Netz-Experte warnt vor Re-Nationalisierung des Internets

Moderation: Dieter Kassel |
Wer hat künftig das Sagen im Netz? Über diese Frage debattieren derzeit Experten auf einer Konferenz der Internationale Telekommunikationsunion in Dubai. Einer der Teilnehmer ist der Netz-Experte Wolfgang Kleinwächter. Er warnt davor, die Internet-Regulierung zu bürokratisieren.
Dieter Kassel: Die Internationale Telekommunikationsunion ITU existiert, wenn man ihre Vorläuferorganisationen mitzählt, schon seit 1865, und seit 1947 agiert sie unter dem Dach der Vereinten Nationen. Stets hat man sich bei der ITU um die internationale Koordinierung der Telekommunikation gekümmert - das fing an mit der Telegrafie, dann kam die Telefonie dazu, und seit Jahrzehnten gehört auch die Vergabe von Frequenzen für Radio- und Fernsehsender, zumindest die internationale Koordinierung derselben, zu ihren Aufgaben. Um eines hat sich aber die ITU bisher überhaupt nicht gekümmert, nämlich um das Internet, und genau das soll sich jetzt ändern. Kai Laufen berichtet.

Kai Laufen über die Konferenz der internationalen Telekommunikationsunion in Dubai und die Pläne, der ITU die Regulierung des Internets zu übertragen. Am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Kleinwächter, er ist Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Aarhus in Dänemark, und er wird als einer der Nicht-Regierungsvertreter innerhalb der deutschen Delegation morgen nach Dubai fahren, um an der Konferenz mit teilzunehmen. Schönen guten Morgen, Herr Kleinwächter!

Wolfgang Kleinwächter: Schönen guten Morgen!

Kassel: Bei dem, was wir gerade zum Schluss jetzt gehört haben, dass nichtdemokratische Staaten immer wichtiger werden können im Internetverkehr, das könnte man als Argument doch auch umdrehen: Ist es dann nicht erst recht sinnvoll, einer neutralen internationalen Organisation die Regulierung des Internets zu überlassen?

Kleinwächter: Also so neutral ist ja die UNO nicht, die UNO ist eine Sammlung von Mitgliedsstaaten, also von Regierungen, und je nach dem, wie die Zusammensetzung ist, werden sie also immer sehr gemischte Regierungsformen dort haben. Und da sich in der UNO alles nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner treffen kann, werden Sie also immer jemand haben, der mit einem freiheitlichen und offenen Internet so nicht ganz zurechtkommt. Und deswegen ist es sehr, sehr riskant, das einer UNO-Behörde zu ergeben, denn im Ergebnis könnte etwas entstehen, dass sich überhaupt nichts mehr bewegt, dass etwas blockiert wird.

Kassel: Was wollen denn in Ihren Augen die Staaten, die so eine Regulierung durch die ITU befürworten?

Kleinwächter: Sie möchten vor allen Dingen die Kontrolle über das Internet, die sie ja jetzt schon ausüben, national, diese nationale Kontrolle möchten sie durch einen völkerrechtlichen Vertrag gewissermaßen legalisiert bekommen, also dass sie sich drauf berufen können und sagen, wenn wir Einschränkungen für das Internet in unseren Territorien vornehmen, dann ist das in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, und nicht gegen das Völkerrecht.

Kassel: Nun ist es so, dass viele Organisationen, die zurzeit das Internet regulieren, ja in den USA sitzen. Die meisten Leute kennen im Prinzip die Icann, die Domains vergibt. Also wenn ich zum Beispiel dieterkassel.com haben will, muss ich mit denen verhandeln, aber es gibt ja noch viel mehr, auch die Organisationen, die für die technischen Standards im Worldwide Web zuständig sind, die sitzen alle in den USA, und auch wenn die nicht staatlich sind, unterstehen sie doch amerikanischem Recht. Ist es nicht verständlich, dass es dem Rest der Welt auf die Dauer so nicht gefällt?

Kleinwächter: Das ist nur teilweise richtig, Icann wird von einem internationalen Board geleitet. Es gibt eine Geschichte, das Internet ist nun mal in den USA gewachsen, und deswegen hatte die US-Regierung eine spezielle Verantwortung, das ist ihr gewissermaßen historisch zugewachsen, aber seit 2009, seit dem Antritt der Obama-Administration, ist Icann von der US-Regierung unabhängig. Die US-Regierung spielt natürlich trotzdem noch eine größere Rolle, und es ist richtig, dass Icann in den USA angesiedelt ist und insofern Streitfälle mit der Icann gerichtlicher Art dann in Kalifornien stattfinden. Deswegen gibt es bei Icann seit Jahren die Diskussion, einen zweiten Hauptsitz zu wählen - da sind Genf und Brüssel im Gespräch -, und ich vermute mal, dass der neue CEO von Icann, der ja auch gestern in Dubai eine Eröffnungsrede gehalten hat, was ganz bemerkenswert war, diesen Kurs weitersteuern wird und irgendwann Icann eben auch - oder vielleicht auch in Asien - ansiedeln wird, das heißt, dort mit dem zweiten Sitz operieren wird.

