Was wäre, wenn der Messias wirklich kommt?
06:25 Minuten
Was wäre, wenn heute Gott seinen Messias, seinen Retter auf die Welt schicken würde? Die Netflix-Serie "Messiah" versucht dieses Gedankenexperiment. Und erzählt dabei wenig Neues über die CIA, aber erstaunlich anregend über den Glauben.
Um das gleich klarzustellen: Ich liebe Fantasy, seit ich mit 15 zum ersten Mal den "Herrn der Ringe" gelesen habe. Ich liebe auch Mystery-Serien, "Akte X", "Twin Peaks", "Stranger Things". Und ich habe evangelische Theologie studiert. Die perfekte Kombination für "Messiah" also. Eigentlich.
Wunder – oder drohende militärische Eskalation?
Vor Damaskus stehen die Truppen des IS, jetzt kann nur noch ein Wunder helfen – und das kommt prompt. So geht es los bei "Messiah": Während die Geschütze einschlagen und sich ein Sandsturm erhebt, steht ein junger Mann mit intensivem, aber mildem Blick auf einer Säule und predigt. Durch die 43 Tage des Sandsturms hindurch. Am Ende ist Damaskus gerettet und ein neuer Messias geboren. Vorher Hoffnungslose sehen in dem jungen Mann den wiedergeborenen Jesus und folgen ihm.
Und schon schaut auch die CIA zu – und sieht nicht den Glauben, sondern die mögliche Gewalt.
Die ermittelnde CIA-Agentin berichtet ihrer Vorgesetzten:
– "Masih ist arabisch und bedeutet Messias."
– "Haben wir da eine Sekte?"
– "Möglich wär‘s. Der IS hat ständig apokalyptische Propaganda verwendet, mit großem Erfolg."
– "Haben wir da eine Sekte?"
– "Möglich wär‘s. Der IS hat ständig apokalyptische Propaganda verwendet, mit großem Erfolg."
Aus der Wüste kommt der Aufruhr – und die Hoffnung
Der angebliche Messias lässt die schlimmsten geopolitischen Alpträume wahr werden: Er führt Tausende muslimische Palästinenser an die israelische Grenze, verschwindet aus israelischer Haft, bringt erst am Felsendom in Jerusalem Pilger, Touristen und Militär in Aufruhr, bevor er einen augenscheinlich erschossenen Jungen wieder zum Leben erweckt.
"Was wissen wir über ihn", fragt die Abteilungsleiterin beim CIA ihre Agentin. "Genau das macht mir Sorgen", berichtet die. "Er kam aus dem Nichts und führt nun verzweifelte Menschen in die Wüste."
Und als ob der daraus folgende Aufruhr im Nahen Osten nicht schlimm genug wäre, taucht der neue Messias dann mitten in einem Tornado im ländlichen Texas auf. Während die einen neue Hoffnung für ihr Leben finden, macht sich der örtliche Prediger in bester Absicht daran, diesen Wundertäter mit kirchlichen Mitteln zu managen. Und die Einwanderungsbehörde verhaftet den Messias erstmal. Nur eines schafft niemand: eine klare Absichtserklärung aus dem Mund des jungen Mannes mit dem schönen langen schwarzen Haar und dem gepflegten Hipsterbart zu bekommen.
CIA-Agentin Eva Geller stellt das beim Verhör fest:
– "Je mehr Sie kooperieren, desto mehr kann ich Ihnen helfen."
– "Ich brauche keine Hilfe. Gott kümmert sich."
– "Aber was, wenn ich zu Gottes Plan gehöre?"
– "Das tust du."
– "Hm. Dann sagen Sie mir, was sein Plan ist? Erleuchten Sie mich."
– "Ich wünschte, es wäre so einfach."
– "Ich brauche keine Hilfe. Gott kümmert sich."
– "Aber was, wenn ich zu Gottes Plan gehöre?"
– "Das tust du."
– "Hm. Dann sagen Sie mir, was sein Plan ist? Erleuchten Sie mich."
– "Ich wünschte, es wäre so einfach."
