Grüße aus Fukushima
Deutschland 2016 - Regie: Doris Dörrie, Darsteller: Rosalie Thomass, Kaori Momoi, Aya Irizuki - ab 12 Jahren, 108 Minuten
Entlarvende Doku über Nordkorea
Das Drehbuch für Vitaly Manskys Nordkorea-Doku haben Behörden verfasst, sein Filmteam wurde rund um die Uhr bewacht. Trotzdem gelingt Mansky mit "Im Strahl der Sonne" ein faszinierender Einblick in die groteske Selbstinszenierung der Diktatur. Einer unserer Filme in der Kritik.
Feelgood in Fukushima
"Oft gerate ich in Panik, wenn ich daran denke, welche Richtung mein Leben nimmt."
Marie ist ein komplizierter Fall. Ständig befindet sie sich in Lebenskrisen, zuletzt kam noch eine dramatische Trennung dazu. Eine Reise nach Fukushima soll Neuorientierung bringen. Marie arbeitet für die Hilfsorganisation Clowns4Help und soll bei den Überlebenden der Atomkatastrophe für Ablenkung sorgen. Aber das geht gründlich schief: Bei Maries Clownsnummern lacht kein Mensch:
"Das war furchtbar, megapeinlich, ich kann diese Scheiße nicht."
"Warum bist Du dann hier?"
"Weil ich ein Arschloch bin, ein dummes. Weil ich dachte, wenn ich mal wohin fahre, wo ich sehe, wie schlecht es den Leuten geht, dass es mir dann besser geht. Weil ich ein dummes, verwöhntes, arrogantes Scheißmädchen aus Deutschland bin."
Tragik und Komik liegen in Doris Dörries "Grüße aus Fukushima" nah beieinander. Als Marie frustriert wieder abreisen will, wird sie von einer energischen alten Frau aufgefordert, sie in die verseuchte Sperrzone zu bringen. Marie gehorcht und fährt die Frau zu ihrem zerstörten Haus, das diese trotz Verseuchung wieder aufbauen will. Ohne genau zu wissen warum, bleibt Marie. Und sie hilft der unwirschen Frau beim Wiederaufbau, während die ihrerseits versucht, der tollpatschigen Marie japanisches Feingefühl beizubringen.
"Sie waren eine Geisha?"
"Ich bin eine Geisha, die letzte hier."
"Sie sind so elegant."
"Und Du bist ein Elefant."
Wie zu erwarten kommen sich die Frauen näher, was Dörrie mit etwas zu kitschigem Goodfeel-Feminismus als Geschichte erwachender Frauensolidarität erzählt. Dass "Grüße aus Fukushima" trotzdem funktioniert, liegt nicht nur am Genius Loci, dieser verlassenen, westernhaft in Schwarz-Weiß gefilmten Ödnis – sondern vor allem an Rosalie Thomass: Sie spielt Marie mit einer trotzigen Zerknirschtheit, die das Pathos der Inszenierung lustig abfedert.
Das absurde Theater der Propaganda
Pathos, allerdings in seiner absurdesten Form erlebt man auch im Dokumentarfilm "Im Strahl der Sonne" des russisch-ukrainischen Regisseurs Vitaly Mansky. Gedreht wurde in Nordkorea – eine Herausforderung.
"Vor Drehbeginn in Pjöngjang legten uns die staatlichen Behörden ein Drehbuch für diese Dokumentation vor, daran sollten wir uns halten. Uns wurden Aufpasser an die Seite gestellt, praktisch rund um die Uhr."
Der Film porträtiert den Alltag der achtjährigen Zin-mi in der Hauptstadt Pjöngjang. Die Szenen wurden vorher von Regierungsseite genau festgelegt – so wie der angeblich authentische Familienalltag.
"Als wir Zin-mi ein halbes Jahr vor Beginn der Dreharbeiten kennenlernten, erzählte sie uns noch, dass sie mit ihrer Großfamilie in einem bescheidenen Haus in der Nähe des Bahnhofs lebt."
Als das Team zu drehen beginnt, wohnt Zin-mi plötzlich in einer komfortablen Wohnung im besten Viertel der Hauptstadt. Indem Mansky die Inszeniertheit dieses Alltags ausstellt, wird aus "Im Strahl der Sonne" ein faszinierend entlarvendes Dokument. Mansky lässt die Kamera einfach vor und nach den präzise nach Anweisung gestellten Szenen weiterlaufen – die inszenierte Realität wirkt dadurch wie absurdes Theater. Nur in wenigen, heimlich gefilmten Situationen wird das Elend sichtbar. Verstörender als das aber wirkt der Perfektionismus der Protagonisten, mit dem sie den grotesken Schein aufrechtzuerhalten suchen. Einzig den Kindern rutscht mal ein Gähnen während der ewig langen Propagandaveranstaltungen raus – die denkbar subversivste Geste in Nordkorea.
Im Strahl der Sonne
Deutschland , Russland , Tschechische Republik , Nordkorea 2015 - Regie: Vitaly Mansky - 90 Minuten
Thrillerartige Holocaustverfilmung
Von schönem Schein am weitesten entfernt ist "Son of Saul". Der ungarische Film erzählt vom Holocaust auf eine neuartige Weise, die für Kontroversen sorgte, aber dem Spielfilmdebüt von László Nemes auch den Oscar eingebracht hat. Der jüdische Häftling Saul arbeitet 1944 im Sonderkommando von Auschwitz-Birkenau. Seine Aufgabe ist es, die neu ankommenden Juden vor dem Gang in die Gaskammer zu beruhigen. Wenn alles vorbei ist, holt das Sonderkommando die Leichen heraus und putzt die Gaskammer für die nächsten Ankommenden. Die Kamera ist Saul dabei buchstäblich auf den Fersen, man erlebt den Ablauf der Todesmaschinerie aus seinem eingeschränkten Sichtwinkel, der Hintergrund ist nur verschwommen wahrnehmbar. So intensiv hat man die Fließband-Routine des Massenmordes noch nicht gesehen.
"Los, ihr Judenschweine. Schneller!"
Saul macht stoisch seine Arbeit, bis er in einem toten Jungen seinen Sohn zu erkennen glaubt. Nun setzt er geradezu obsessiv alles daran, das Kind rituell zu beerdigen. Mit diesem offensichtlichen Versuch, in der Hölle Würde zu bewahren, bringt Saul andere Häftlinge in akute Todesgefahr. Seine Obsession sorgt für eine solche Häufung von fast Thriller-artigen Spannungsmomenten, dass zunehmend unklar wird, was Regisseur Nemes mit "Son of Saul" eigentlich erzählen will. Ein Filmdebüt, dessen Bilder sich ins Gedächtnis brennen, aber auch etwas ratlos machen – und weiter für Debatten über die Verfilmbarkeit des Holocausts sorgen werden.
Son of Saul
Ungarn 2015 - Regie: László Nemes, Darsteller: Géza Röhrig, Levente Molnár, Urs Rechn, Sándor Zsótér- 107 Minuten