Von der Straße in die Vorstandsetage
Die Netflix-Serie "The Defiant Ones" erzählt vom Leben der Musikproduzenten Dr. Dre und Jimmy Iovine. Aus einfachen Verhältnissen stammend, werden sie gemeinsam reich - und kommen dennoch nie so richtig an. Eine Dokumentation aus dem Herzen der Musikindustrie, die auch mit Ironie aufwartet.
Ein Rapper aus Compton und ein Toningenieur aus New York, Hip Hop und Rock, West und East Coast – die Produzenten Dr. Dre und Jimmy Iovine stehen für ein breites Spektrum der US-Musikindustrie. Die HBO-Doku-Serie "The Defiant Ones" erscheint jetzt in deutscher Fassung auf Netflix. Es ist eine Doppelbiografie, in der Welten aufeinanderprallen.
Dre ist der bekanntere der beiden Musikproduzenten. Er gründet die Hip-Hop-Crew N.W.A., macht 2Pac, Eminem und Kendrick Lamar groß und wird Unternehmer. Iovine wird in den 70ern Toningenieur. Er prägt den Sound von Bruce Springsteen, Patti Smith und U2 und gründet das Label Interscope. Beide haben ihre persönlichen und beruflichen Rückschläge, glauben aber an ihre Ideen und siegen am Ende. Ihr Werdegang ist auch eine Geschichte über das US-amerikanische Musikgeschäft von den 70ern bis heute.
Kreative Musikgenies oder fiese Geschäftsmänner?
Im Mittelpunkt der Doku-Serie "The Defiant Ones" steht die gemeinsame Firmengründung von "Beats By Dre" – berühmt vor allem für ihre Kopfhörer – und deren Verkauf für drei Milliarden Dollar an Apple. In vier Teilen wird erzählt, wie diese ungleiche Partnerschaft zustande kam. Dabei dreht sich alles um die Frage, ob die beiden, Dre und Iovine, kreative Musikgenies oder doch nur clevere Geschäftsmänner sind.
Der Aufstieg von N.W.A., Dres – damals noch Dr. Dre – und des Gangsta-Rap-Genres wurde vor ein paar Jahren bereits ausführlich in dem Spielfilm "Straight Outta Compton" behandelt, natürlich mit mehr Flair und Tiefgang. Aber überraschenderweise ist es die Dokumentation, die bestimmte Aspekte nicht verschweigt.
Aus dem Drehbuch des Spielfilms wurde Dres Gewalt gegen Frauen, darunter die MTV-Moderatorin Dee Barnes, herausgeschnitten. In der Doku taucht Barnes hingegen auf und erzählt ihre Geschichte. Der reale Dre – inzwischen über 50, muskelbepackt, aber irgendwie auch einsam wirkend – ist eine komplexere Figur als der eher glatte Held aus dem Spielfilm.
Auch der 65-jährige Jimmy Iovine wird komplex gezeichnet. Er verwandelt sich vom Arbeiterkind mit italienischen und jüdischen Wurzeln aus Brooklyn zum kalifornischen Milliardär.
Sie wollen den perfekten Beat
Dre und Iovine, werden beide als die Musiknerds eingeführt, die sie ja auch sind, und denen eigentlich nur der perfekte Beat, der perfekte Song am Herzen liegt. Iovine sieht auf jedem der gezeigten Fotos aus den 70ern stark übernächtigt aus, weil er nächtelang zum Beispiel obsessiv versucht, den richtigen Schlagzeugklang für "Born To Run" zu basteln, wie Bruce Springsteen selbst im Interview erzählt. Später ist er dann mit der Sängerin Stevie Nicks zusammen und arbeitet mit Tom Petty und Meat Loaf. Dies ist zwar alles nichts Neues, aber dafür sehr spannend erzählt, eben weil es den Moment zeigt, in dem der amerikanische Rock sich selbst verkauft.
Diese Kritik kommt durch, obwohl es sich um eine autorisierte Dokumentation handelt. Alles, was zu sehen ist, wurde von Iovine und Dre abgenickt. Das ist nicht unüblich. Solche Dokus zeigen daher auch, wie die Protagonisten sich selber gerne sehen würden und sind deswegen interessant.
Ein Lehrstück über sozialen Aufstieg
Da die Serie nach dem Spielfilm "The Defiant Ones" (deutscher Titel: "Flucht in Ketten") benannt ist, in dem Tony Curtis und Sidney Poitier als aneinander gekettete Sträflinge aus dem Gefängnis ausbrechen, könnte man denken, es ginge auch viel um Rassismus. Viel mehr sieht man sich aber mit einem Lehrstück über sozialen Aufstieg und seine Grenzen konfrontiert.
Iovine und Dre kommen beide aus bescheidenen Verhältnissen und werden unanständig reich. Beide kommen dennoch nie so richtig an. Dre gefährdet gar den Milliardendeal mit Apple, weil er betrunken ein Video auf Facebook postet. Er prahlt von seinem neuen Reichtum, obwohl die Verträge noch nicht unterschrieben sind. Das ist ein Moment, in dem Straße auf Vorstandsetage trifft - und es kracht.
Allen Hughes, Regisseur der Serie, hat in den 90ern Gangsterfilme wie "Menace II Society" gedreht. Er spricht von seinem neuen Produkt als "Der Pate" der Musikindustrie. Auf dieser Folie lässt sich die unbewusste Ironie ablesen: "Der Pate" endet tragisch in der totalen Korruption. Es ist diese Ironie, die die Doku so lebendig macht, wenigstens als Edeltrash.