"Trolle erweitern den Raum für rechtsextreme Akteure"
Ein Team aus Journalisten, Youtubern und Hackern hat sich für die Doku über Trolle auch in rechtsextreme Netzwerke eingeschleust. Dort gebe es "eine wahnsinnig strenge Hierarchie", sagt Patrick Stegemann. Und am Ende könnten zehn Leute wirken als wären sie 200.
Der junge öffentlich-rechtliche Kanal FUNK hat die 40-minütige Dokumentation ins Netz gestellt. Sie wurde in dieser Woche auch dank Jan Böhmermann im Internet verbreitet, der in seinem "Neo"-Magazin auf "Lösch dich!" hinwies.
Ein Jahr lang war das Team im Netz unterwegs, um dem Hass in sozialen Netzwerken nachzugehen. Sie wollten aufdecken, wie vor allem rechte Gruppen das Internet nutzen, um organisiert auf die Politik einzuwirken – zum Beispiel vor der Bundestagswahl 2017. Dabei stießen sie auch auf die rechtsextreme Gruppe "Reconquista Germanica", in der etwa 6000 Menschen online vernetzt sind. Der Journalist Patrick Stegemann berichtet:
"Diese Reconquista Germanica hat sich im September gegründet mit dem Ziel, Einfluss auf die Bundestagswahl zu nehmen und zwar auf einem Discord-Server für Gamer, wo sie sich vernetzen können. Man kann da wie auf Skype sprechen. Die Trolle haben diese Software benutzt, um in verschiedenen Kanälen wie dem Sprachchat Angriffe – auf Videos von Parteien, von Youtubern, die ihnen politisch nicht genehm sind – zu planen und so auch Einfluss auf den Diskurs der Bundestagswahl zu nehmen."
Vernetzt mit der AfD
Durch einen eingeschleusten Mitarbeiter habe man viel über die Organisation der Gruppe erfahren:
"Es ist eine wahnsinnig strenge Hierarchie. Das ist auch gamifiziert, weil das dann attraktiv wirkt, und es gibt auch die Liebe zu diesem militärischen Jargon. Es gibt da Heeresgruppen – ein Begriff, der ganz eindeutig aus dem NS-Zusammenhang kommt."
Auf dem Server gebe es ein Organigramm, das die Vernetzung der Gruppe mit der Jungen Alternative und rechtsextremen Verbindungen wie der Identitären Bewegung aufzeige. Dort sei auch ein junger AfD-Funktionär aus Niedersachsen aktiv:
"Lars Steinke, Jungfunktionär aus Niedersachsen, arbeitet dort auch für die Landtagsfraktion. Das ist durchaus pikant, finde ich. Und der findet gar nichts schlimm daran, sich an diesen rechtsextremen Troll-Attacken zu beteiligen."
"Sehr viel lauter als 6000 Leute"
Die Wahlkampagne von Donald Trump sei für die Trolle eine Art Blaupause gewesen, sagt Stegemann.
"Die sind sehr viel lauter als 6000 Leute normalerweise wären, weil sie zum Beispiel Fake-Accounts haben. So können 10 Leute wirken als wären sie 200 und können so beispielsweise unter einem Tagesschau-Beitrag massenweise Kommentare schreiben und man bekommt den Eindruck: 'Ganz viele sind der Meinung, dass es nur noch ein Thema in Deutschland gibt – und das sind Geflüchtete.' Und das führt dazu, dass wir bestimmte Debatten nicht mehr vernünftig führen können. "
Die Macher von "Lösch Dich!" trafen für ihren Film auch Menschen persönlich, die im Netz Hass verbreiten, wie zum Beispiel Dorian und Imp, deren Youtube-Videos rechte Tendenzen aufweisen, auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos erscheinen können.
"Sie spielen das Spiel moderner Neonazis. Das ist der Vorwurf, den ich persönlich und den der Film ihnen macht. Und es ist ganz unwichtig – ähnlich wie bei der Kollegah-Debatte – was sie selbst sind. Sie werden zum Beispiel von der Identitären Bewegung vereinnahmt. Die sagen: Diese Youtuber, egal, was sie wollen, der Effekt ist, dass sie den Sprachraum erweitern. Indem sie immer wieder Grenzen überschreiten mit ihrem Trolling erweitern sie den Raum für rechtsextreme, politische Akteure."
(cosa)