Netzpolitiker: Lahmlegen von Webseiten ist ziviler Ungehorsam
Das Blockieren von Internetseiten durch Hacker ist nach Ansicht des grünen Netz-Politikers Malte Spitz keine eindeutige Straftat. Er verglich die Blockade mit dem Aufhalten von Castor-Transporten. Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher der SPD, bezeichnete den Druck der US-Regierung auf Unternehmen, die mit Wikileaks zusammenarbeiten, im gemeinsamen Interview als besorgniserregend.
Kathrin Heise: Nach den massenhaften Enthüllungen von Dokumenten des US-Außenministeriums ist WikiLeaks mit Gründer Julian Assange ja so eine Art Staatsfeind in Amerika. Die amerikanischen Finanzdienstleister Visa und MasterCard sowie PayPal stiegen aus den Geldgeschäften mit WikiLeaks aus, das heißt der Geldhahn war zugedreht – auf Druck der US-Regierung. Daraufhin legten WikiLeaks-Sympathisanten die Seiten der Dienstleister lahm. Darüber spreche ich jetzt mit Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen, er ist bei mir im Studio, und am Telefon dabei ist Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher der SPD. Beide sind Mitbegründer der Initiative Pro Netzneutralität. Ich grüße Sie beide, meine Herren!
Björn Böhning: Schönen guten Morgen!
Malte Spitz: Und schönen guten Morgen!
Heise: Wenn man sich mal anschaut, zu welchen weitreichenden Handlungen internationale Konzerne wie MasterCard und Visa gegriffen haben auf Druck der US-Regierung, nämlich die Zahlungswege zu WikiLeaks zu sperren, ist das Ihrer Meinung nach eigentlich zulässig? Wie stehen Sie als deutsche Politiker dazu, Herr Böhning, fangen Sie mal an?
Böhning: Ja es ist schon besorgniserregend, diese Entwicklung, dass offensichtlich da Druck auf Unternehmen so ausgeübt werden kann, dass sie unliebsame Kundinnen und Kunden loswerden können beziehungsweise kündigen können und sperren können, weil wir auch gar nicht wissen, welche Unliebsamen das sind und auf wessen Druck hin so etwas geschieht. In diesem Falle die US-Regierung, es kann morgen und übermorgen auch eine ganz andere Regierung sein, die zu solchen Handlungen fähig ist. Insofern, es stimmt mich besorgniserregend und es stimmt mit besorgniserregend, dass offensichtlich auch die Unternehmen, die hier angesprochen worden sind, Visa unter anderem, hier die Datenweitergabe möglich gemacht hat.
Heise: Herr Spitz?
Spitz: Ja ich finde das für ein Vorgehen für einen demokratischen Rechtsstaat schon höchst problematisch, wie dort quasi rechtsstaatliche Verfahren untergraben werden. Und ich glaube auch, es wird sonst zukünftig viele weitere Fälle wie bei WikiLeaks geben, wo einfach unliebsame Informationen ausgespart bleiben, wo versucht wird von staatlichen Stellen, sie möglichst so weit fern von den Menschen und auch insgesamt aus dem Internet raus zu halten.
Heise: Und das Ganze geschieht ja immer wieder unter der Überschrift "Nationale Sicherheit", damit wird argumentiert. In der Demokratie, die Sie ja beide angesprochen haben: Wie viel Gegenwehr muss eigentlich nationale Sicherheit aushalten?
Spitz: Ich glaube, nationale Sicherheit braucht natürlich einen gewissen Schutzraum, aber es braucht gleichzeitig auch eine klare und kritische Öffentlichkeit. Und da ist glaube ich WikiLeaks und viele andere Internetplattformen ein sehr, sehr positives Beispiel dafür, wie man eine kritische Öffentlichkeit, die quasi auch staatliche Stellen – und ich zähle auch mal die ganzen Geheimdienste zu – kontrollieren kann, um halt auch bestimmte Vorgehen aufzudecken.
Böhning: Man muss ich aus meiner Sicht vor allem Sorgen darüber machen, wie hier mit Daten umgegangen wird und wo der Schutz vor Geheimnissen wirklich bestanden hat. Wenn bei den Dateien, die jetzt WikiLeaks nach und nach öffentlich macht, Menschen Zugang haben, die so viele sind wie eine Großstadt, größer als Hamburg, dann ist das besorgniserregend. Oder umgekehrt, die Daten sind sowieso quasi transparent und damit eh öffentlich. Insofern haben wir hier eine Situation, dass auch da der amerikanische Staat aus meiner Sicht überreagiert.
Heise: Malte Spitz von den Grünen und Björn Böhning von der SPD, zu hören hier im Deutschlandradio Kultur. Was verhindert eigentlich, dass Ähnliches in Deutschland passiert, Herr Böhning?
Böhning: Da verhindert erst mal gar nichts dran, denn offensichtlich hat ja auch ein Bundesverteidigungsminister, wie wir jetzt von WikiLeaks wissen, auch gegenüber dem US-Botschafter sehr transparent über Kabinettssitzungen und Verhältnisse in Kabinettssitzungen gesprochen. Nein, wir haben auch solche Situationen in Deutschland künftig zu sehen. Und das hat was damit zu tun, dass WikiLeaks nicht wirklich ein Phänomen ist, was übergangsweise da sein wird, sondern WikiLeaks ist ein positives Phänomen, nämlich dass mit Information und Informationsfreiheit da anders umgegangen werden muss und umgegangen werden wird.
Heise: Ich meine aber vor allem auch, was verhindert in Deutschland, dass von Staats wegen, von Regierungs wegen auf Unternehmen derlei Druck ausgeübt wird, dass zu solchen Maßnahmen gegriffen wird, wie es gegenüber WikiLeaks passiert ist, Herr Spitz?
Spitz: Na ja ich glaube, es gibt da schon auch ein Risiko, dass ein solches Vorgehen hier auch stattfindet. Ich wünsche mir aus dem Grunde klarere Regeln gerade im Bereich des Internets, inwieweit dort staatliche Stellen ohne vorherige Verfahren überhaupt Vorgaben setzen können. Und aus dem Grunde würde ich mir da auch eine klarere Ansage von der deutschen Internetwirtschaft wünschen, die halt ganz klar sagt, bei uns würden solche Vorgehen, nämlich beispielsweise die Inhalte ohne vorheriges Verfahren von den Servern runterzunehmen beziehungsweise die Interneteinträge insgesamt von den Servern zu löschen, wird es so mit uns nicht geben.
Und auf der anderen Seite sieht man natürlich auch, man erinnere an die Forderung von vor zwei, drei Wochen, die Pressefreiheit im Rahmen dieser ganzen Terrorismusdiskussion einzuschränken, aus Reihen der CDU, wo man natürlich auch eine ähnliche Bestrebung sieht, wo ein Staat versucht beziehungsweise glaubt zu wissen, wie man noch die öffentliche Information quasi kontrollieren und steuern kann. Und ich glaube, es braucht da insgesamt ein transparentes Vorgehen und insgesamt vielleicht auch von staatlichen Stellen ein Umdenken damit, wie man mit Information umgeht.
Heise: Wie weit sind wir denn da schon, Herr Böhning?
Böhning: Na wir befinden uns letztlich an der Schnittstelle zwischen der Frage, was ist an Öffentlichkeit da und wie meint der Staat, diese Öffentlichkeit regulieren zu können? Und da gibt es leider immer wieder – Herr Spitz hat das angesprochen – Ausschläge von sich selbst ernannten Sicherheitspolitikern, die der Meinung sind, dass der Staat Eingriff nehmen muss in den Informationsfluss des Internets, in die ja sehr hohe Transparenz, wenn man das so ausdrücken mag, des Internets. Und ich finde schon, dass eine kritische Öffentlichkeit gezwungen ist, da auch das Wort zu ergreifen und beispielsweise im Bereich Netzsperren auch beispielsweise im Bereich Netzneutralität Widerspruch anzumelden.
Heise: Widerspruch anmelden. Und von tatsächlich politischer Seite, wie wird da agiert? Was wird zum Beispiel auch in Gesetzesform gegossen werden müssen?
