"Verweigerung der Diskussion über unsere digitale Zukunft"
Im vergangenen Jahr habe die Große Koalition die Überwachung in Deutschland normalisiert, kritisiert Constanze Kurz, die Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Wichtige Gesetze seien ohne größere Diskussion von der Bundesregierung durchgewunken worden.
"Man hat Projekte, über die jahrelang gestritten wurde, etwa die Vorratsdatenspeicherung oder den Staatstrojaner oder die Erfassung von biometrischen Daten einfach durchgewunken", kritisierte die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), Constanze Kurz, im Deutschlandfunk Kultur die Arbeit der Großen Koalition in der letzten Wahlperiode. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehöre in diese Reihe von gefährlichen Entwicklungen. "Es kam in gewisser Weise zu einer Normalisierung der Überwachung", sagte Kurz im Rückblick auf das Jahr 2017. Der Bundesinnenminister, Thomas de Maizière (CDU) habe sich nicht mehr auf eine Debatte eingelassen, ob man Daten speichern soll. Die Debatte sei nur noch darum gegangen, wer unter welchen Umständen auf Daten zugreifen dürfe. Der Minister habe bei der Überwachung auch für das staatliche Hacken neue Möglichkeiten eröffnet.
"Die Verweigerung der Diskussion über unsere digitale Zukunft, über die Frage der Überwachung, die macht mich halt sehr nachdenklich", sagte Kurz. "Wir leben ja schließlich in einer Zeit, in der wir alle digitale Spuren hinterlassen und wo sich sehr viel ändert in Bezug auf unsere Vernetzung und auf die Daten, die wir überall hinterlassen." Es sei eine große Schwäche der Großen Koalition gewesen, sich dieser wichtigen Debatte zu verweigern. Sie hoffe, dass sich das unter einer neuen Regierung verändere. "Mein Eindruck ist, dass natürlich die Große Koalition immer einen gewissen politischen Mehltau mit sich bringt." Die Koalitionäre seien sich oft einig und man versuche internen Streit nicht nach außen trage, was eine Debatte schlecht stimulieren könne. Dabei müsse darüber gestritten werden, wie mit einer digitalen Zukunft umgegangen werden soll.
Die europäische Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC) tagt ab heute vier Tage in Leipzig. Bei dem Jahreskongress "Tu wat" geht es um brisante Themen - von Sicherheitslücken und Hackerangriffen bis zum Datenschutz und künstlicher Intelligenz.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute beginnt er wieder, und das schon zum 34. Mal, der Chaos Communication Congress, erstmals in Leipzig statt in Hamburg, und unter dem Motto "Tu wat", und wie immer ist dem Kongress die volle Aufmerksamkeit gewiss, und das nicht nur, weil diese Tage zwischen den Jahren eine nachrichtenarme Zeit sind, sondern weil dort zahlreiche enorm wichtige Themen diskutiert werden.
Seltsamerweise sind aber viele davon vorher in der öffentlichen Debatte nur weniger laut gestritten worden. Was war das also netzpolitisch betrachtet für ein Jahr, dieses 2017? Das wollte ich von Constanze Kurz wissen. Die Informatikerin ist die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, der den Kongress veranstaltet, und Autorin einer längst legendären netzpolitischen Kolumne in der "FAZ" unter dem Titel "Aus dem Maschinenraum". Frau Kurz, wenn Sie 2017 Revue passieren lassen, was war das für ein Jahr?
Constanze Kurz: Ich denke, dass die Große Koalition am Ende noch mal eine ganze Welle losgetreten hat an neuen Überwachungsprojekten. Ich denke, es kam auch wenig Diskussion auf. Die beiden Großkoalitionäre waren sich in vielen Dingen einig und haben damit natürlich auch keine Debatte stimulieren können. Man hat Projekte, über die jahrelang gestritten wurde, etwa die Vorratsdatenspeicherung oder den Staatstrojaner oder die Erfassung von biometrischen Daten einfach durchgewunken.
