Netze für das Leben in Freiheit
Die JVA Wiesbaden versucht in einem Modell-Projekt, mit freiwilligen Mentoren Haftentlassenen die Rückkehr in den Alltag in der Freiheit zu erleichtern. Freiwillige, die Kapazitäten und die Muße haben, Vorbild, Motor, Mutmacher und Begleiter für Einen zu werden, der gerade aus dem Knast kommt.
60 % der Rückfälle passieren in den ersten 6 Monaten nach Haftentlassung. Die Justizvollzugsanstalt Wiesbaden hat ein Modell entwickelt, das den Übergang der Haftentlassenen in einen stabilen Alltag effektiv organisieren soll. Ein Übergangsmanager hat im November 2005 die Arbeit aufgenommen. Er soll Netzwerke mit dem Arbeitsmarkt aufbauen und ehrenamtliche Mentoren suchen, die freiwillig einen Haftentlassenen beim Schritt nach Draußen betreuen möchten. Alles andere als eine Kuscheltour.
JVA-Beamter: "Den Entlassungsschein mitnehmen! In dem Pola Computer bist du noch drin als Inhaftierter, in dene ihrem Computersystem stehst du noch als Insasse drin. Damit du das immer dabei hast. Sonst bist dann schnell wieder hier. Das bringt‘s nicht. Machs gut . Ciao. So, dass wär's."
Konstantin hat Schweißperlen auf der Nase. Eine dicke blaue Reisetasche und eine Kiste - sein Gepäck für den Neuanfang. Ein Freitagmorgen im Juni um halb zehn. Zwei Jahre und zwei Monate Haft liegen hinter ihm.
Manuel Pensée: "So. Willkommen in der Freiheit!"
Konstantin: " Ich hab die ganze Nacht nicht schlafen können."
Konstantin lädt Kiste und Reisetasche ins Auto, kramt seinen Pass hervor. Manuel Pensée, ausgebildeter Sozialpädagoge und so genannter "Übergangsmanager" begleitet ihn an diesem Morgen zum Einwohnermeldeamt, zum Wohnungsamt, zu seiner neuen WG, zur Bank und zu einem Treffen mit dem zukünftigen Mentor.
Manuel Pensée: "Also, beim Sozialamt müssen wir mal gucken, was wir da in erster Linie brauchen. Wir müssen gucken, dass wir diesen Antrag beim Wohnungsamt abgeben. Und am Montag den ALG 2 Antrag."
Manuel Pensée hat schon in den letzten Monaten die Fäden für Konstantin nach draußen geknüpft. Er hat Konstantins Fall bei den Ämtern vorgestellt, die Ausbildungsförderung beim Arbeitsamt angekündigt, mit möglichen Praktikumstellen telefoniert.
Konstantin: "Ich habe hier 'ne Ausbildung gefunden - als Elektriker. Ich hab in der JVA Wiesbaden eine Ausbildung als Gebäudeinstallateur gemacht. Das habe ich da gelernt, das was ich jetzt anfange, ist Industrieelektroniker. Da fällt einem einfach ein Stein von Herzen."
Die Ausbildung beginnt am 1. August. Bis dahin arbeitet Konstantin in der Wiesbadener Stadtgärtnerei. Es sieht gut aus für den Russlanddeutschen mit deutschem Pass. Die Regel ist es nicht.
Ottmar Hitzelberger: "Hallo, wie siehst’en aus?"
Christian: "Wie denn?"
Ottmar Hitzelberger: "Total zerrockt."
Christian: "Am Wochenende fahren wir in die Schweiz, zum Bella Luna Dance Festival. Cool."
Eine lockere Umarmung. In den letzten Wochen haben sie nur telefoniert. Christian - seit Februar aus der JVA Wiesbaden entlassen - trifft Ottmar Hitzelberger, seinen Mentor. Die beiden haben sich bei Dreharbeiten im Knast kennen gelernt. Ottmar Hitzelberger ist Dokumentarfilmer und hat Christian und andere Gefangene ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Zuletzt haben sie sich an Christians Entlassungstag gesehen. Ottmar Hitzelberger hat Christian abgeholt und nach einem üppigen Frühstück in der Freiheit direkt in einen Verleih für Filmzubehör - Kameras und Licht - begleitet.
Christian: "Das war ja überhaupt ein Flash. Du kommst aus dem Knast raus und hast gleich ein Vorstellungsgespräch. Und ich hatte zwischendurch halt ein komisches Gefühl. Aber das hat sich dann nicht bestätigt. Ich hab mich halt geärgert, dass ich keinen Führerschein hatte und den vorher nicht gemacht hab. War schon ein cooler Laden. Ich würd gern da arbeiten."
Kein Praktikum in der Filmbranche - aber Aussichten. Wenn er den Führerschein gemacht hat, bekommt Christian die nächste Chance. Den Kontakt zum Verleih hat der Mentor Ottmar Hitzelberger gestiftet.
Ottmar Hitzelberger: "Ist ja eigentlich ein Stück Mentorarbeit - so einen Arbeitgeber darauf vorzubereiten, was er da eigentlich übernimmt. So bisschen auch offenzulegen aus einer anderen Sicht: Was ist das für ein Typ? Was kann der? Auch die linke Hand ins Feuer zu legen, um dem dann vielleicht auch zu einem Job zu verhelfen."
Der Dokumentarfilmer filmte die Gefangenen bei der Ausbildung, bei dem Abschluss ihrer Teilqualifikationen. Christian arbeitete in dieser Zeit in der Medienwerkstatt, lernte digitale Bildbearbeitung, Filmschnitt und Computergrafik.