Böhning: Ja ich denke, dass zwei Sachen getan werden müssen, erstens: Wir müssen zu Datenschutzregelungen kommen, die auch im Internet das ermöglichen, was ... oder ein neues Datenschutzrecht, dass es ermöglicht, im Internet auch die eigenen Daten gesichert haben zu können. Das gilt auch gegenüber Unternehmen im Übrigen. Und zweitens: Ich bin der Meinung, dass wir in gewisser Weise einen Kontrollverlust auch einmal akzeptieren müssen, dass zukünftig Daten einfach transparenter sind, zum Beispiel solche Daten, wie WikiLeaks sie veröffentlicht, und da wird man aus meiner Sicht nicht viel regeln können.
Heise: Björn Böhning von der SPD und Malte Spitz von den Grünen sind beide in ihren Parteien mit Netzpolitik befasst. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar hat sich angesichts des ausgeübten staatlichen Drucks im Deutschlandfunk folgendermaßen geäußert:
O-Ton Peter Schaar: Das bringt mich natürlich zum Nachdenken. Wenn US-Unternehmen, vielleicht auch Unternehmen anderer Länder auf Zuruf ohne eine gesetzliche Verpflichtung solchen Wünschen nachkommen, dann fragt man sich, wie reagieren diese Unternehmen, wenn da eine Behörde an sie herantritt und sagt, wir hätten mal Interesse, bestimmte Daten zu sehen? Und wenn es um Zahlungsdaten geht, wenn es um Telekommunikationsdaten geht, dann sind das höchst sensible Angaben, und dann ist der Datenschutz auch bedroht.
Heise: Sagt der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar im Deutschlandfunk. Jetzt die Frage an Sie, Herr Böhning, Herr Spitz, teilen Sie die Befürchtung? Und wie sind derartig marktbeherrschende Konzerne eigentlich auf demokratisches Handeln tatsächlich zu verpflichten?
Spitz: Ja ich glaube, es braucht dafür schon klarere Regelungen und es braucht da vor allem für einen internationalen Rahmen. Weil wir sehen uns sowohl mit dem Internet plus natürlich auch mit den entsprechenden Firmen wie Visa, MasterCard und so weiter auch mit internationalen Firmen quasi konfrontiert. Und aus dem Grunde braucht es dort sowohl was die Frage des Internets – quasi unter dem Stichwort der Internet Governance – klarere Strukturen und Verfahrensregelungen, und es braucht aber natürlich auch national dort auch eine gewisse Selbstverpflichtung – ich hatte gesagt, sowohl von der Wirtschaft, aber auch vom Staat – sich dort an ein Verfahren zu halten, wo man sagt, wir fragen nur Daten ab, wenn es dazu einen richterlichen Beschluss gibt, beziehungsweise wenn es dort eine konkrete Ermittlung gibt. Und jegliche Punkte sehe ich zumindest im Fall WikiLeaks gerade noch überhaupt nicht vorliegen.
Heise: Reicht es mit der Selbstverpflichtung, Herr Böhning?
Böhning: Ich denke, man muss im ersten Schritt Selbstverpflichtungen wählen. Man muss vor allem im europäischen Raum hier zu Regelungen kommen, weil viele Dinge, die jetzt über WikiLeaks diskutiert werden, resultieren auch daraus, dass in den USA es komplett andere Regelungen bezüglich des Internets, auch bezüglich dann Datenschutzdingen gibt. Das ist nicht so weitreichend, wie wir das in Deutschland gewöhnt sind und auch fordern würden. Trotzdem, aus meiner Sicht, gerade im europäischen Raum, in der Europäischen Union, brauchen wir hier klare Regeln. Und wenn Selbstverpflichtungen nicht ausreichen, dann muss man sich auch hier über europäische Richtlinien, also gesetzliche Charakter, nachdenken.
Heise: Aber Sie würden zuerst in Europa anfangen und nicht in Deutschland?
Böhning: Natürlich können wir auch erst in Deutschland anfangen. Nun ist das Internet natürlich ein globaler Raum und da schaue ich erst mal auf das, was man auf internationaler Ebene auch regeln kann, weil es wenig bringt, Deutschland zu einer Insel zu machen. Aber die Europäische Union ist sicherlich ein Raum, wo auch solche Unternehmen wichtige Sitze haben, wo solche Unternehmen Geschäfte machen wollen und damit der Druck auch der Politik auf dieses Unternehmen deutlich größer ist, als wenn Deutschland, Belgien oder Frankreich das alleine machen würden.