Kassel: Aber glauben Sie denn, Herr Kleinwächter, dass die Selbstregulierung des Internets durch solche Organisationen aber dadurch, was Verträge, was Leitungen angeht - nehmen wir den Riesen-Internetknotenpunkt in Frankfurt, da sagen Fachleute, ja, das ist aber einfach peer to peer, der eine sagt, ich leite dein Zeugs durch, dann du meins, dann ist die Verhandlung abgeschlossen. Wird diese Art der Selbstregulierung - ist die zukunftsfähig, wird die in den nächsten 10, 20 Jahren noch funktionieren?
Kleinwächter: Also ich sehe nicht, dass das nicht zukunftsfähig ist. Diese Regelung hat ein enormes Wachstum binnen weniger Jahre, also nicht mehr wie zwei Jahrzehnte, ist die Zahl der Internetnutzer von einer Million auf fast drei Milliarden gestiegen, dass diese Regelung nicht auch ein weiteres Wachstum aushalten würde. Im Gegenteil, man müsste sagen, wenn man das Verfahren bürokratisiert, dann streut man Sand ins Getriebe, und dann wird sich wahrscheinlich diese Dynamik, die wir jetzt haben, oder der letzten zehn Jahre haben, abflachen.

Kassel: Was befürchten Sie im schlimmsten Fall? Das, was einige Staaten durchsetzen wollen, auch auf der ITU-Konferenz in Dubai, könnte das bedeuten, wir haben in Zukunft nicht mehr ein weltweites Internet, sondern wir haben 193 nationale Netze, die zusammengeschaltet werden müssen?

Kleinwächter: Also in einem sogenannten Worst-Case-Szenario wäre das der Fall, also die Renationalisierung des Internets entlang nationaler Grenzen, und dann haben Sie dasselbe Regime, was sie jetzt haben, manche Länder untereinander haben einen flexiblen Reiseverkehr, bei anderen braucht man ein Ausreise- oder ein Einreisevisum. Ich denke aber nicht, dass das jetzt in Dubai so weit kommt. Aber diese Frage, wer das Internet kontrolliert, wer dort Einfluss hat, die wird uns die nächsten Jahre noch lange beschäftigen.

Kassel: Geht es eigentlich nur um Politik und Meinungsfreiheit oder geht es auch ums Geld. Es reisen ja auch viele Vertreter großer Telekommunikationskonzerne hin, und die sagen aus wirtschaftlich gesehen sogar nachvollziehbaren Gründen, wir wollen auf die Dauer keine Netzneutralität mehr. Wird das auch verhandelt in Dubai?

Kleinwächter: Das ist Teil dessen, es - sozusagen - geht eigentlich immer um Macht und Geld bei allen internationalen Verhandlungen, und gerade was die Telekom-Gesellschaften betrifft, die haben natürlich gewisse Verluste dadurch, dass sich im Internet jetzt sehr, sehr viel bewegt, und wer über Skype telefonieren kann, der telefoniert nicht mehr über die Leitungen der Deutschen Telekom, und das führt dazu, dass es zu bestimmten Einbrüchen dort kommt. Und das geht aber vielen so, dass das Internet neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet hat, wo es dann Gewinner und Verlierer gibt - das haben Sie bei den Verlagen, in der Musikindustrie, in der Filmindustrie, und das ist auch bei der Telekom so: Die Verlage und die Filmindustrie, die geht zur WIPO, das ist auch eine UNO-Organisation, da wurde der ACTA-Vertrag verhandelt, und der ist dann gescheitert, und die Telekom-Operateure, die gehen eben zur ITU und kommen dort hin und sagen, wir wollen unser Geld zurück. Ich glaube nicht, dass dieses Ansinnen der europäischen Telekom-Operateure in Dubai Erfolg hat, aber auch die wirtschaftliche Frage wird uns noch lange beschäftigen, wie man einen vernünftigen und fairen Interessenausgleich hinbekommt zwischen den Telekom-Operateuren und der Internet-Economy.

Kassel: Diese Konferenz dauert ja bis zum 14. Dezember, und eigentlich ist die ITU daran gewöhnt, das ganze im Konsens zu klären. Kann das diesmal funktionieren? Die Meinungen sind doch sehr unterschiedlich zwischen Ländern wie Russland und zum Beispiel der EU.

Kleinwächter: Ja, wenn man in die Vorschläge guckt, die jetzt auf dem Tisch liegen, dann sieht man nicht die Möglichkeit eines Konsenses, die stehen diametral gegenüber. Aber viel ist da auch Strohfeuer - also Regierungen wollen austesten, wie ist die Reaktion auf den gewissen Vorschlag, um dann vielleicht auf der Basis der Reaktionen eine neue Strategie für die nächsten Jahre zu machen. Es kommen ja 2013, 2014, 2015 eine ganze Serie von Konferenzen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und so ist für mich diese Dubai-Konferenz nur gewissermaßen der erste Schachzug in einer längeren Partie. Es gibt dann im Mai 2013 eine große Konferenz in Genf und im Jahre 2015 gibt es diese Überprüfungskonferenz des UNO-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft. Und ich bin mir sicher, dass dieses Thema, was uns jetzt in Dubai beschäftigt, dort alles wieder auf den Tisch kommt. Man wird also noch lange über diese Frage debattieren.

Kassel: Sagt Wolfgang Kleinwächter, Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Aarhus in Dänemark und einer der Nicht-Regierungsvertreter, die als Teil der deutschen Delegation, in seinem Fall konkret morgen, mit nach Dubai fliegen werden zu dieser Konferenz. Herr Kleinwächter, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!

Kleinwächter: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema