"Dämonen und Wunder -Dheepan", R: Jacques Audiard, D: u.a. Antonythasan Jesuthasan, Kalieaswari Srinivasan, Claudine Vinasithamby, Frankreich 2015, ab 16 Jahren
Geflüchtete Zweckfamilie in Paris gestrandet
In "Dämonen und Wunder - Dheepan" erzählt der französische Regisseur Jacques Audiard von drei Flüchtlinge aus Sri Lanka, die vorgeben, eine Familie zu sein. Die Gewalt in einem Pariser Vorort bringt unerwartete Gefühle hervor. Trotz zu vieler Actionsequenzen ein einmaliges kinematografische Potpourri.
Es war durchaus eine Überraschung, als der 63-jährige Jacques Audiard für seinen 7. Spielfilm "Dheepan" im Mai die Goldene Palme erhielt. Sein Film über tamilische Flüchtlinge in der Pariser Banlieue war gerade so noch fertig geworden und Audiard, der in Frankreich seit Jahren als Kultregisseur verehrt wird, hatte bereits mit "Ein Prophet" oder "Der Geschmack von Rost und Knochen" die Palme in Cannes verpasst. Französische Kollegen meinten dann auch fast unisono, hier hätte ein Regisseur endlich die verdiente Auszeichnung für einen Film bekommen, der nicht sein Bester sei.
Das Kino von Jacques Audiard hat sich immer durch eine rohe Kraft, Emotionalität, mitunter fast zärtliche Poesie und Anleihen beim Genrekino ausgezeichnet. Hinzu kommt ein gewisses Interesse an sozialer Realität und (Anti)-Helden, die am Rand der Gesellschaft stehen. Sie sind Kleinganoven wie der von Vincent Cassel gespielte Ex- Knacki in "Lippenbekenntnisse", geniale Getriebene wie Romain Duris als talentierter Pianist und Geldeintreiber in "Der Wilde Schlag meines Herzens", sitzen gleich ganz im Gefängnis wie Tahar Rahim als arabischstämmiger Analphabet in "Ein Prophet" oder ein von Matthias Schoenaerts verkörperter, proletarischer Lebenskünstler in "Der Geschmack von Rost und Knochen", der sich mit illegalen Boxkämpfen über Wasser hält.
Etwas anderer Film über Familie und Liebe
"Dämonen und Wunder -Dheepan" beginnt im Dschungel von Sri Lanka. Soldaten der tamilischen Befreiungsarmee verbrennen ihre Uniformen. Nach den an der Zivilbevölkerung und Soldaten verübten Massakern der srilankischen Armee bleibt nur die Flucht. So auch für Dheepan, der mit falschen Papieren, einer alleinstehenden, jungen Frau und einem 10-jährigen Mädchen eine Zweckfamilie bildet, um eine bessere Chance als anerkannter Flüchtling zu bekommen. Alle Drei stranden in Frankreich, werden in die Pariser Banlieue in eine dieser schmucklosen Sozialbausiedlungen verfrachtet und bemühen sich darum, sich schnell zu integrieren. Aber in dieser "Cité" herrschen Drogenbanden und Gewalt. Und Dheepan, der einstige Krieger verteidigt seine "Familie" mit allen Mitteln.
Audiards Film beginnt als eine realistische Studie. Die Schwierigkeiten von Migranten und politischen Flüchtlingen werden beklemmend geschildert. Dheepan kann der Vergangenheit nicht entfliehen. Schon der Dolmetscher entpuppt sich als politischer Intrigant und einige ehemalige Kämpfer wollen den Krieg auch in der Ferne fortsetzen. Aber Jacques Audiard ist weder Ken Loach noch der dritte Dardennes-Bruder. Für ihn ist Kino immer größer als das Leben und so überhöht er den Realismus, taucht zunehmend in Genrekonventionen ein und vermag auch diesmal wieder, meisterhaft erotische Spannung zwischen den Protagonisten aufzubauen. So wird "Dheepan" auch zu einem etwas anderen Film über Familie und Liebe, über Krieg und Frieden und Realismus und Action. Und wie so oft entlässt Audiard die Zuschauer am Ende in einen überhöhten, vieldeutigen Schluss mit märchenhaften Zügen. Auch wenn der zweite Teil des Films es mit den Actionsequenzen und "Ein Mann sieht Rot"-Anleihen etwas übertreibt, bleibt dieses kraftvolle kinematografische Potpourri im aktuellen Kino einmalig!