Heise: Ich würde zum Schluss gerne noch mal die andere Seite anschauen, demokratische Regeln müssen natürlich auch von der Cybergemeinde eingehalten werden, selbst wenn sie sich als Vorkämpfer betrachtet, beispielsweise für Meinungsfreiheit kämpft. Wie kann das geschehen, Herr Spitz?
Spitz: Ja ich glaube, wir sehen da ja gerade schon die ersten Vorkommnisse, die ja so eine Art Gratwanderung sind. Also es wird ja sowohl versucht, bestimmte Internetseiten erst mal quasi lahmzulegen, um sie zu blockieren, was ich zumindest in Ansätzen vielleicht noch als eine Form des zivilen Ungehorsams sehen würde. Weil ob man jetzt quasi den Castor blockiert und damit etwas aufhält, beziehungsweise für zwei, drei, vier, fünf Stunden eine Internetseite blockiert, ist das vielleicht noch ähnlich zu sehen. Aber klar, es muss da auch ganz klar ein Abrüsten geben, es kann nicht sein, dass quasi Daten abgegriffen und verändert werden.
Und ich glaube auch, dass die gesamte WikiLeaks-Diskussion in dieser Szene weltweit auch eine Frage aufwirft, wie man zukünftig mit solchen Fällen umzugehen hat und welchen Ehrenkodex man sich da vielleicht auch selber geben sollte. Es gibt ja schon verschiedene Hacker-Kodizes ja quasi, wo man sich zu selbst verpflichtet ja auch als Individuum, aber ich glaube, es braucht dazu auch, in dieser Szene auch eine kritische Nachbetrachtung und auch einen kritischen Umgang damit, wie geht man eigentlich zukünftig mit weiteren Enthüllungen um?
Heise: Sehen Sie den, Herr Böhning?
Böhning: Ja ich glaube schon, dass es eine klare Verantwortung gibt bei denjenigen, die Daten transparenter machen wollen, wie wir das Bereich Informationsfreiheit als SPD auch fordern, auch gesetzliche Regelungen fordern. Die Verantwortung gibt es auf staatlicher Ebene. Aber es gibt auch die Verantwortung auf Ebene der Internetnutzer, hier mit Daten sensibel umzugehen. Und so oder so, man kann das begrüßen, was WikiLeaks gemacht hat, aber es ist primär erst mal auch ein Datenklau. Und da muss man schon auch selbst als Internetnutzer eine Verantwortung haben, mit welchen Daten ich hier wie umgehe, wenn es insbesondere auch um diplomatisch äußerst sensible Bereiche geht.
Heise: Sie hörten Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher der SPD, und Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen. Beide sind Mitbegründer der Initiative Pro Netzneutralität. Wir sprachen über die Regeln im Umgang mit Daten im Internet. Dieses Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
Björn Böhning: Schönen guten Morgen!
Malte Spitz: Und schönen guten Morgen!
Heise: Wenn man sich mal anschaut, zu welchen weitreichenden Handlungen internationale Konzerne wie MasterCard und Visa gegriffen haben auf Druck der US-Regierung, nämlich die Zahlungswege zu WikiLeaks zu sperren, ist das Ihrer Meinung nach eigentlich zulässig? Wie stehen Sie als deutsche Politiker dazu, Herr Böhning, fangen Sie mal an?
Böhning: Ja es ist schon besorgniserregend, diese Entwicklung, dass offensichtlich da Druck auf Unternehmen so ausgeübt werden kann, dass sie unliebsame Kundinnen und Kunden loswerden können beziehungsweise kündigen können und sperren können, weil wir auch gar nicht wissen, welche Unliebsamen das sind und auf wessen Druck hin so etwas geschieht. In diesem Falle die US-Regierung, es kann morgen und übermorgen auch eine ganz andere Regierung sein, die zu solchen Handlungen fähig ist. Insofern, es stimmt mich besorgniserregend und es stimmt mit besorgniserregend, dass offensichtlich auch die Unternehmen, die hier angesprochen worden sind, Visa unter anderem, hier die Datenweitergabe möglich gemacht hat.
Heise: Herr Spitz?