Ottmar Hitzelberger: "Christian hat sich ja auch in der JVA-Zeit herausgestellt als einer, der mit Sachen umgehen kann - mit Film, mit Computer, mit Foto, mit Musik. Der ist ja in diese Kurse reingegangen und ist ja auch einer, der mir dann aufgefallen ist. Wir haben so ein ganz gutes Verhältnis aufgebaut. Wir haben uns beobachtet, ich habe ihn interviewt, ich hab mit ihm geredet, ihn so abgefragt, was er gerade macht. Es hat sich so entwickelt, dass man dann sagt. Man kümmert sich so ein bisschen um ihn, wenn er raus kommt. Versuchen, dass er da irgendwie anknüpfen kann, was er da gelernt, entdeckt hat, was sich da für ihn geöffnet hat."
Zurzeit wohnt Christian in einem Übergangswohnheim in der hessischen Provinz. Eine eigene Wohnung hat er noch nicht. Noch fehlt das Geld. Er ist arbeitslos gemeldet. Christian saß seine Haftzeit ohne Lockerungen komplett ab. Danach war er frei. Ohne Auflagen. Er startete allein durch den Ämterdschungel. Den Mentor im Hintergrund. Er hat Jobs beim Arbeitsamt gesucht, hat Zeitarbeitsfirmen abgeklappert.
Ottmar Hitzelsberger: "Ist da etwas passiert mit dem Abklappern?"
Christian: "Hat sich absolut gar nichts ergeben. Weil die mich immer gefragt haben: Was haben sie die letzten zwei Jahre gemacht? Und dann hab ich halt gesagt. Die letzten zwei Jahre saß ich im Knast und dann haben die gesagt. Ja wir melden uns. Ich bin jetzt zwar bei denen in der Kartei. Aber ich glaube nicht, dass die mich vermitteln."
Zurzeit jobbt Christian gelegentlich in einem Kindergarten, dort wo seine Freundin arbeitet, die er vor kurzem kennen gelernt hat. Und er will in einer Gärtnerei arbeiten - über den Sommer. Die Bewerbung läuft. Lieber noch wäre ihm: Fahrer, Kabelträger, Tonhilfe - irgendetwas, das mit Film zu tun hat. Ottmar Hitzelberger will weiter Drähte ziehen.
Ottmar Hitzelberger: "Ich glaube, was bei dieser Arbeit auch wichtig ist, ist einen Zugang zu haben zu den Jungs, und zu sagen. Man versucht die da auch in einen Weg rein zu bringen, wo es einigermaßen okay ist, wo sie weiterkommen, wo sie nicht sowieso den Stempel, den sie sowieso auf der Stirn haben "Knacki", wo sie den überdecken können mit dem, was sie können oder an Qualitäten mitbringen. Und es ist natürlich wichtig, dass sich dieser Mentor immer wieder meldet, immer wieder da ist, so ein Ansprechpartner ist, wenn es auch mal knackt. Die Beziehung zwischen dem Mentor und dem Jugendlichen ist natürlich absolut wichtig, um das Vertrauen zu haben."
Christian: "Er muss halt auf jeden Fall wissen, von was ich rede. Er geht locker mit einem um, unverkrampft - so einen auf Kumpel - das zieht halt auch. Das ist ganz wichtig, damit man, wie er auch schon gesagt hat, Vertrauen fassen kann, okay, auf den kann ich mich verlassen, Vertrauen haben können. Es ist halt wichtig, dass er halten kann, was er sagt. Definitiv. Wenn ich halt zusage, wie hier zum Beispiel. Dann muss ich dann auch kommen. Umgekehrt ist es ja genauso."
Wie heute zum Beispiel zum Interview. Entspannt sitzt Christian mit den blonden Rasta-Zöpfen da. Es klingt so, als wäre Christian bereit Umwege zu gehen. Er bemüht sich gerade um ein Praktikum in einer Gärtnerei. In der Erde wühlen. draußen sein, das könnte ihm auch gefallen. Im Auge behält er den nächsten Schritt.
Christian: "Das wäre so ein Sicherheits-Anker mit dem Gärtnerding. Das große Ziel ist schon im Film- und Medienbereich etwas zu machen. Aber um dort hin zukommen, dauert das ne Weile, wenn das jetzt nicht mehr klappt dieses Jahr."
Manuel Pensee: "Das ist die Bescheinigung, die er vorlegen muss für den Antrag. Und hier der Brief, den der Herr Merten geschickt hat. Hier Ihre aktuelle Anmeldung. Das drück ich Ihnen jetzt mal so alles in die Hand. Ich weiß nicht, was Sie davon brauchen am Schalter. Aber es könnte ja sein."
Freitag, halb elf, Wohnungsamt Wiesbaden. Konstantin lächelt dankbar. Die kleinen Hinweise von Übergangsmanager Manuel Pensée stärken ihm an diesem Morgen der Entlassung den Rücken. Nach einer neuen gesetzlichen Regelung soll er, weil er unter 25 Jahre alt ist, verpflichtet sein, bei seinen Eltern zu wohnen, in Nordhessen. In einer Erklärung konnte Manuel Pensée begründen, warum dieser Neuanfang für Konstantin ausgerechnet in Wiesbaden so wichtig ist. Die Einzelfallentscheidung wurde positiv beschieden. Seit heute morgen ist Konstantin Wiesbadener.
Manuel Pensée: "Um sich als junger Erwachsener im Ämterdschungel und in der desolaten Lage von Arbeitsmarkt durchzusetzen, braucht man nicht nur eine normale Frustrationstoleranz, sondern muss man gelernt haben sich durchzusetzen, auch seine Ziele weiter trotz Misserfolge im Auge zu behalten. Die Regel ist ja die Misserfolgserfahrung, und dann trotzdem dran zu bleiben, das muss man gelernt haben, und der Vollzug ist eine Zeit der weitgehenden Fremdbestimmung. Von daher sind das durchaus sehr harte Übergänge."
