Neu-Delhi und Corona

Virus trifft Smog

22:22 Minuten
Die romantische Stimmung zum Sonnenaufgang ist vor lauter Smog kaum zu erkennen.
Die Luftverschmutzung verstärkt die Gefahr durch Corona: Versmogte Novemberstimmung in Neu-Delhi. © picture alliance/ ZUMA Press/ Manish Rajput
Von Silke Diettrich |
Audio herunterladen
Über 500.000 Corona-Infizierte gibt es in Neu-Delhi derzeit. Die hohe Feinstaubbelastung besonders jetzt im Winter erschwert den Krankheitsverlauf und erhöht die Sterberate der Betroffenen. Und dann ist auch noch Festivalsaison in Indien.
Blauer Himmel, Schäfchenwolken, eine sanfte Brise. In der harten Ausgangssperre in Indien hatten die Menschen hier immerhin für einige Wochen mal die Gelegenheit, gesunde Luft zu atmen. Alles stand still. Kaum Verkehr, keine Bauarbeiten, die Staub aufwühlen, auch viele Fabriken waren geschlossen.
Blick ins Grüne in einen blauen Himmel mit wenigen Wolken.
Aufgrund von Corona: Klarer Himmel in Neu-Delhi im April.© Silke Diettrich, ARD-Studio Neu Delhi
Seit einigen Wochen sind diese Zeiten wieder vorbei. Der dreckige Luft-Alltag ist zurückgekehrt. An 240 Tagen im Jahr ist die Luft in Indiens Hauptstadt entweder ungesund, sehr ungesund oder gefährlich. Die Luft übersteigt die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation um das Zehnfache.

Wie 45 Zigaretten an einem Tag rauchen

Forscher sagen, die Luft in Neu-Delhi sei an einigen Tagen so schlecht, dass man genauso viele giftige Stoffe einatmen würde, als wenn man 45 Zigaretten raucht, innerhalb eines Tages. Und gerade in diesem Jahr aber halten nun viele Gesundheitsexperten in Indiens Hauptstadt – im wahrsten Sinne des Wortes – den Atem an.
Denn aktuelle Studien weisen auf einen tödlichen Zusammenhang hin: Zwischen hoher Feinstaubbelastung und einer erhöhten Sterberate von Corona-Patienten. Die Gründe dafür seien leicht erklärbar, sagt der Präsident der Herzpflege-Stiftung in Indien, Dr. K.K. Aggarwal.
"Die Luftverschmutzung kann Entzündungen der Lunge verursachen, genau wie das Coronavirus auch. Wenn Feinstaubpartikel in die Blutgefäße gelangen, können die Entzündungen der Gefäße verursachen und die Wahrscheinlichkeit von Blutgerinnseln steigt. Also beides zusammen kann in der Tat schwerere Krankheitsverläufe verursachen."
Neben der Abbildung eines Mannes mit Gasmaske und dem Wert 540 steht "Gefährlich".
Gefährliche Luftwerte in Neu-Delhi: Eine Luftverschmutzungs-App, wie sie von Indern aus der Mittelklasse verwendet wird.© Silke Diettrich, ARD-Studio Neu Delhi
Und in der Tat: In Indiens Hauptstadt steigen die Zahlen auf Rekordhöhe. Neu-Delhi stellt auf der Negativ-Skala wieder einen neuen Rekord auf.

Weltgrößter Anstieg der Corona-Zahlen

Es ist nicht nur die Stadt mit dem schlimmsten Smog weltweit, sondern auch die Stadt mit dem weltgrößten Anstieg der Corona-Zahlen. Und den führen Lungenexperten direkt auf die Luftverschmutzung zurück. Denn die Coronaviren docken sich quasi an die Feinstaubpartikel in der Luft an und geraten so durch das Atmen direkt in die Lungen.
Die Luft ist in den letzten Tagen noch zusätzlich mehr verschmutzt worden, weil in Indien das Lichterfest Diwali gefeiert wurde. Traditionell zünden die Menschen dabei jede Menge Feuerwerkskörper an. Der Verkauf und auch das Böllern waren in diesem Jahr verboten worden, der Regierungschef hatte nachdrücklich darauf gedrängt.

"Natürlich feiern wir auch in diesem speziellen Jahr unser Lichterfest. Aber wir werden keine Feuerwerkskörper anzünden, unter keinen Umständen!"

Jeder Atemzug toxisch!

Dennoch haben sich nicht alle in der Hauptstadt daran gehalten. Die Sichtweite am Morgen darauf lag bei nur wenigen Metern. Jeder Atemzug: toxisch!