Hinzu trat auch noch der große Streit um das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, also die Frage, welche Inhalte man sehen darf im Netz und welche entfernt werden sollen von den großen Internetplattformen. Also hier hat sich eine ganze Reihe an für unsere Netze gefährlichen Entwicklungen gezeigt, vor allen Dingen aber zum Teil zumindest ohne eine Debatte.
Tore für staatliches Hacken geöffnet
von Billerbeck: Das heißt, wenn Sie das Jahr bilanzieren, Sie würden es netzpolitisch betrachtet, als ein Jahr des Dammbruchs sehen?
Kurz: Es kam in gewisser Weise zu einer Normalisierung der Überwachung. Der Innenminister hat sich gar nicht mehr auf die Debatte eingelassen, ob man Daten festhalten soll, sondern eigentlich nur noch darüber, wer unter welchen Umständen darauf zugreifen kann. Neben der Überwachungsfrage hat er eben auch sehr große Tore geöffnet für das staatliche Hacken.
Während wir sozusagen jetzt über die Änderung der Strafprozessordnung von vielen Polizeibehörden und Bund und in den Ländern auch solche staatliche Spionage- und Schadprogramme zum Einsatz bringen dürfen, was jetzt quasi im Gesetz erlaubt wurde, gibt es eben andererseits eine große Debatte darum, unter welchen Regeln das stattfinden soll. Und die hat der Minister letztlich weggedrückt, indem dazu keine Aussagen gemacht werden.
von Billerbeck: Es geht ja zum Beispiel um den Staatstrojaner. Weshalb kritisieren Sie gerade diese Möglichkeit so?
Kurz: Aus unserer Sicht ist die Entwicklung natürlich sehr gefährlich in Bezug auf die IT-Sicherheit insgesamt. 2017 war ja definitiv auch ein Jahr, wo wir sehr große Angriffswellen mit solcher Schadsoftware gesehen haben, die größte wohl die sogenannte WannaCry-Attacke. Und die hat nicht nur eine sehr hohe Schadenssumme, die in die Milliarden geht, verursacht weltweit, sondern sie war auch vor allen Dingen für den Gesundheitssektor sehr gefährlich. Praktisch wurde hier Leben und Gesundheit von Menschen in Gefahr gebracht.
In dieser Situation hat sich der Bundestag entschieden, dass er die Tore öffnet für deutsche staatliche Hacker. Gleichzeitig wurde auch eine Behörde ins Leben gerufen mit dem Namen Fitis, die der technische Dienstleister sein soll. Man möchte also mitspielen auf diesem Spionage- und Schadsoftwaremarkt, obwohl man damit ja ein einen Interessenkonflikt läuft. Der besteht nämlich darin, dass, wenn man staatlich hacken will, ein Interesse haben muss, Sicherheitslücken offen zu lassen, denn man will sie ja ausnutzen. Eigentlich sollte aber das Interesse sein, und nicht nur für die Bürger, sondern auch in Sinne der Wirtschaft, dass man Sicherheitslücken, die man kennt, schließt. Und hier ist aus unserer Sicht der Weg, der gegangen wird, falsch, und wir werden uns auch weiter dagegen wenden.
Automatisierter Zugriff auf die Biometriedaten
von Billerbeck: Es ist ein weiteres Gesetz im vorigen Jahr beschlossen worden, das heißt auf Englisch EID-Gesetz, das heißt, dass es eine Onlinefunktion im Personalausweis gibt, und ich durfte der Freischaltung dieser Funktion im Herbst noch widersprechen. Das ist jetzt vorbei. Was interessiert den Staat so an diesen Daten?
Kurz: Hier hat sich der Bundestag entschlossen, diese sogenannte Elektronische Identitätsfunktion im Ausweis verpflichtend für alle Bürger zu aktivieren. Denn die existiert ja seit ein paar Jahren schon in unserer neuen Ausweiskarte. Aber die Bürger haben die im Prinzip nicht angenommen. Viele haben sie gar nicht erst aktiviert, es gibt auch ganz wenige Angebote, wo man das überhaupt sinnvoll nutzen kann. Deswegen hat sich der Bundestag zur Förderung dieser sogenannten EID entschlossen und zwingt jetzt alle zur Aktivierung dieser Funktion.
