicht mehr existiert, ist der Geist aus der Flasche und wird dahin auch nicht mehr zurückkehren, wie es einer der Köpfe des Unternehmens in "The Great Hack" recht reuelos zusammenfasst:
"Schließlich ist das Problem nicht ein einziges Unternehmen. Die Technologie gibt es weiterhin und wird es weiter geben. Angesichts dessen, wie schnell die Technologie voranschreitet, und der Tatsache, dass sie keiner richtig versteht und dass es vielen unheimlich ist, wird es immer solche Unternehmen geben. Es ist einfach Pech für mich, dass es Cambridge Analytica war."
Übrigens: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade Netflix den Film ausstrahlt. Netflix, mittlerweile selbst eine Art Big-Data-Unternehmen, verfolgt das Sehverhalten seiner Abonnenten sehr genau und speist aus den unter Verschluss gehaltenen Zahlen seinen ganz eigenen datenbezogenen Algorithmus.
Mehr zum Thema