"Es fällt einem richtig schwer, zu atmen", sagt Sanjay Kumar, "auch die Augen fangen an zu brennen. Diese Atemlosigkeit löst bei mir totale Beklemmungen aus, weil ich gleich an Covid-19 denke. Wir sind hier in Neu-Delhi schon alle ziemlich nervös wegen der Doppelbelastung."
Patienten liegen und sitzen auf Decken auf dem Boden im RML Hospital in Neu-Delhi in Indien, aufgenommen am 7. November 2020.
Laut offiziellen Zahlen sind 90 Prozent der Intensivbetten in Neu-Delhi derzeit belegt.© imago images/Hindustan Times/Sonu Mehta
Die Notaufnahmen in den Krankenhäusern von Neu-Delhi steigen jedes Jahr stark an, wenn an aufeinander folgenden Tagen die Luftverschmutzung sehr hoch ist. Jetzt liegen zusätzlich noch Patienten in den Kliniken, die wegen Corona nur schwer atmen können.
Laut offiziellen Zahlen sind 90 Prozent der Intensivbetten derzeit belegt. Der Regierungschef von Neu-Delhi, Arvind Kejriwal, wollte eigentlich verhindern, dass es so weit kommt. Vor wenigen Wochen hat er eine Kampagne angekündigt: "Krieg gegen die Verschmutzung."
So hat er sie genannt. Die Kriegsmetapher zieht sich komplett durch seine Kampagne durch. Im sogenannten "War-Room", also einer Art Kommandozentrale, würden in Zukunft alle Verschmutzungswerte überwacht, um dann gezielt Wasserkanonen zum Einsatz zu bringen. Bei einer Mini-Parade im Osten von Neu-Delhi sind diese neuen Kanonen der Presse vorgestellt worden.
Ein Blick über die vernebelten Häuserdächer von Neu-Delhi
Mit dem Winter kommt der Smog: der Stadtteil Neeti Bagh im Süden Neu-Delhis.© Silke Diettrich, ARD-Studio Neu Delhi
Auf Lastwagen installiert jagen die Kanonen Wasserdampf in die versmogte Luft. Für wenige Stunden würden somit Staub und Feinstaubpartikel aus der Luft entfernt, erklärt Gautam Kumar. Der Ingenieur vom Umweltamt muss aber auch zugeben:
"Das ist jetzt nicht exakt die technische Lösung, um die Luft in der gesamten Stadt zu reinigen. Das ist eine sehr lokal begrenzte Lösung, immer dann wenn es einen Notstand gibt."

Zu viele Baustellen, zu viel Verkehr, zu viele Fabriken

Den gibt es allerdings fast täglich hier im Winter. Die kalte Luft liegt wie eine Glocke über der Stadt und der Feinstaub bleibt tagelang einfach hängen. Es gibt zu viele Baustellen, zu viel Verkehr, zu viele dreckige Fabriken. Erschwerend hinzu kommt massiver Rauch. In den umliegenden Bundesstaaten verbrennen die Bauern zu Beginn des Winters ihre Felder, der Wind trägt die Rußpartikel in die Hauptstadt.
Vor dem Hintergrund des blauen Himmels und von grünen Bäumen fliegt ein großer Greifvogel mit gesenkten braunen Schwingen und geöffnetem Schnabel.
In Neu-Delhi gibt es viele Schwarzmilane. Im Lockdown im April hatten sie viel Raum, Ruhe und gute Luft zum fliegen.© Silke Diettrich, ARD-Studio Neu-Delhi
Aber seit Jahren schon streiten die Politikerinnen und Politiker über das Thema, jeder schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu, eine Lösung ist nicht in Sicht. Deshalb soll nun innerhalb der Stadt mehr getan werden, um die Luft zu verbessern.

Kampagne gegen die schlechte Luft

Der Regierungschef will Türme errichten lassen, die aus dreckiger Luft saubere machen sollen. Bäume dürfen nicht mehr gefällt werden, sondern müssen umgepflanzt werden. Dieselgeneratoren, die beim Stromausfall in der Hauptstadt häufig zum Einsatz kommen, dürfen nun nicht mehr benutzt werden. Die Arbeit auf Baustellen soll bei besonders schlimmen Tagen eingestellt werden.
Aber ähnlich wie beim Feuerwerksverbot halten sich längst nicht alle Menschen an die Vorgaben. Die martialisch anmutende Kriegskampagne gegen die schlechte Luft gleicht einem verzweifelten Kampf, der bislang nicht gewonnen wurde.

Landesweit mehr als neun Millionen Corona-Fälle

Ähnlich sieht es derzeit leider auch bei der Bekämpfung des Coronavirus in Delhi aus. Das Oberste Gericht In Indien hat nun mehr Engagement gegen den Anstieg der Infektionszahlen verlangt. Der Regierungschef von Neu-Delhi, Arvind Kejriwal, droht mit erhöhten Geldstrafen.
"Wir haben festgestellt, dass in Delhi an vielen öffentlichen Plätzen keine Maske getragen wird, deshalb wird die Strafe von 500 Rupien auf 2000 Rupien erhöht. Ich appelliere an alle Einwohner, darauf zu achten, dass Masken getragen werden. Mit einer Maske wird die Gefahr sich zu infizieren, deutlich vermindert."
2000 Rupien Strafe, umgerechnet fast 25 Euro, das ist weit mehr als ein durchschnittlicher Tageslohn für viele Menschen in der Hauptstadt. Eine Ausgangssperre gibt es in Indien so gut wie gar nicht mehr. In einigen Bundesstaaten bleiben allerdings immer noch die Schulen geschlossen. Landesweit gibt es nun mehr als neun Millionen Corona-Fälle.
Mehr zum Thema