Spitz: Ja ich finde das für ein Vorgehen für einen demokratischen Rechtsstaat schon höchst problematisch, wie dort quasi rechtsstaatliche Verfahren untergraben werden. Und ich glaube auch, es wird sonst zukünftig viele weitere Fälle wie bei WikiLeaks geben, wo einfach unliebsame Informationen ausgespart bleiben, wo versucht wird von staatlichen Stellen, sie möglichst so weit fern von den Menschen und auch insgesamt aus dem Internet raus zu halten.
Heise: Und das Ganze geschieht ja immer wieder unter der Überschrift "Nationale Sicherheit", damit wird argumentiert. In der Demokratie, die Sie ja beide angesprochen haben: Wie viel Gegenwehr muss eigentlich nationale Sicherheit aushalten?
Spitz: Ich glaube, nationale Sicherheit braucht natürlich einen gewissen Schutzraum, aber es braucht gleichzeitig auch eine klare und kritische Öffentlichkeit. Und da ist glaube ich WikiLeaks und viele andere Internetplattformen ein sehr, sehr positives Beispiel dafür, wie man eine kritische Öffentlichkeit, die quasi auch staatliche Stellen – und ich zähle auch mal die ganzen Geheimdienste zu – kontrollieren kann, um halt auch bestimmte Vorgehen aufzudecken.
Böhning: Man muss ich aus meiner Sicht vor allem Sorgen darüber machen, wie hier mit Daten umgegangen wird und wo der Schutz vor Geheimnissen wirklich bestanden hat. Wenn bei den Dateien, die jetzt WikiLeaks nach und nach öffentlich macht, Menschen Zugang haben, die so viele sind wie eine Großstadt, größer als Hamburg, dann ist das besorgniserregend. Oder umgekehrt, die Daten sind sowieso quasi transparent und damit eh öffentlich. Insofern haben wir hier eine Situation, dass auch da der amerikanische Staat aus meiner Sicht überreagiert.
Heise: Malte Spitz von den Grünen und Björn Böhning von der SPD, zu hören hier im Deutschlandradio Kultur. Was verhindert eigentlich, dass Ähnliches in Deutschland passiert, Herr Böhning?
Böhning: Da verhindert erst mal gar nichts dran, denn offensichtlich hat ja auch ein Bundesverteidigungsminister, wie wir jetzt von WikiLeaks wissen, auch gegenüber dem US-Botschafter sehr transparent über Kabinettssitzungen und Verhältnisse in Kabinettssitzungen gesprochen. Nein, wir haben auch solche Situationen in Deutschland künftig zu sehen. Und das hat was damit zu tun, dass WikiLeaks nicht wirklich ein Phänomen ist, was übergangsweise da sein wird, sondern WikiLeaks ist ein positives Phänomen, nämlich dass mit Information und Informationsfreiheit da anders umgegangen werden muss und umgegangen werden wird.
Heise: Ich meine aber vor allem auch, was verhindert in Deutschland, dass von Staats wegen, von Regierungs wegen auf Unternehmen derlei Druck ausgeübt wird, dass zu solchen Maßnahmen gegriffen wird, wie es gegenüber WikiLeaks passiert ist, Herr Spitz?
Spitz: Na ja ich glaube, es gibt da schon auch ein Risiko, dass ein solches Vorgehen hier auch stattfindet. Ich wünsche mir aus dem Grunde klarere Regeln gerade im Bereich des Internets, inwieweit dort staatliche Stellen ohne vorherige Verfahren überhaupt Vorgaben setzen können. Und aus dem Grunde würde ich mir da auch eine klarere Ansage von der deutschen Internetwirtschaft wünschen, die halt ganz klar sagt, bei uns würden solche Vorgehen, nämlich beispielsweise die Inhalte ohne vorheriges Verfahren von den Servern runterzunehmen beziehungsweise die Interneteinträge insgesamt von den Servern zu löschen, wird es so mit uns nicht geben.
Und auf der anderen Seite sieht man natürlich auch, man erinnere an die Forderung von vor zwei, drei Wochen, die Pressefreiheit im Rahmen dieser ganzen Terrorismusdiskussion einzuschränken, aus Reihen der CDU, wo man natürlich auch eine ähnliche Bestrebung sieht, wo ein Staat versucht beziehungsweise glaubt zu wissen, wie man noch die öffentliche Information quasi kontrollieren und steuern kann. Und ich glaube, es braucht da insgesamt ein transparentes Vorgehen und insgesamt vielleicht auch von staatlichen Stellen ein Umdenken damit, wie man mit Information umgeht.
