Eine kollektive Schweizer Dystopie
Zehn Schweizer Regisseure schlossen sich für das Projekt zusammen: "Heimatland" zeigt nicht die gängigen Schweiz-Bilder von glücklichen Kühen, Berggipfeln und Luxusleben. Ein großartiger Film, findet Noemi Schneider, die in Zürich drei der Filmemacher getroffen hat.
"Unsere Berechnungen sind alarmierend. Diese Wolke breitet sich rapide aus. Heute früh wurde sie über der Innerschweiz entdeckt und bedeckte eine Fläche von 1537 Quadratmetern. Zwei Stunden später wies sie bereits die dreifache Größe auf." (Filmausschnitt)
Stromausfälle, Hamsterkäufe, hedonistische Untergangsstimmung und Verzweiflung; all das bricht mit der dunklen Wolke über die Bewohner der Schweiz herein.
"An alle Schweizer Staatsbürger! Ich bitte um ihre Aufmerksamkeit! Die europäische Union hat beschlossen mit sofortiger Wirkung keine weiteren Schweizer Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Ich wiederhole: Die Einreise in die europäische Union ist allen Schweizer Staatsbürgern bis auf weiteres untersagt." (Filmausschnitt)
Jan Gassman: "Am Anfang war da das Bedürfnis etwas beizutragen, weil in der Schweiz in den letzten Jahren doch sehr viele radikale Strömungen aufkamen, wo man sich als Kunstschaffender schon gefragt hat, okay, wo bleibt der Beitrag von uns?"
Sagt Jan Gassman, einer der zehn Schweizer Regisseure, die sich für das Filmprojekt "Heimatland" zusammengeschlossen haben:
"Unser größtes Ziel war es eigentlich von Anfang an nicht eine Ansammlung von Kurzfilmen zu machen und gleichzeitig war das extrem schwierig, denn natürlich hat jeder in erster Linie seine Figur, seinen Charakter vor sich, den er erzählen will und den er komplett erzählen will."
Querschnitt des Landes ohne gängige Klischees
Der Querschnitt des Landes hat mit den gängigen Schweiz-Bildern von glücklichen Kühen, schneebedeckten Berggipfeln und Luxusleben herzlich wenig zu tun. "Heimatland" erzählt von müden Taxifahren mit Migrationshintergrund, schuldigen Polizistinnen, alleinerziehenden Müttern und autonomen Jugendlichen.
"Bengalisches Feuer nach dem abgesagten Spiel." (Filmausschnitt)
Benny Jaberg: "Es war schon auch unser Anliegen, ein wenig an diesen Klischees zu rütteln. An diesem herausgepützelten Folklore-Bild der Heimat. Und vielleicht gibt es so was wie ne wohlwollende und liebevolle Nestbeschmutzung, die wir angepeilt hatten."
Benny Jaberg, Jan Gassmann und ihre Regiekollegin Lisa Blatter sitzen in einem Café in der Zürcher Innenstadt. Der Himmel ist blau, kein Wölkchen weit und breit. Ein herber Kontrast zur apokalyptischen Dystopie, die die Regisseure in ihrem Film heraufbeschwören.
Lisa Blatter: "Also bei mir entstand dann mit der Zeit schon auch die Lust und die Freude daran, ah jetzt darf man mal ein bisschen übertreiben oder ein bisschen zuspitzen. Und der Gedanken war schon auch mal, ja was will ich denn untergehen lassen. Also dieses Spiel, dass man's in dieser Metapher so auf die Spitze treibt, das hat schon auch irgendwie angeregt."
Hochspannender Film über die Herausforderungen Europas
"Heimatland" ist nicht nur ein hochspannender Film über Schweizer Verhältnisse, es ist ein Film, der sich an den Herausforderungen, vor denen jedes europäische Land derzeit steht, abarbeitet: Migration, Rechtsruck, Identitätssuche:
"Es got üs guat! Es got us guat!" (Filmausschnitt, SVP Politiker)
Und hier verlässt der Film dann auch den "Schweizer Boden" und wird zu einer fabelhaften Parabel über die zwiespältige und sehr universelle Beziehung, die vermutlich ein jeder zu seinem "Heimatland" verspürt.
Jan Gassmann: "Heimatland ist ja auf schweizerdeutsch auch ein Fluch, den unsere Großeltern gesagt haben. Wenn irgendwas nicht funktioniert hat, haben sie immer gesagt: 'Heimatland', das heißt so was wie 'verdammt'."