Michael Seemann ist Kulturwissenschaftler, Autor und mit verschiedenen Projekten im Internet aktiv. Er gründete twitkrit.de und die Twitterlesung, betreibt den populären Podcast wir.muessenreden.de und bloggt hier.
Warum man gegen Hass im Netz nicht mit Gesetzen ankommt
Justizminister Heiko Maas will gesetzlich dafür sorgen, dass Gewalt und Hass im Netz umgehend gelöscht werden. Sein sogenanntes Netzwerkdurchsetzungsgesetz würde das Problem aber an der falschen Stelle anpacken, meint der Kulturwissenschaftler Michael Seemann. Am Dienstag kursierte das Video eines Mordes auf Facebook.
Wenn es nach Heiko Maas geht, soll ein neues Gesetz die Probleme mit Fake News und Hate Speech lösen. Das sogenannte "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" sieht unter anderem empfindliche Strafen vor, wenn Netzwerke wie Facebook und Twitter "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" nicht innerhalb von 24 Stunden löschen. Als "Hate Speech" wird im Gesetz ein ganzer Katalog von Straftatbeständen geführt, wie Volksverhetzung und das Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen.
Dieses Gesetzesvorhaben erfährt viel berechtigte Kritik. Dabei ist es seinerseits nur Symptom einer ganzen Debatte, die mit vielen uneingestandenen Missverständnissen geführt wird.
Hate Speech und Fake News sind keine Straftaten
Das erste Missverständnis ist, dass es sich bei Hate Speech und Fake News um strafbare Inhalte handele. Zwar gibt es strafbare Posts, und gegen sie vorzugehen, ist dringend geboten, aber nur die wenigsten problematischen Aussagen erfüllen tatsächlich einen Straftatbestand. Die meisten Hass-Trolle sind klug genug, nicht den Holocaust zu leugnen oder Hakenkreuze zu malen. Auch Drohungen werden so formuliert, dass sich der Autor oft doch noch rausreden kann. Wir haben keine Gesetze gegen zynische Häme über tote Flüchtlinge im Mittelmeer. Es gibt auch kein Gesetz gegen Rassismus oder Sexismus. Lügen ist ebenfalls nicht verboten, genau so wenig wie Kommentare über Figur, Frisur oder Intelligenz von Mitmenschen. Wer jemanden fertig machen will, wird das auch legal schaffen. Hate Speech ist kein juristischer Begriff, weil Hate Speech kein juristisch zu lösendes Problem ist.
Facebook zensiert längst nach Lust und Laune
Das zweite Missverständnis ist, dass das Gesetz von Heiko Maas ein privates Zensurregime einführe. Das ist deswegen falsch, weil es das längst gibt. Facebook löscht seit seinem Bestehen Inhalte nach Gutdünken. Diese Löschungen erfolgen oft nach Rechtsvorschriften - wenn es zum Beispiel um Urheberrechtsverstöße geht - oft aber einfach nach Geschmack wie etwa bei der Zensur weiblicher Brustwarzen. Facebook und Twitter löschen schon heute Hassrede, auch dann, wenn sie nicht strafbar ist. Jedoch bleiben ihre Kriterien dafür diffus und intransparent. Klar ist nur, dass wir mit dem Ergebnis unzufrieden sind.
Es geht also gar nicht um mehr oder um weniger Zensur, sondern um die richtige Zensur. Um diese Debatte zu führen, müssen wir uns aber zuerst vom Drohgespenst des Zensurregimes verabschieden. Facebook war niemals ein Hort der freien Rede und es dazu zu machen, steht nicht zur Debatte.
Es braucht zivilgesellschaftlichen Druck
Diese beiden Fehlinterpretationen kulminieren im dritten Missverständnis. Nämlich, dass sich die Probleme mit Hate Speech und Fakenews überhaupt gesetzlich beheben ließen. Das ist nicht der Fall. Solange wir keine Paragraphen schaffen, die Rassismus, Sexismus, Trolling oder Lügen unter Strafe stellen, kann der Staat nur die Zusammenarbeit bei tatsächlichen Straftatbeständen verbessern.
Das sollte er auch dringend tun, sich aber ansonsten zurückhalten. Der Gesellschaft bleibt nichts anderes übrig, als bei den Plattformen direkt Druck zu machen. Plattformen brauchen klarere Regeln, nachvollziehbare Prozesse und vor allem mehr geschulte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Mark Zuckerbergs offener Brief vom Februar macht klar, dass es durchaus ein wachsendes Problembewusstsein gibt. Darauf lässt sich aufbauen.