Viele Gefangene haben den Kontakt zu ihren Familien abgebrochen. Wollen bewusst an alte Freundschaften nicht mehr anknüpfen. Am Tag der Entlassung taumeln einige wie verloren in die Freiheit.
Manuel Pensée: "Und da braucht man mehr Man-Power, denn unter den Bedingungen von Hartz IV ist das tatsächlich eine Herausforderung, im Einzelfall zu unterstützen. Es sollen Mentoren gewonnen werden, die Patenschaften aufnehmen, für die Nachbetreuung der Leute, in der Lebenssituation, in der Ausbildungssituation, in der sie gerade sind. Kann ja auch sein, sie sind wohnungssuchend, ausbildungssuchend, arbeitssuchend."
Einen ganzen Pool Ehrenamtlicher wollen die Mitglieder des Vereins für Haftentlassene Holzstraße gemeinsam mit dem Übergangsmanager und anderen Mitarbeiter der JVA Wiesbaden aufbauen. Die Mentoren sollen professionell betreut werden, Fahrtgelder werden in Zukunft gezahlt. Feed-back-Runden soll den Mentoren Halt geben.
Mit einem stolzen Grinsen auf dem Gesicht führt Alexander seine Mentorin Frau Kim durch seinen - vielleicht - zukünftigen Ausbildungsplatz. Wenn alles gut geht. Vor drei Wochen hat sein Praktikum im Ausbildungsrestaurant "Gabel" in Wiesbaden begonnen. Alexander und seine Mentorin haben schwierige Monate hinter sich. Alex ist seit Oktober 2005 auf Bewährung draußen. Eine Alkohol-Therapie, die er unmittelbar nach Haftentlassung begonnen hatte, hat er abgebrochen. Ein Rückfall. Eigentlich ein Grund, die Bewährung auszusetzen. Eine Zusage für ein Praktikum in einem Hotel im Rheingau und ein Schreiben von der Mentorin und der Bewährungshelferin an den Richter hat ihn kurzfristig vor der Rückkehr in den Knast bewahrt. Aber das Praktikum musste Alexander abbrechen, der Stress im Hotelbetrieb hat ihn überfordert.
Eui-Ok Kim: "Ich bin froh, dass Alexander so eine überbetriebliche Ausbildung macht. Als er auf dem freien Markt in einem renommierten Hotel arbeitete, hatte ich immer Bauchschmerzen gehabt."
Alex: "Und hier ist es eben anders. Da ist der Chef, der sagt mir, was ich machen soll, dann weiß ich das, morgen früh zum Beispiel muss ich um halb 7 da sein. Da muss ich hier alles aufmachen, vorbereiten und da habe ich eine direkte klare Ansage."
Nach der Odyssee in den letzten Monaten kann seine Mentorin, die Soziologin Frau Kim aufatmen.
Eui-Ok Kim: "Ich wurde vom Übergangsmanager gefragt. Und weil ich mit Alexander schon in der JVA Kontakt hatte, Interviews gemacht habe, war das nicht so ganz fremd, habe ich zugesagt, okay. Er ist willig, er hat immer Hoffnung gemacht. Wenn er draußen ist, vorzeitig entlassen wird, dann möchte er das und das machen. Und dadurch habe ich gedacht: Ja ich helfe."
Frau Kim kam ins Schwitzen: Anrufe von Alexander, mit der Bewährungshelferin zusammenarbeiten, Einschätzungen für den Richter schreiben. "Wie mein eigener Sohn !" - sagt sie einmal am Telefon.
Eui-Ok Kim: "Vor allem, dass ich neben meiner Hauptarbeit, die Arbeit ehrenamtlich machen muss. Und in der Tat: unmittelbar nach der Entlassung haben die doch mehr Betreuung nötig, als ich dachte. Überforderung in dem Sinne, weil ich ständig schlechtes Gewissen habe. Die Haftentlassenen, die unter Mentorenschutz sind, die brauchen irgendwie viel mehr Unterstützung. Ich müsste Ihn noch öfters anrufen."
Von unsichtbaren Bremsen im Ämterdschungel haben Alexander und Frau Kim genug. Kostenzusagen blieben aus. In den ersten Wochen und Tagen fehlte Alexander das Geld um zur Arbeit zu fahren. Alltagsstress. Einmal beim Schwarzfahren erwischt werden, heißt zurück in den Knast. Erst nach Monaten konnte Alex ein eigenes Konto eröffnen. Aufgaben, die seit kurzem der Übergangsmanager Manuel Pensée in der JVA übernimmt.
Heute trifft die Mentorin Frau Kim Alexander und seinen Ausbilder Thomas Gambler im Restaurant "Gabel" zum kurzen Austausch.
Thomas Gambler: "Er hat mich insofern überzeugt, dass er sehr gute Reputationen hatte von seiner Jugendhaftanstalt, hat auch eine Art Pseudo-Ausbildung begonnen und die Chemie zwischen uns beiden hat gestimmt, wir waren sehr direkt miteinander. Und das hat gepasst. Die Fähigkeiten, die er hat: Er hat einen guten Überblick, er kann improvisieren, das ist ganz wichtig und er ist ein ganz guter Teamworker. Was die Tugenden angeht, da müssen wir noch mal drüber sprechen. Nur Lob bringt nix. Wir müssen auch wirklich Tacheles sprechen. Du weißt, morgen um halb 7."
