Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Konsens der Empörten

Computertaste mit der Aufschrift Hate speech, Hassreden in sozialen Netzwerken.
Jetzt ist das Gesetz durch: Betreiber von Onlineplattformen müssen Regeln einhalten, wenn es um die Prüfung und Beseitigung strafrechtlich relevanter Inhalte geht. © imago / Christian Ohde
Von Daniel Hornuff · 12.01.2018
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll gegen Hetze und Falschmeldungen im Internet helfen. Doch zunächst sorgt es vor allem für Empörung - von Zensur ist die Rede. Dabei wäre eine Diskussion über sich wandelnde Funktionen öffentlicher Räume dringend notwendig, meint Daniel Hornuff.
So viel Eintracht war selten: Seit das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft getreten ist, formiert sich ein bemerkenswerter Konsens der Empörten. Bemerkenswert ist dieser Konsens, weil er ideologisch eigentlich widerstreitende Positionen in harmonische Übereinkunft bringt. Skepsis ist also mehr als geboten.
Da schimpft etwa Sascha Lobo gegen das "PR-Internetgesetz" und sieht wörtlich eine "Großeskalation gegen das Team Merkel-Maas" heraufziehen. Thilo Sarrazin sekundiert indirekt und gibt dem Gesetz "noch ein halbes Jahr", bevor es "begraben" werde.
Wolfgang Kubicki attestiert dem Bundesjustizminister sogar, "den Rechtsstaat aufgegeben und kapituliert" zu haben. Beatrix von Storch sieht schon wieder einen "Anschlag auf die Meinungsfreiheit" und wittert einmal mehr "Zensurbestrebungen". Und schließlich teilt auch Sarah Wagenknecht mit, dass das Gesetz "allen rechtsstaatlichen Grundsätzen ins Gesicht" schlage.

Vorbehalte und berechtigte Zweifel

Die Kritik am Gesetz durchläuft eine inzwischen eingeübte Argumentationsschleife: Angemahnt wird, dass die den Netzwerkbetreibern drohenden Strafen zu vorauseilendem Gehorsam führen und eine übereifrige Löschpraxis befördern könnten.
Folglich seien es weniger grundgesetzliche Vorgaben denn wirtschaftliche Interessen privater Unternehmen, die das Löschverhalten bestimmten. Es komme zur schleichenden Aushebelung des Rechts auf Äußerung der freien Meinung – und damit zur Preisgabe hoheitlicher Aufgaben.
Dabei sind längst nicht alle Vorbehalte von der Hand zu weisen. Doch selbst bei berechtigten Zweifeln gegenüber Wirksamkeit und Verfassungskonformität des Gesetzes gilt auch hier: Populistische Schulterschlüsse zur Erhöhung des allgemeinen Erregungslevels erweisen sich als besonders dämliche Formen der Kritik.
Ungleich dringlicher ist eine endlich ebenso ernsthaft wie gründlich geführte Debatte über sich wandelnde Funktionen öffentlicher Räume. Weltanschaulich kann sich gegen das Gesetz nur ereifern, wer noch immer an einem vordigitalen Begriff von Öffentlichkeit klebt.

Justizpraxis muss noch angemessener werden

Teilnehmer einer avancierten Netzwerk-Debatte hingegen gestehen sich die Komplexität des eingetretenen Wandels ein. Sie machen sich bewusst, dass die neuen sozialen Praktiken wohl irgendwann eine Reform des Justizwesens erfordern; dass es also einer Justizpraxis bedarf, die noch angemessener als heute in der Lage ist, sowohl auf Schnelligkeit als auch Häufigkeit im Netz begangener Straftatbestände zu reagieren.
Eine Debatte also, die zeigt, dass Aushandlungsprozesse zwischen staatlichen, politischen, wirtschaftlichen und privaten Interessen niemals zu einem Abschluss gelangen können.
Die derzeit schäumende Empörungswelle zeugt durchaus von einer breiten Sensibilität gegenüber diesen Fragen. Doch der Drang nach Rebellion setzt in erster Linie auf mediale Eskalation – und drückt sich damit vor der Aufgabe, die extrem schwierige Ausarbeitung einer Durchsetzung grundgesetzlicher Rechten und Pflichten in den Sozialen Medien konstruktiv zu begleiten.

Erweiterte Kultur- und Justiztechniken sind gefragt

Ergiebiger wäre es, ließen sich die nun provozierten Energien in verbale Abrüstungsvorhaben investieren. Kündigen wir doch die im Reflex geschlossene Scheinkoalition der links wie rechts, progressiv wie konservativ Gereizten wieder auf – und setzen wir uns umso differenzierter mit der Frage auseinander, welche erweiterten Kultur- und Justiztechniken eine Demokratie braucht, um ihre rechtsstaatlichen Prinzipien in all ihren Öffentlichkeiten garantieren zu können.
Bereits das Führen einer solchen Debatte wäre ein großer gesellschaftlicher Gewinn!

Daniel Hornuff, geboren 1981, arbeitet als Kunstwissenschaftler an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik, Komparatistik, Kunstwissenschaft und Philosophie promovierte er 2009 und habilitierte sich 2013. Er hatte zahlreiche Lehraufträge inne und publiziert regelmäßig zu kultur-, kunst- und designwissenschaftlichen Themen.

Der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff
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