Neu im Kino: "Das Tagebuch der Anne Frank"

Mehr Starkino als nötig

Bücherstapel mit dem "Anne Frank Tagebuch"
Bücherstapel mit dem "Anne Frank Tagebuch" © picture alliance / dpa / Peter Förster
Von Hannelore Heider |
Die Verfilmung des weltberühmten Tagebuch der Anne Frank wirkt lebendig, aber an manchen Stellen zu gewollt modern, findet unsere Kritikerin Hannelore Heider. Die die tief emotionale Wirkung der Lektüre mag sich beim Film nicht einfinden.
Die erste deutsche Verfilmung des berühmten Tagebuchs der Anne Frank als großer Kinofilm für ein großes Publikum bietet zwei Überraschungen: Die Filmversion darf zum ersten Mal Originalzitate aus dem Tagebuch verwenden, und mit Lea van Acken wurde eine Darstellerin für die Hauptrolle gefunden, die genauso jung ist wie ihr reales Vorbild.
Damit hat der Film seit seiner Ankündigung Erwartungen geweckt, die er nur zum Teil erfüllen kann. Er erzählt chronologisch. Er beginnt vor der Zeit im Versteck mit überwältigend schönen Bildern aus dem Feriendomizil der Familie Frank in der Schweiz.
Wir sehen zu, wie Anne sich selbst, ihre Familie, ihr Leben im Versteck schildert und lernen einen wirklich sehr jungen Menschen kennen, der mit wachem Blick und großem Selbstbewusstsein die dann so eng werdende Welt um sich herum beschreibt.
In diesen wenigen Monaten in einem Amsterdamer Hinterhaus, eingepfercht mit sieben weiteren jüdischen Menschen, die sich vor der Deportation verstecken, reift sie von einem durchaus eigenwilligen Kind zur jungen Erwachsenen.
Diese Anne Frank hat nichts Statuarisches, die weltberühmte Holocaustgeschichte beschwert ihren Blick nicht, im Gegenteil, für wen das Leseerlebnis schon lange zurück liegt, wird die tief emotionale Wirkung kaum wiederfinden, die jeden beim ersten Lesen ergreift.
Vielleicht kann man das bei diesem bekannten Stoff auch nicht erwarten, aber das Gefühl verstärkt sich mit zunehmendem Hinsehen, dass hier etwas doch sehr Deutsches und gewollt Modernes erzählt wird.
Anne ist ein Wirbelwind, ein streitbarer Geist, sie führt eine spitze Feder, niemand, außer dem verehrten Vater (Ulrich Noethen) findet Gnade vor ihrem Blick, und so erfrischend das anzusehen ist, das tiefe und über zwei Jahre andauernde Tal der Angst wird wohl benannt, aber nicht wirklich beschritten.
Der Film wirkt lebendig, auch weil er auf die Highlights setzt sowie auf die Beinahe-Katastrophen und am Ende sogar über den Lebensbericht hinausgeht und die Katastrophe ausmalt. Als Anne Frank im Versteck vom Leben der ständig mit dem Tode Bedrohten erzählt, lebt die Familie schon seit fast zehn Jahren in Amsterdam. Von diesem Hintergrund ist wenig zu spüren.
Die beiden deutschen Charakterdarsteller in den Rollen von Annes Eltern, Martina Gedeck und Ulrich Noethen, spielen eindrücklich und können doch hinter ihren Starstatus nicht zurücktreten. Das "Tagebuch der Anne Frank" ist in der Verfilmung mehr Kino, als es der weltberühmte historische Stoff braucht.

"Das Tagebuch der Anne Frank"
D 2016, Regie: Hans Steinbichler
Darsteller: Lea van Acken, Martina Gedeck, Ulrich Noethen, Stella Kunkat, André Jung, Margarita Broich
Länge: 128 Minuten, ab 12 Jahren

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