Alexander ist gefordert. Die Ausbildungsstelle in der "Gabel" zu ergattern, ist sein nächstes Ziel. Und er lernt dazu: Eigene Schwächen einzugestehen. Wenn wieder mal der Boden unter den Füßen wegzubrechen droht, hat Alexander eine Telefonnummer.
Eui-Ok Kim: "In dem Moment hat er gesagt: Ich habe große Schwierigkeiten. Ich bin froh, dass er sofort gesagt hat: Bitte helfen Sie mir, ich brauche Hilfe. Und es gibt auch viele junge Leute, die das nicht mal sagen können. Da muss ich Alexander loben. Er ist ehrlich. Wenn er Hilfe braucht, ruft er an. Oder wir haben Kontakt."
Alex: "Das war mir auch in der Haft schon wichtig, dass ich auf jeden Fall weiterhin betreut werde danach. Ich hab vor der Haftzeit nur einen Freundeskreis gehabt, wo ich mit Drogen und Alkohol und sonstigen Sachen, Gewalt zu tun gehabt habe. Und ich muss ja mein Freundeskreis komplett wechseln. Und falls es da irgendwelche Probleme gab, hat’s mir schon gelangt, dass ich da wusste, ich kann Faru Kim anrufen, die kommt vorbei, unterhält sich mit mir. Und dann hab ich das Bier schon stehen lassen. Da hab ich schon gar keine Lust mehr gehabt."
Zurzeit lebt Alex in einer Gartenhütte - komplett eingerichtet. Freunde haben sie ihm zur Verfügung gestellt. Er hat eine ambulante Therapie angefangen. Eigentlich läuft alles ganz gut zurzeit. Auch hat er eine neue Freundin. Er gibt sich Mühe. "Man tut, was man kann", sagt er noch, grinst und klingt doch ganz ernst. Frau Kim wird jetzt die nächsten Wochen nicht erreichbar sein. Sie fährt in Urlaub. Alex hat morgen früh um 7 eine Verabredung. Tacheles reden mit seinem Ausbildungschef. Einer, der ihn und seine Fähigkeiten ernst nimmt - für Alex eine Riesen-Chance.
Konstantin:"Der Salat - so was habe ich lange nicht gegessen - oh wie lange! Ich kann das noch gar nicht realisieren. Ich weiß gar nicht, was das für ein Gefühl ist…"
Freitag, 12 Uhr mittags. Die Ämtergänge sind geschafft, der Wohnsitz angemeldet, Kiste und Reisetasche in der neuen Wohngemeinschaft verstaut, ein Bankkonto eröffnet. Konstantins neues Zuhause heißt ab heute Wiesbaden. Sein Blick verrät Erleichterung. In einem Cafe in einem typischen Wiesbadener Viertel, mit verschnörkelten Altbauten, sitzt er gemeinsam mit seinem zukünftigen Mentor, Friedrich Cinibulk und dem Übergangsmanager Manuel Pensée zum Plausch.
Manuel Pensée: "Es geht nicht darum, sich unter dem Stichwort Beziehungsarbeit sich jemanden quasi wie ein Adoptivkind zu halten und mit gleicher Aufopferung durch gute und auch durch schlechte Zeiten zu manövrieren. Es geht eigentlich darum, zusätzlich zum Übergangsmanagement Aufgaben zu übernehmen und sich da auch durchaus als Person mit einzubringen. Wie gesagt, auch mit der Anforderung, sich abgrenzen zu können im Bedarfsfall."
Friedrich Cinibulk, Konstantins Mentor, hat noch Kapazitäten frei. Er sieht sich als praktizierender Christ, das sei ein Teil seiner Motivation, sagte er bereits am Telefon. Der 75-jährige Arbeitspädagoge im Ruhestand hat jahrelang mit Gefangenen und Langzeitarbeitslosen zusammengearbeitet, hat Berufsausbilder ausgebildet, Prüfungen abgenommen. Konstantin ist mehr als froh, einen "Ausbilder der Ausbilder" als Mentor zu haben. Er ist sogar stolz.
Friedrich Cinibulk: "Und im Übrigen wiederhole ich es noch einmal: Sie haben meine Telefonnummer, Sie können bei mir jederzeit anrufen. Früher oder später werden Sie ja ein Handy besitzen."
Konstantin: "Ja. Ich werde heute schon danach schauen."
Friedrich Cinibulk: "Sehr gut, damit Sie mich dann immer erreichen können. Ich kann nicht zaubern. Ich will ihnen auch keine falschen Hoffnungen machen. Aber ich bin bereit, mich im Rahmen der Möglichkeiten zu engagieren."
Konstantin: "Meine Ziele sind folgende, jetzt muss ich, wie gesagt erst mal selbst realisieren, dass ich frei bin. Und erst mal wissen, was ich will, was auch realisierbar ist. Das erste wäre mal die Ausbildung. Das ist soweit schon alles geklärt. Was ich mir wünschen würde, da versuche ich erst mal selbst drauf zuzugehen, wäre ne Abendschule. Dass ich mein Abitur nachholen könnte. Wo ich sie dann konkret ansprechen werde, wenn ich eine Wohnung habe, ist die Ausstattung."
Friedrich Cinibulk: "Und zum Beispiel gerade im Hinblick auf weiterführende Schulen, da weiß ich auch gut Bescheid, da könnte ich Ihnen auch ganz konkret Tipps geben. Ich verstehe ja unseren Mentorenauftrag nicht so als Händchenhalten, tief in die Augen schauen und lieb sein, sondern Hilfe zur Selbsthilfe geben. D.h. Sie da unterstützen, wo eine Unterstützung nützlich sein könnte."