Heise: Wie weit sind wir denn da schon, Herr Böhning?
Böhning: Na wir befinden uns letztlich an der Schnittstelle zwischen der Frage, was ist an Öffentlichkeit da und wie meint der Staat, diese Öffentlichkeit regulieren zu können? Und da gibt es leider immer wieder – Herr Spitz hat das angesprochen – Ausschläge von sich selbst ernannten Sicherheitspolitikern, die der Meinung sind, dass der Staat Eingriff nehmen muss in den Informationsfluss des Internets, in die ja sehr hohe Transparenz, wenn man das so ausdrücken mag, des Internets. Und ich finde schon, dass eine kritische Öffentlichkeit gezwungen ist, da auch das Wort zu ergreifen und beispielsweise im Bereich Netzsperren auch beispielsweise im Bereich Netzneutralität Widerspruch anzumelden.
Heise: Widerspruch anmelden. Und von tatsächlich politischer Seite, wie wird da agiert? Was wird zum Beispiel auch in Gesetzesform gegossen werden müssen?
Böhning: Ja ich denke, dass zwei Sachen getan werden müssen, erstens: Wir müssen zu Datenschutzregelungen kommen, die auch im Internet das ermöglichen, was ... oder ein neues Datenschutzrecht, dass es ermöglicht, im Internet auch die eigenen Daten gesichert haben zu können. Das gilt auch gegenüber Unternehmen im Übrigen. Und zweitens: Ich bin der Meinung, dass wir in gewisser Weise einen Kontrollverlust auch einmal akzeptieren müssen, dass zukünftig Daten einfach transparenter sind, zum Beispiel solche Daten, wie WikiLeaks sie veröffentlicht, und da wird man aus meiner Sicht nicht viel regeln können.
Heise: Björn Böhning von der SPD und Malte Spitz von den Grünen sind beide in ihren Parteien mit Netzpolitik befasst. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Peter Schaar hat sich angesichts des ausgeübten staatlichen Drucks im Deutschlandfunk folgendermaßen geäußert:
O-Ton Peter Schaar: Das bringt mich natürlich zum Nachdenken. Wenn US-Unternehmen, vielleicht auch Unternehmen anderer Länder auf Zuruf ohne eine gesetzliche Verpflichtung solchen Wünschen nachkommen, dann fragt man sich, wie reagieren diese Unternehmen, wenn da eine Behörde an sie herantritt und sagt, wir hätten mal Interesse, bestimmte Daten zu sehen? Und wenn es um Zahlungsdaten geht, wenn es um Telekommunikationsdaten geht, dann sind das höchst sensible Angaben, und dann ist der Datenschutz auch bedroht.
Heise: Sagt der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar im Deutschlandfunk. Jetzt die Frage an Sie, Herr Böhning, Herr Spitz, teilen Sie die Befürchtung? Und wie sind derartig marktbeherrschende Konzerne eigentlich auf demokratisches Handeln tatsächlich zu verpflichten?
Spitz: Ja ich glaube, es braucht dafür schon klarere Regelungen und es braucht da vor allem für einen internationalen Rahmen. Weil wir sehen uns sowohl mit dem Internet plus natürlich auch mit den entsprechenden Firmen wie Visa, MasterCard und so weiter auch mit internationalen Firmen quasi konfrontiert. Und aus dem Grunde braucht es dort sowohl was die Frage des Internets – quasi unter dem Stichwort der Internet Governance – klarere Strukturen und Verfahrensregelungen, und es braucht aber natürlich auch national dort auch eine gewisse Selbstverpflichtung – ich hatte gesagt, sowohl von der Wirtschaft, aber auch vom Staat – sich dort an ein Verfahren zu halten, wo man sagt, wir fragen nur Daten ab, wenn es dazu einen richterlichen Beschluss gibt, beziehungsweise wenn es dort eine konkrete Ermittlung gibt. Und jegliche Punkte sehe ich zumindest im Fall WikiLeaks gerade noch überhaupt nicht vorliegen.
Heise: Reicht es mit der Selbstverpflichtung, Herr Böhning?
