Streaming – was bringt die Zukunft?
14:55 Minuten
Netflix alleine wird in der kommenden Dekade niemanden mehr zufriedenstellen. Dafür drängen zu viele neue Anbieter mit zu großer Auswahl auf den Markt. Was das für die Zuschauer bedeutet, erklärt Medienwissenschaftler Marcus S. Kleiner.
Netflix, Amazon Prime Video, Sky, Joyn, TVNOW, die öffentlich-rechtlichen Mediatheken, Apple TV+, DAZN und ab März auch noch Disney+ – all diese Streaming-Anbieter buhlen in Deutschland um Zeit und Aufmerksamkeit des Publikums. Wer sich einst mit dem Angebot der Platzhirsche Netflix und Amazon versorgen konnte, muss sich in Zukunft sehr viel mehr Accounts zulegen, um alles sehen zu können.
Doch was ändert sich außer der Anzahl zu merkender Passwörter noch für die Nutzer? Darüber sprechen wir mit Marcus S. Kleiner, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der populären Künste in Berlin.
Streaming bringt künstlerische Freiheit
Es seien momentan Spezialisierungen zu beobachten: Zum Beispiel ermögliche Amazon Prime zu dem normalen Abonnement noch Spartenkanäle hinzuzufügen. So könne man sich zusätzlich Arthouse-Filme oder große Blockbuster buchen. Dies sei vergleichbar mit Kabelanbietern wie Sky: "Du kannst ein Ticket kaufen. Dann hast du normal Amazon Prime, dann hast du nochmal zwei Spartenkanäle und dann steht deiner Sehlust nichts mehr im Wege. Du kannst also 24 Stunden die Woche all das sehen was du sehen möchtest."
Außerdem sei zu beobachten, dass Streaming auch Einfluss auf die Formate habe. Bei der ersten großen Netflix-Eigenproduktion "House of Cards" sei dem Produzenten David Fincher eine Garantie für zwei Staffeln und komplette kreative Freiheit versprochen worden. "Das ist etwas, was wir bei den Eigenproduktionen beobachten und warum auch gerade so viele renommierte Autoren und Regisseure, wie zum Beispiel Nicolas Winding Refn mit "Too old to die Young", immer mehr von Streaming angezogen werden, weil sie dort die künstlerische Freiheit bekommen, die Studios oder Fernsehsender nicht ermöglichen."
Das habe zur Folge, dass bei sogenannten "Quality-TV-Series" die Erzählungen viel komplexer würden. Über zehn bis zwölf Folgen sei eine viel stärker differenzierte Figurenzeichnung zu beobachten.
Den klassischen Sendern – von öffentlich-rechtlich bis privat – hingegen fehle Geld und Raum. Dort würde Fernsehen für den Querschnitt der Gesellschaft gemacht und man müsse Jugendschutzregeln beachten. Auf Streamingplattformen sei es möglich "FSK-18-Inhalte" einfach durch eine Passwortsperre abzugrenzen. Außerdem gebe es genug Platz für vielfältige Inhalte und nicht die Anforderung, Programm für eine große Masse machen zu müssen.
Das Ende der Monopole
Kleiner denkt jedoch nicht, dass sich interaktive Erzählformate im Streaming durchsetzen werden. Das sei ein Thema, über das zwar seit Jahrzehnten gesprochen werde, aber noch nie funktioniert habe: "Natürlich setzt das Internet immer mehr auf Interaktivität, auf die Produktivität der Nutzerinnen und so weiter. Aber es ist nicht spannend, dass bei jeder Serie, die man schaut, die ZuschauerInnen darüber entscheiden: Wie geht die Geschichte weiter?" Dies könne in Einzelfällen interessant und spannend sein, aber am Ende wolle das Publikum einfach nur unterhalten werden.
Was es hingegen immer seltener geben werde, seien Serien, die wirklich alle anschauen. Zwar hätten schon sehr viele Menschen über die Serie "Game of Thrones" gesprochen, aber in Zukunft dürfte das eher weniger werden. Denn "durch dieses große Angebot gibt es halt eben nicht mehr die eine Serie oder die zwei Serien, auf die man wartet und wo man das Gefühl hat, die ganze Republik hat es gesehen." Stattdessen gebe es eben viele Serien, die angeschaut würden. Außerdem würden Streaming-Dienste in Zukunft nur für ein oder zwei Monate abonniert, um interessante Serien am Stück zu gucken, dann aber gehe der Zuschauer zum nächsten Dienst und gucke dort weiter.
Die Öffentlich-Rechtlichen müssen aufholen
Ein weiterer wichtiger Faktor sei, wo die Kultserien der 1980er und 1990er Jahre landen, die bei Netflix heute zu den meistgesehenen Serien zählen. Als Beispiel nennt der Medienwissenschaftler die Comedy-Show "Friends": "Das zeigt, dass ein Programm, das immer schon seit den 90ern große Fanbildung hatte, einen Ort braucht, wo es jederzeit zugänglich und nutzbar ist."
Bei den öffentlich-rechtlichen Mediatheken erkennt Kleiner noch keinen Umbau zu einer richtigen Streaming-Plattform. Bisher bieten diese Plattformen nur die Möglichkeit, eine Art "Best Of" aus dem Fernsehprogramm zu sehen. "Meine Wahrnehmung der Öffentlich-Rechtlichen ist, dass man dort online immer noch auf ein Parallelangebot, neben dem klassischen linearen Fernsehen setzt."
(hte)