Konstantin hat einen Mentor mit Profi-Qualitäten erwischt. Er schaut glücklich. Es sieht nach einer guten Zusammenarbeit aus.
Friedrich Cinibulk: "Ich habe ein ausgesprochen gutes Gefühl. Und da habe ich auch in dem Punkt den Eindruck, wir werden gut miteinander zurechtkommen. Ich habe einen richtigen Partner. Ja. Keinen Schützling."
Konstantin: "Partner. Genau!"
JVA-Beamter: "Den Entlassungsschein mitnehmen! In dem Pola Computer bist du noch drin als Inhaftierter, in dene ihrem Computersystem stehst du noch als Insasse drin. Damit du das immer dabei hast. Sonst bist dann schnell wieder hier. Das bringt‘s nicht. Machs gut . Ciao. So, dass wär's."
Konstantin hat Schweißperlen auf der Nase. Eine dicke blaue Reisetasche und eine Kiste - sein Gepäck für den Neuanfang. Ein Freitagmorgen im Juni um halb zehn. Zwei Jahre und zwei Monate Haft liegen hinter ihm.
Manuel Pensée: "So. Willkommen in der Freiheit!"
Konstantin: " Ich hab die ganze Nacht nicht schlafen können."
Konstantin lädt Kiste und Reisetasche ins Auto, kramt seinen Pass hervor. Manuel Pensée, ausgebildeter Sozialpädagoge und so genannter "Übergangsmanager" begleitet ihn an diesem Morgen zum Einwohnermeldeamt, zum Wohnungsamt, zu seiner neuen WG, zur Bank und zu einem Treffen mit dem zukünftigen Mentor.
Manuel Pensée: "Also, beim Sozialamt müssen wir mal gucken, was wir da in erster Linie brauchen. Wir müssen gucken, dass wir diesen Antrag beim Wohnungsamt abgeben. Und am Montag den ALG 2 Antrag."
Manuel Pensée hat schon in den letzten Monaten die Fäden für Konstantin nach draußen geknüpft. Er hat Konstantins Fall bei den Ämtern vorgestellt, die Ausbildungsförderung beim Arbeitsamt angekündigt, mit möglichen Praktikumstellen telefoniert.
Konstantin: "Ich habe hier 'ne Ausbildung gefunden - als Elektriker. Ich hab in der JVA Wiesbaden eine Ausbildung als Gebäudeinstallateur gemacht. Das habe ich da gelernt, das was ich jetzt anfange, ist Industrieelektroniker. Da fällt einem einfach ein Stein von Herzen."
Die Ausbildung beginnt am 1. August. Bis dahin arbeitet Konstantin in der Wiesbadener Stadtgärtnerei. Es sieht gut aus für den Russlanddeutschen mit deutschem Pass. Die Regel ist es nicht.
Ottmar Hitzelberger: "Hallo, wie siehst’en aus?"
Christian: "Wie denn?"
Ottmar Hitzelberger: "Total zerrockt."
Christian: "Am Wochenende fahren wir in die Schweiz, zum Bella Luna Dance Festival. Cool."
Eine lockere Umarmung. In den letzten Wochen haben sie nur telefoniert. Christian - seit Februar aus der JVA Wiesbaden entlassen - trifft Ottmar Hitzelberger, seinen Mentor. Die beiden haben sich bei Dreharbeiten im Knast kennen gelernt. Ottmar Hitzelberger ist Dokumentarfilmer und hat Christian und andere Gefangene ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Zuletzt haben sie sich an Christians Entlassungstag gesehen. Ottmar Hitzelberger hat Christian abgeholt und nach einem üppigen Frühstück in der Freiheit direkt in einen Verleih für Filmzubehör - Kameras und Licht - begleitet.
Christian: "Das war ja überhaupt ein Flash. Du kommst aus dem Knast raus und hast gleich ein Vorstellungsgespräch. Und ich hatte zwischendurch halt ein komisches Gefühl. Aber das hat sich dann nicht bestätigt. Ich hab mich halt geärgert, dass ich keinen Führerschein hatte und den vorher nicht gemacht hab. War schon ein cooler Laden. Ich würd gern da arbeiten."
Kein Praktikum in der Filmbranche - aber Aussichten. Wenn er den Führerschein gemacht hat, bekommt Christian die nächste Chance. Den Kontakt zum Verleih hat der Mentor Ottmar Hitzelberger gestiftet.
Ottmar Hitzelberger: "Ist ja eigentlich ein Stück Mentorarbeit - so einen Arbeitgeber darauf vorzubereiten, was er da eigentlich übernimmt. So bisschen auch offenzulegen aus einer anderen Sicht: Was ist das für ein Typ? Was kann der? Auch die linke Hand ins Feuer zu legen, um dem dann vielleicht auch zu einem Job zu verhelfen."
Der Dokumentarfilmer filmte die Gefangenen bei der Ausbildung, bei dem Abschluss ihrer Teilqualifikationen. Christian arbeitete in dieser Zeit in der Medienwerkstatt, lernte digitale Bildbearbeitung, Filmschnitt und Computergrafik.
Ottmar Hitzelberger: "Christian hat sich ja auch in der JVA-Zeit herausgestellt als einer, der mit Sachen umgehen kann - mit Film, mit Computer, mit Foto, mit Musik. Der ist ja in diese Kurse reingegangen und ist ja auch einer, der mir dann aufgefallen ist. Wir haben so ein ganz gutes Verhältnis aufgebaut. Wir haben uns beobachtet, ich habe ihn interviewt, ich hab mit ihm geredet, ihn so abgefragt, was er gerade macht. Es hat sich so entwickelt, dass man dann sagt. Man kümmert sich so ein bisschen um ihn, wenn er raus kommt. Versuchen, dass er da irgendwie anknüpfen kann, was er da gelernt, entdeckt hat, was sich da für ihn geöffnet hat."