Gleichzeitig aber hat der Bundestag in diesem Gesetz auch noch eine Regelung für Polizeien und Geheimdienste hineingeschmuggelt. Denn hinten in dem Gesetz war plötzlich geregelt, dass es einen automatisierten Zugriff auf die Biometriedaten, die man ja für die Pässe und Ausweise zwangsweise abgeben muss, geben soll. Das heißt, alle Polizeien, der Zollfahndungsdienst und die Geheimdienste dürfen hintenherum darauf zugreifen. Ich halte diese Entwicklung für gefährlich, weil nicht mal eine Debatte darüber stattgefunden hat, ob diese Körperdaten, die wir da abgeben, die wir ja auch zwangsweise abgeben, jetzt plötzlich von allen möglichen Stellen zugegriffen werden dürfen.
Und die Verweigerung der Diskussion über unsere digitale Zukunft, über die Frage der Überwachung, die macht mich halt sehr nachdenklich, denn wir leben ja schließlich in einer Zeit, wo wir alle digitale Spuren hinterlassen und wo sich sehr viel ändert in Bezug auf unsere Vernetzung und auf die Daten, die wir überall hinterlassen. Und sich dann politischer Diskussion zu verweigern, halte ich natürlich für eine große Schwäche der Großen Koalition, und wir hoffen, dass mit der neuen Regierung da eine größere Debatte wieder aufkommt und nicht immer nur neue Überwachungsprojekte.
Kritik an Innenminister de Maizière
von Billerbeck: Prinzip Hoffnung, kann ich dazu nur sagen. Die Frage ist nur, wieso hat es diese Diskussion in Deutschland nicht gegeben, wenn da so raumgreifende Gesetze, die uns alle betreffen, beschlossen wurden? Wieso streitet die Öffentlichkeit darüber nicht?
Kurz: Mein Eindruck ist, dass natürlich die Große Koalition immer einen gewissen politischen Mehltau mit sich bringt, weil sich die Koalitionäre oft einig waren, weil man auch versucht, Streit innerhalb der Koalition nicht nach außen zu tragen, und damit natürlich auch eine Debatte schlecht stimuliert wird. Man hat aber auch einen Innenminister gesehen mit Thomas de Maizière, der tatsächlich das Festhalten von Daten als den Normalfall betrachtet. Es ist ja nicht nur der Zugriff auf die Biometrie und das staatliche Hacken, sondern er hat ja auch die Vorratsdatenspeicherung, also das anlasslose Festhalten von Kommunikationsmetadaten und von Bewegungsdaten unserer Mobiltelefone als das neue Normale ausgerufen.
Er hat auch, obwohl es zwischen sozusagen den Parlamentariern noch umstritten war und untersucht wurde in Untersuchungsausschüssen, welche Rechtsbrüche die Geheimdienste zu verantworten haben, sozusagen in derselben Zeit im Bundestag auch noch personelle und finanzielle Aufwertung der Geheimdienste beschlossen. Das ist eine Entwicklung, die, glaube ich, ganz klar zeigt, wohin der Weg führt und wie sich der jetzt noch amtierende Innenminister eine digitale Zukunft vorstellt. Da ist kein Ausgleich mehr, da sind die Bürgerrechte, aber auch teilweise Fragen zur Sicherheit der IT-Sicherheit generell, die sind einfach hintanstehend.
Man kann nur hoffen, dass sich mit der neuen Regierung das ändert, denn wir gehen ja in eine digitale Zeit, die geprägt sein wird von einer permanenten Datenabgabe. Wir sind nun mal vernetzt mit Geräten, wir tragen sie in uns, wir tragen sie bei uns, wir sitzen im Büro daran. Und dass man endlich darüber streitet, wie man mit so einer digitalen Zukunft umgehen kann, kann nicht nur darin bestehen, dass all diese Daten festgehalten werden und nach Belieben zugegriffen werden kann.
von Billerbeck: Constanze Kurz war das, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, über die Themen, die 2017 relevant waren und zu wenig von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, die aber ganz sicher auch während des Chaos Communication Congresses diskutiert werden, der heute in Leipzig beginnt. Ich danke Ihnen und wünsche alles Gute Ihnen und uns allen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.