Begrifflichkeit: Leaks oder Enthüllungen?
In seinem Buch "Permanent Record" unterscheidet Edward Snowden zwischen Leaks und Enthüllungen und grenzt sich von ersteren ab. Leaks geschähen nicht aus öffentlichem Interesse, sondern verfolgten eigene, institutionelle oder politische Ziele.
Enthüllungen durch einen Whistleblower dagegen ständen im Dienst der Gesellschaft: "Ein Whistleblower ist nach meiner Definition eine Person, die durch bittere Erfahrungen zu dem Schluss gelangt ist, dass ihr Leben innerhalb einer Institution sich nicht mehr mit den Prinzipien verträgt, die sie in der Gesellschaft außerhalb dieser Institution entwickelt hat. Einer Gesellschaft, der ihre Loyalität gilt und der gegenüber auch die Institution Rechenschaft ablegen müsste", schreibt Snowden.
Wir brauchen neue „Snowden-Momente“
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Was bleibt nach den Snowden-Enthüllungen? Die Öffentlichkeit habe ein Bewusstsein für Überwachungsthemen bekommen, sagt die Politologin Anne Roth. Doch das müsse weiter geschärft werden. Nicht nur die Geheimdienste sollten stärker kontrolliert werden.
Mehr als sechs Jahre sind seit den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden vergangen. Mit fast 1,8 Millionen Dokumenten legte er offen, wie umfassend und widerrechtlich die US-Geheimdienste die eigene Bevölkerung und auch Ausländer ausspionieren. Inzwischen lebt der Whistleblower in Moskau, bittet immer wieder europäische Länder um Exil und hat in dieser Woche seine Autobiographie "Permanent Record" veröffentlicht.
Ein Meilenstein für die Aufarbeitung des Skandals in Deutschland war der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der vor zwei Jahren seinen Abschlussbericht vorgelegt hat. Anne Roth hat als Referentin der Linksfraktion für den Ausschuss gearbeitet. Als bedeutend bezeichnet Roth die Rechercheergebnisse des Ausschusses zum sogenannten Selektorenskandal, zum geheimen Krieg sowie die Auseinandersetzung um die Zeugenaussage von Edward Snowden.
Verschlüsseln von E-Mails wird nicht mehr belächelt
Aus der Sicht von Roth hatte der Ausschuss eine Reihe von Konsequenzen: "Der BND-Chef wurde abberufen, es hat eine neue Instanz der Geheimdienstkontrolle gegeben. Das heißt, da ist deutlich etwas geändert worden. Ich würde behaupten, dass es sehr viel mehr Bewusstsein für technische Überwachung gibt."
Die Einstellung gegenüber den Themen digitale Sicherheit habe sich geändert. Das Verschlüsseln von E-Mails sei früher eher belächelt und als überflüssig angesehen worden. "Und das hat sich mit Snowden total geändert. Danach waren die Leute eher ein bisschen beschämt und haben gesagt: Ja, ich weiß, ich müsste, aber ich kann das immer noch nicht …"
"Natürlich wird die Überwachung fortgesetzt"
Aber das Thema habe inzwischen wieder an Präsenz verloren. Außerdem geht Anne Roth davon aus, dass die umfassende Überwachung fortgesetzt werde. Der Untersuchungszeitraum für den Ausschuss endete 2014. "Insofern weiß ich jetzt nicht mit Sicherheit, was stattfindet. Aber es gibt überhaupt keinen Anlass zu denken, dass sich daran irgendwas geändert hätte. Ganz im Gegenteil hat es Gesetzesänderungen gegeben, die gewissermaßen im Nachhinein legalisiert haben, was vorher illegal stattgefunden hat und was der Untersuchungsausschuss rausgefunden hat und natürlich wird das weiter fortgesetzt."
Edward Snowden kritisiert in seinem Buch, dass Journalisten in Bezug auf Überwachung zu wenig Sachkenntnis hätten und in der Zeit vor seinen Enthüllungen Hinweisen und Ungereimtheiten nicht ausreichend nachgegangen seien. Anne Roth sieht das etwas differenzierter. Es gebe eine Reihe von sehr spezialisierten Journalistinnen und Journalisten, aber auch sie wünscht sich, dass es mehr wären, insbesondere mehr Frauen.
Nicht nur Geheimdienste sollten kontrolliert werden
"Ich glaube, dass es allein am Journalismus allerdings nicht liegt. Die ganze Gesellschaft müsste sich sehr viel mehr um diese Themen kümmern und sagen: 'Das ist für eine Demokratie eigentlich nicht akzeptabel, was da stattfindet'", sagt Roth.
Die Politologin spricht sich deshalb für neue "Snowden-Momente" aus und nennt den Fall um Cambridge Analytica als ein weiteres Beispiel für das Schaffen von öffentlichem Bewusstsein. Denn, so betont Roth, nicht nur die Geheimdienste sollten stärker kontrolliert werden.
"Es geht ja nicht nur um Geheimdienste und Staaten, sondern auch um Unternehmen oder die Verbindung zwischen beiden – wie uns das Internet unter Kontrolle hat mittlerweile. Ich habe kein Patentrezept, aber ich glaube, wir brauchen wahrscheinlich noch mehrerer solcher Momente, bis wir hoffentlich irgendwann als Gesellschaften anfangen zu sagen: Das wollen wir so nicht!"