Zurzeit wohnt Christian in einem Übergangswohnheim in der hessischen Provinz. Eine eigene Wohnung hat er noch nicht. Noch fehlt das Geld. Er ist arbeitslos gemeldet. Christian saß seine Haftzeit ohne Lockerungen komplett ab. Danach war er frei. Ohne Auflagen. Er startete allein durch den Ämterdschungel. Den Mentor im Hintergrund. Er hat Jobs beim Arbeitsamt gesucht, hat Zeitarbeitsfirmen abgeklappert.
Ottmar Hitzelsberger: "Ist da etwas passiert mit dem Abklappern?"
Christian: "Hat sich absolut gar nichts ergeben. Weil die mich immer gefragt haben: Was haben sie die letzten zwei Jahre gemacht? Und dann hab ich halt gesagt. Die letzten zwei Jahre saß ich im Knast und dann haben die gesagt. Ja wir melden uns. Ich bin jetzt zwar bei denen in der Kartei. Aber ich glaube nicht, dass die mich vermitteln."
Zurzeit jobbt Christian gelegentlich in einem Kindergarten, dort wo seine Freundin arbeitet, die er vor kurzem kennen gelernt hat. Und er will in einer Gärtnerei arbeiten - über den Sommer. Die Bewerbung läuft. Lieber noch wäre ihm: Fahrer, Kabelträger, Tonhilfe - irgendetwas, das mit Film zu tun hat. Ottmar Hitzelberger will weiter Drähte ziehen.
Ottmar Hitzelberger: "Ich glaube, was bei dieser Arbeit auch wichtig ist, ist einen Zugang zu haben zu den Jungs, und zu sagen. Man versucht die da auch in einen Weg rein zu bringen, wo es einigermaßen okay ist, wo sie weiterkommen, wo sie nicht sowieso den Stempel, den sie sowieso auf der Stirn haben "Knacki", wo sie den überdecken können mit dem, was sie können oder an Qualitäten mitbringen. Und es ist natürlich wichtig, dass sich dieser Mentor immer wieder meldet, immer wieder da ist, so ein Ansprechpartner ist, wenn es auch mal knackt. Die Beziehung zwischen dem Mentor und dem Jugendlichen ist natürlich absolut wichtig, um das Vertrauen zu haben."
Christian: "Er muss halt auf jeden Fall wissen, von was ich rede. Er geht locker mit einem um, unverkrampft - so einen auf Kumpel - das zieht halt auch. Das ist ganz wichtig, damit man, wie er auch schon gesagt hat, Vertrauen fassen kann, okay, auf den kann ich mich verlassen, Vertrauen haben können. Es ist halt wichtig, dass er halten kann, was er sagt. Definitiv. Wenn ich halt zusage, wie hier zum Beispiel. Dann muss ich dann auch kommen. Umgekehrt ist es ja genauso."
Wie heute zum Beispiel zum Interview. Entspannt sitzt Christian mit den blonden Rasta-Zöpfen da. Es klingt so, als wäre Christian bereit Umwege zu gehen. Er bemüht sich gerade um ein Praktikum in einer Gärtnerei. In der Erde wühlen. draußen sein, das könnte ihm auch gefallen. Im Auge behält er den nächsten Schritt.
Christian: "Das wäre so ein Sicherheits-Anker mit dem Gärtnerding. Das große Ziel ist schon im Film- und Medienbereich etwas zu machen. Aber um dort hin zukommen, dauert das ne Weile, wenn das jetzt nicht mehr klappt dieses Jahr."
Manuel Pensee: "Das ist die Bescheinigung, die er vorlegen muss für den Antrag. Und hier der Brief, den der Herr Merten geschickt hat. Hier Ihre aktuelle Anmeldung. Das drück ich Ihnen jetzt mal so alles in die Hand. Ich weiß nicht, was Sie davon brauchen am Schalter. Aber es könnte ja sein."
Freitag, halb elf, Wohnungsamt Wiesbaden. Konstantin lächelt dankbar. Die kleinen Hinweise von Übergangsmanager Manuel Pensée stärken ihm an diesem Morgen der Entlassung den Rücken. Nach einer neuen gesetzlichen Regelung soll er, weil er unter 25 Jahre alt ist, verpflichtet sein, bei seinen Eltern zu wohnen, in Nordhessen. In einer Erklärung konnte Manuel Pensée begründen, warum dieser Neuanfang für Konstantin ausgerechnet in Wiesbaden so wichtig ist. Die Einzelfallentscheidung wurde positiv beschieden. Seit heute morgen ist Konstantin Wiesbadener.
Manuel Pensée: "Um sich als junger Erwachsener im Ämterdschungel und in der desolaten Lage von Arbeitsmarkt durchzusetzen, braucht man nicht nur eine normale Frustrationstoleranz, sondern muss man gelernt haben sich durchzusetzen, auch seine Ziele weiter trotz Misserfolge im Auge zu behalten. Die Regel ist ja die Misserfolgserfahrung, und dann trotzdem dran zu bleiben, das muss man gelernt haben, und der Vollzug ist eine Zeit der weitgehenden Fremdbestimmung. Von daher sind das durchaus sehr harte Übergänge."
Viele Gefangene haben den Kontakt zu ihren Familien abgebrochen. Wollen bewusst an alte Freundschaften nicht mehr anknüpfen. Am Tag der Entlassung taumeln einige wie verloren in die Freiheit.
