Sprayer "Rocco und seine Brüder" erobern die Leinwand
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Der Film „Blaues Licht“ spielt in der Berliner Sprayer-Szene. Er erscheint wie eine Doku, ist aber keine. Graffiti-Experte Martin Gegenheimer sagt, das Verwirrspiel um Fake und Realität mache den Film einzigartig.
Heute beginnt die Kino-Tour des Films "Blaues Licht" mit der Premiere in Berlin – weitere deutsche Städte folgen. Das Mockumentary ist ein einziges Spiel mit Wahrheiten und vermeintlichen Wahrheiten. Er spielt in der Graffiti- und Aktionskunst-Szene, im Fokus steht die Gruppe "Rocco und seine Brüder", die sich nach dem gleichnamigen Film von Visconti benannt hat.
Der fiktionale Film, der wie ein Dokumentarfilm daherkommt, richtet sich dabei nicht nur an die Graffiti-Szene, sondern an einen weiteren Kreis, findet der Graffiti-Experte Martin Gegenheimer, der für das Archiv der Jugendkulturen im Bereich Graffiti arbeitet.
Ein einziges Verwirrspiel
Schon die Story, wie der Film entstanden sein soll, ist ein einziges Verwirrspiel: Sophie Sonntag, Absolventin der Filmhochschule, sei im Glauben, von der BVG, dem Betreiber eines Großteils des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin, einen Auftrag erhalten zu haben, zu einer Theaterinszenierung in den Berliner Untergrund gekommen. Das dort gedrehte Filmmaterial sei ihr dann gestohlen worden, ihr wundersamerweise aber später verpixelt und mit weiterem Material angereichert wieder zugespielt worden. Kurzum: Sie will für den Film über die Aktion des Kollektivs "Rocco und seine Brüder" eingespannt worden sein, ohne es zu merken.
Die Legende mag auch darin begründet sein, dass etliche Aktionen in dem Film justiziabel sind, entsprechend können die Protagonisten auch nicht hervortreten, entsprechend wenig wird zu ihnen bekannt: "In die Details kann man natürlich nicht gehen, auch wenn man mehr weiß", sagt Gegenheimer. "Die Arbeit in diesen Bereichen, ob es Graffiti ist oder Aktionskunst, ist faktisch nur möglich, wenn man in der Anonymität bleibt."
Bekannt sei aber, dass Rocco als klassischer Graffito-Sprayer angefangen habe und seit etwa 2016 mit dem Kollektiv "Rocco und seine Brüder" unterwegs sei, um fast noch spektakulärere Aktionskunst im öffentlichen Raum zu machen. Dabei sei die Gruppe auch sehr politisch. Während beim "Peng!-Kollektiv" und dem "Zentrum für politische Schönheit" alle Protagonisten in der Masse des Kollektivs untergingen, sei es bei dieser Gruppe anders: "Rocco ist der Frontmann!" – von seinen "Brüdern" wisse man nichts.
Spektakuläre Aktion, dann Bekennervideo
Die Aktivitäten drehten sich etwa um die Explosion der Mieten in Berlin und seien nicht nur politisch, sondern auch sehr erfolgreich gewesen: "Fast jede Aktion ist in den Medien gelandet." Gegenheimer erklärt das Muster: "Und kurz danach ist eigentlich immer auf einer einschlägigen Videoplattform eine Art Bekennervideo aufgetaucht – ein Making-of und was man damit wollte."
Der Film dreht dieses Muster noch weiter: Der erste Teil ist der Mitschnitt der vermeintlich von der BVG angeschobenen Theateraufführung: im Untergrund von Berlin, vor 60 Zuschauern, Thema des Stückes: Graffiti, ziviler Ungehorsam, Überwachungsstaat und das Leben als Sand im Getriebe. Der zweite Teil ist eine Art Making-of dieser Aktion.
"Die Stärke des Films ist, dass er mit all diesen Ebenen spielt. Alle Figuren sind zu hinterfragen und das Spiel – Was ist echt und was ist unecht? Wer fällt auf was rein? – das bleibt am Ende total offen." Nur Szene-Mitglieder und Ermittlungsbehörden wüssten vielleicht etwas mehr.
Außenstehende wüssten am Ende aber nicht mehr, was sie glauben können und was nicht. Genau diese Ungewissheit steigere den Unterhaltungswert des Films.
Kein klassisches Graffiti-Video
Gegenheimer betont, der Film habe einen besonderen Ansatz: Das Hauptzielpublikum sei wohl eher die außenstehende Gesellschaft. Der Durchschnittssprayer, so der Graffiti-Experte, wolle das sehen, was im Film allenfalls Zwischenschnitte seien. Die klassischen Graffiti-Filme auf dem Markt seien Live-Action-Videos – man sehe Leute, wie sie sprayen, wie sie Erfolg haben, wie sie wegrennen. Bei "Blaues Licht" sei es anders: "Das macht den Film für mich interessant: Das Spiel 'Was ist real, was ist nicht real?' macht den Film einmalig. Das hat es so noch nicht gegeben."
"Blaues Licht" stelle damit auch Fragen an die Gesellschaft: "Warum reagieren Leute so komisch auf Menschen, die Uniform tragen? – das ist ja ein Teil dessen, wie unsere Gesellschaft funktioniert." Der Film zeige, was alles möglich ist, wenn man Symbole wie das BVG-Logo und Uniformen vereinnahme.
(mfu)