Böhning: Ich denke, man muss im ersten Schritt Selbstverpflichtungen wählen. Man muss vor allem im europäischen Raum hier zu Regelungen kommen, weil viele Dinge, die jetzt über WikiLeaks diskutiert werden, resultieren auch daraus, dass in den USA es komplett andere Regelungen bezüglich des Internets, auch bezüglich dann Datenschutzdingen gibt. Das ist nicht so weitreichend, wie wir das in Deutschland gewöhnt sind und auch fordern würden. Trotzdem, aus meiner Sicht, gerade im europäischen Raum, in der Europäischen Union, brauchen wir hier klare Regeln. Und wenn Selbstverpflichtungen nicht ausreichen, dann muss man sich auch hier über europäische Richtlinien, also gesetzliche Charakter, nachdenken.
Heise: Aber Sie würden zuerst in Europa anfangen und nicht in Deutschland?
Böhning: Natürlich können wir auch erst in Deutschland anfangen. Nun ist das Internet natürlich ein globaler Raum und da schaue ich erst mal auf das, was man auf internationaler Ebene auch regeln kann, weil es wenig bringt, Deutschland zu einer Insel zu machen. Aber die Europäische Union ist sicherlich ein Raum, wo auch solche Unternehmen wichtige Sitze haben, wo solche Unternehmen Geschäfte machen wollen und damit der Druck auch der Politik auf dieses Unternehmen deutlich größer ist, als wenn Deutschland, Belgien oder Frankreich das alleine machen würden.
Heise: Ich würde zum Schluss gerne noch mal die andere Seite anschauen, demokratische Regeln müssen natürlich auch von der Cybergemeinde eingehalten werden, selbst wenn sie sich als Vorkämpfer betrachtet, beispielsweise für Meinungsfreiheit kämpft. Wie kann das geschehen, Herr Spitz?
Spitz: Ja ich glaube, wir sehen da ja gerade schon die ersten Vorkommnisse, die ja so eine Art Gratwanderung sind. Also es wird ja sowohl versucht, bestimmte Internetseiten erst mal quasi lahmzulegen, um sie zu blockieren, was ich zumindest in Ansätzen vielleicht noch als eine Form des zivilen Ungehorsams sehen würde. Weil ob man jetzt quasi den Castor blockiert und damit etwas aufhält, beziehungsweise für zwei, drei, vier, fünf Stunden eine Internetseite blockiert, ist das vielleicht noch ähnlich zu sehen. Aber klar, es muss da auch ganz klar ein Abrüsten geben, es kann nicht sein, dass quasi Daten abgegriffen und verändert werden.
Und ich glaube auch, dass die gesamte WikiLeaks-Diskussion in dieser Szene weltweit auch eine Frage aufwirft, wie man zukünftig mit solchen Fällen umzugehen hat und welchen Ehrenkodex man sich da vielleicht auch selber geben sollte. Es gibt ja schon verschiedene Hacker-Kodizes ja quasi, wo man sich zu selbst verpflichtet ja auch als Individuum, aber ich glaube, es braucht dazu auch, in dieser Szene auch eine kritische Nachbetrachtung und auch einen kritischen Umgang damit, wie geht man eigentlich zukünftig mit weiteren Enthüllungen um?
Heise: Sehen Sie den, Herr Böhning?
Böhning: Ja ich glaube schon, dass es eine klare Verantwortung gibt bei denjenigen, die Daten transparenter machen wollen, wie wir das Bereich Informationsfreiheit als SPD auch fordern, auch gesetzliche Regelungen fordern. Die Verantwortung gibt es auf staatlicher Ebene. Aber es gibt auch die Verantwortung auf Ebene der Internetnutzer, hier mit Daten sensibel umzugehen. Und so oder so, man kann das begrüßen, was WikiLeaks gemacht hat, aber es ist primär erst mal auch ein Datenklau. Und da muss man schon auch selbst als Internetnutzer eine Verantwortung haben, mit welchen Daten ich hier wie umgehe, wenn es insbesondere auch um diplomatisch äußerst sensible Bereiche geht.
Heise: Sie hörten Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher der SPD, und Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen. Beide sind Mitbegründer der Initiative Pro Netzneutralität. Wir sprachen über die Regeln im Umgang mit Daten im Internet. Dieses Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.