Manuel Pensée: "Und da braucht man mehr Man-Power, denn unter den Bedingungen von Hartz IV ist das tatsächlich eine Herausforderung, im Einzelfall zu unterstützen. Es sollen Mentoren gewonnen werden, die Patenschaften aufnehmen, für die Nachbetreuung der Leute, in der Lebenssituation, in der Ausbildungssituation, in der sie gerade sind. Kann ja auch sein, sie sind wohnungssuchend, ausbildungssuchend, arbeitssuchend."
Einen ganzen Pool Ehrenamtlicher wollen die Mitglieder des Vereins für Haftentlassene Holzstraße gemeinsam mit dem Übergangsmanager und anderen Mitarbeiter der JVA Wiesbaden aufbauen. Die Mentoren sollen professionell betreut werden, Fahrtgelder werden in Zukunft gezahlt. Feed-back-Runden soll den Mentoren Halt geben.
Mit einem stolzen Grinsen auf dem Gesicht führt Alexander seine Mentorin Frau Kim durch seinen - vielleicht - zukünftigen Ausbildungsplatz. Wenn alles gut geht. Vor drei Wochen hat sein Praktikum im Ausbildungsrestaurant "Gabel" in Wiesbaden begonnen. Alexander und seine Mentorin haben schwierige Monate hinter sich. Alex ist seit Oktober 2005 auf Bewährung draußen. Eine Alkohol-Therapie, die er unmittelbar nach Haftentlassung begonnen hatte, hat er abgebrochen. Ein Rückfall. Eigentlich ein Grund, die Bewährung auszusetzen. Eine Zusage für ein Praktikum in einem Hotel im Rheingau und ein Schreiben von der Mentorin und der Bewährungshelferin an den Richter hat ihn kurzfristig vor der Rückkehr in den Knast bewahrt. Aber das Praktikum musste Alexander abbrechen, der Stress im Hotelbetrieb hat ihn überfordert.
Eui-Ok Kim: "Ich bin froh, dass Alexander so eine überbetriebliche Ausbildung macht. Als er auf dem freien Markt in einem renommierten Hotel arbeitete, hatte ich immer Bauchschmerzen gehabt."
Alex: "Und hier ist es eben anders. Da ist der Chef, der sagt mir, was ich machen soll, dann weiß ich das, morgen früh zum Beispiel muss ich um halb 7 da sein. Da muss ich hier alles aufmachen, vorbereiten und da habe ich eine direkte klare Ansage."
Nach der Odyssee in den letzten Monaten kann seine Mentorin, die Soziologin Frau Kim aufatmen.
Eui-Ok Kim: "Ich wurde vom Übergangsmanager gefragt. Und weil ich mit Alexander schon in der JVA Kontakt hatte, Interviews gemacht habe, war das nicht so ganz fremd, habe ich zugesagt, okay. Er ist willig, er hat immer Hoffnung gemacht. Wenn er draußen ist, vorzeitig entlassen wird, dann möchte er das und das machen. Und dadurch habe ich gedacht: Ja ich helfe."
Frau Kim kam ins Schwitzen: Anrufe von Alexander, mit der Bewährungshelferin zusammenarbeiten, Einschätzungen für den Richter schreiben. "Wie mein eigener Sohn !" - sagt sie einmal am Telefon.
Eui-Ok Kim: "Vor allem, dass ich neben meiner Hauptarbeit, die Arbeit ehrenamtlich machen muss. Und in der Tat: unmittelbar nach der Entlassung haben die doch mehr Betreuung nötig, als ich dachte. Überforderung in dem Sinne, weil ich ständig schlechtes Gewissen habe. Die Haftentlassenen, die unter Mentorenschutz sind, die brauchen irgendwie viel mehr Unterstützung. Ich müsste Ihn noch öfters anrufen."
Von unsichtbaren Bremsen im Ämterdschungel haben Alexander und Frau Kim genug. Kostenzusagen blieben aus. In den ersten Wochen und Tagen fehlte Alexander das Geld um zur Arbeit zu fahren. Alltagsstress. Einmal beim Schwarzfahren erwischt werden, heißt zurück in den Knast. Erst nach Monaten konnte Alex ein eigenes Konto eröffnen. Aufgaben, die seit kurzem der Übergangsmanager Manuel Pensée in der JVA übernimmt.
Heute trifft die Mentorin Frau Kim Alexander und seinen Ausbilder Thomas Gambler im Restaurant "Gabel" zum kurzen Austausch.
Thomas Gambler: "Er hat mich insofern überzeugt, dass er sehr gute Reputationen hatte von seiner Jugendhaftanstalt, hat auch eine Art Pseudo-Ausbildung begonnen und die Chemie zwischen uns beiden hat gestimmt, wir waren sehr direkt miteinander. Und das hat gepasst. Die Fähigkeiten, die er hat: Er hat einen guten Überblick, er kann improvisieren, das ist ganz wichtig und er ist ein ganz guter Teamworker. Was die Tugenden angeht, da müssen wir noch mal drüber sprechen. Nur Lob bringt nix. Wir müssen auch wirklich Tacheles sprechen. Du weißt, morgen um halb 7."
Alexander ist gefordert. Die Ausbildungsstelle in der "Gabel" zu ergattern, ist sein nächstes Ziel. Und er lernt dazu: Eigene Schwächen einzugestehen. Wenn wieder mal der Boden unter den Füßen wegzubrechen droht, hat Alexander eine Telefonnummer.