Erstaunlich nah am Geist der biblischen Überlieferung
Als Theologin finde ich das wirklich spannend. Denn das, was in der Bibel vom Messias erzählt wird und was sich in der religiösen Tradition daraus entwickelt hat, ist ja auch offen und unbestimmt. Dass das Versprechen eines gottgesandten Erlösers für diese Welt mit all ihren Kämpfen mit dem Kind in der Krippe endete, dass also der Jesus der christlichen Kirche dieser Messias ist, haben nur die Christen den biblischen Texten entnommen. Und selbst die glauben, dass es noch ein Ende der Zeiten gibt, an dem dieser Messias noch einmal auf die Erde zurückkehren wird.
"Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.", heißt es in Jesaja Kapitel 9, Vers 5.
In der Serie "Messiah" klingt das so:
– "Wer sind Sie?"
– "Amilah."
– "Wissen Sie denn, was das bedeutet?"
– "Ja."
– "Ja? Sie sind also das Wort."
– "Amilah."
– "Wissen Sie denn, was das bedeutet?"
– "Ja."
– "Ja? Sie sind also das Wort."
Malen nach Zahlen mit der CIA
Der Messias in der Serie "Messiah" spricht Arabisch, Hebräisch und Englisch. Die Suchenden in jeder Sprache und jeder Religion hören aus seinen Worten den Ruf – tja, wenn schon nicht unbedingt zu Gott, so doch zumindest zu einem besseren, erfüllteren, wahreren Leben. Und die Mächtigen fürchten die Folgen. Was passiert, wenn die staunende Menge den Messias nicht nur mit dem Handy filmt, sondern das auch in gemeinsame Handlungen umsetzt?
"Messiah" bearbeitet das mit den Mitteln der Agenten-Serie – und da hebt die Medienbeobachterin in mir mahnend die Hand. Denn alles, also gefühlt wirklich alles daran habe ich so ähnlich schon gesehen. Malen nach Zahlen mit der CIA: die abgedunkelten Konferenzräume, die Intrigen der Präsidentenberater auf hoher Ebene, den israelischen Agenten mit kaputter Familie und großer Schuld, den schmierigen Tele-Evangelisten.
Jede Figur ein Klischee
Und natürlich die Hauptfiguren: der Messias, der aussieht wie die Jesusbilder der Nazarener aus dem 19. Jahrhundert ausgesehen hätten, wenn die Maler die Herkunft ihres Sujets ernst genommen hätten, und der immer mild für jede Frage eine Gegenfrage hat. Und die taffe CIA-Agentin Eva, die alles für ihren Job geopfert hat. Ausgerechnet Eva – die erste Frau. Eva, die natürlich wie keiner sonst der persönlichen Erlösung durch diesen Messias bedarf, sei er nun echt oder falsch.
– "Du dienst am Altar der CIA. Du hast alles dieser einen Idee geopfert. Aber nachts liegst du in deinem Bett und fragst dich, ob es das wert war, alles dafür aufzugeben. Gott hört die Tränen, die du nicht weinen willst."
– "Sie wissen gar nichts über mich."
– "Ich kenne deinen Schmerz. Er wird vergehen."
– "Sie wissen gar nichts über mich."
– "Ich kenne deinen Schmerz. Er wird vergehen."
Auch in "Messiah" hat der Aufruhr ein muslimisches Gesicht
Jeder in dieser Serie ist so, wie man es erwarten kann – auch die fanatischen religiösen Führer auf muslimischer Seite, denen dieser neue Prediger nicht nah genug am Wortlaut der Tradition bleibt. Und da hat auch die faszinierende Offenheit des "Was wäre wenn", hat der flirrende Glaube in Messiah sein Ende: Wo das Wirken des Messias in Aufruhr mündet, hat dieser Terror ein muslimisches Gesicht. Und nur ein muslimisches. Bei den Christen brennt höchstens mal ‘ne Kirche, aber die stand eh leer.
Irgendwie verständlich also, dass es vor allem aus muslimischen Ländern Kritik an den religiösen Aussagen der Serie gab. Ich würde mich ansonsten dem Aufseufzen über die an Langeweile grenzende handwerkliche Routine anschließen – und habe mir trotzdem beim Schauen von diesem Medien-Messias inhaltlich spannende Fragen stellen lassen, danach nämlich, was eigentlich Glauben ausmacht in einer gleichzeitig faktenbesessenen und sich nach Wundern sehnenden Zeit.