Eui-Ok Kim: "In dem Moment hat er gesagt: Ich habe große Schwierigkeiten. Ich bin froh, dass er sofort gesagt hat: Bitte helfen Sie mir, ich brauche Hilfe. Und es gibt auch viele junge Leute, die das nicht mal sagen können. Da muss ich Alexander loben. Er ist ehrlich. Wenn er Hilfe braucht, ruft er an. Oder wir haben Kontakt."
Alex: "Das war mir auch in der Haft schon wichtig, dass ich auf jeden Fall weiterhin betreut werde danach. Ich hab vor der Haftzeit nur einen Freundeskreis gehabt, wo ich mit Drogen und Alkohol und sonstigen Sachen, Gewalt zu tun gehabt habe. Und ich muss ja mein Freundeskreis komplett wechseln. Und falls es da irgendwelche Probleme gab, hat’s mir schon gelangt, dass ich da wusste, ich kann Faru Kim anrufen, die kommt vorbei, unterhält sich mit mir. Und dann hab ich das Bier schon stehen lassen. Da hab ich schon gar keine Lust mehr gehabt."
Zurzeit lebt Alex in einer Gartenhütte - komplett eingerichtet. Freunde haben sie ihm zur Verfügung gestellt. Er hat eine ambulante Therapie angefangen. Eigentlich läuft alles ganz gut zurzeit. Auch hat er eine neue Freundin. Er gibt sich Mühe. "Man tut, was man kann", sagt er noch, grinst und klingt doch ganz ernst. Frau Kim wird jetzt die nächsten Wochen nicht erreichbar sein. Sie fährt in Urlaub. Alex hat morgen früh um 7 eine Verabredung. Tacheles reden mit seinem Ausbildungschef. Einer, der ihn und seine Fähigkeiten ernst nimmt - für Alex eine Riesen-Chance.
Konstantin:"Der Salat - so was habe ich lange nicht gegessen - oh wie lange! Ich kann das noch gar nicht realisieren. Ich weiß gar nicht, was das für ein Gefühl ist…"
Freitag, 12 Uhr mittags. Die Ämtergänge sind geschafft, der Wohnsitz angemeldet, Kiste und Reisetasche in der neuen Wohngemeinschaft verstaut, ein Bankkonto eröffnet. Konstantins neues Zuhause heißt ab heute Wiesbaden. Sein Blick verrät Erleichterung. In einem Cafe in einem typischen Wiesbadener Viertel, mit verschnörkelten Altbauten, sitzt er gemeinsam mit seinem zukünftigen Mentor, Friedrich Cinibulk und dem Übergangsmanager Manuel Pensée zum Plausch.
Manuel Pensée: "Es geht nicht darum, sich unter dem Stichwort Beziehungsarbeit sich jemanden quasi wie ein Adoptivkind zu halten und mit gleicher Aufopferung durch gute und auch durch schlechte Zeiten zu manövrieren. Es geht eigentlich darum, zusätzlich zum Übergangsmanagement Aufgaben zu übernehmen und sich da auch durchaus als Person mit einzubringen. Wie gesagt, auch mit der Anforderung, sich abgrenzen zu können im Bedarfsfall."
Friedrich Cinibulk, Konstantins Mentor, hat noch Kapazitäten frei. Er sieht sich als praktizierender Christ, das sei ein Teil seiner Motivation, sagte er bereits am Telefon. Der 75-jährige Arbeitspädagoge im Ruhestand hat jahrelang mit Gefangenen und Langzeitarbeitslosen zusammengearbeitet, hat Berufsausbilder ausgebildet, Prüfungen abgenommen. Konstantin ist mehr als froh, einen "Ausbilder der Ausbilder" als Mentor zu haben. Er ist sogar stolz.
Friedrich Cinibulk: "Und im Übrigen wiederhole ich es noch einmal: Sie haben meine Telefonnummer, Sie können bei mir jederzeit anrufen. Früher oder später werden Sie ja ein Handy besitzen."
Konstantin: "Ja. Ich werde heute schon danach schauen."
Friedrich Cinibulk: "Sehr gut, damit Sie mich dann immer erreichen können. Ich kann nicht zaubern. Ich will ihnen auch keine falschen Hoffnungen machen. Aber ich bin bereit, mich im Rahmen der Möglichkeiten zu engagieren."
Konstantin: "Meine Ziele sind folgende, jetzt muss ich, wie gesagt erst mal selbst realisieren, dass ich frei bin. Und erst mal wissen, was ich will, was auch realisierbar ist. Das erste wäre mal die Ausbildung. Das ist soweit schon alles geklärt. Was ich mir wünschen würde, da versuche ich erst mal selbst drauf zuzugehen, wäre ne Abendschule. Dass ich mein Abitur nachholen könnte. Wo ich sie dann konkret ansprechen werde, wenn ich eine Wohnung habe, ist die Ausstattung."
Friedrich Cinibulk: "Und zum Beispiel gerade im Hinblick auf weiterführende Schulen, da weiß ich auch gut Bescheid, da könnte ich Ihnen auch ganz konkret Tipps geben. Ich verstehe ja unseren Mentorenauftrag nicht so als Händchenhalten, tief in die Augen schauen und lieb sein, sondern Hilfe zur Selbsthilfe geben. D.h. Sie da unterstützen, wo eine Unterstützung nützlich sein könnte."
Konstantin hat einen Mentor mit Profi-Qualitäten erwischt. Er schaut glücklich. Es sieht nach einer guten Zusammenarbeit aus.
Friedrich Cinibulk: "Ich habe ein ausgesprochen gutes Gefühl. Und da habe ich auch in dem Punkt den Eindruck, wir werden gut miteinander zurechtkommen. Ich habe einen richtigen Partner. Ja. Keinen Schützling."
Konstantin: "Partner. Genau!"