Bruderzwist am Pool
Fünf Schauspieler, ein Haus und ein Pool – nichts weiter. Aber was Regisseur Tom Sommerlatte in seinem Geschwisterfilm "Im Sommer wohnt er unten" daraus macht, ist wunderbar. Sein Preis gekrönter Debütfilm startet jetzt in unseren Kinos.
Matti ist Anfang 30 und macht Ferien. Das ist nichts Besonderes, weil der Sohn einer angesehenen Bankiersfamilie eigentlich immer Ferien macht. Aber im Ferienhaus der Familie ist es halt noch schöner: Er spielt ein bisschen mit dem Sohn seiner neuen Freundin, liegt träge auf der Luftmatratze im Pool und baut sich abends gerne ein Joint. Eigentlich könnte alles so schön sein.
"Matti, oh Gott, ist das schön, dich zu sehen. / Was macht ihr denn schon hier? / Ihr wolltet doch erst nächste Woche kommen? / Wir haben vorverlegt. Hat Mama dir nicht Bescheid gesagt? / Ne. / Jetzt sind wir aber angekommen."
Matti und sein Bruder David, gespielt Sebastian Fräsdorf und Godehard Giese, pflegen ein unterschwelliges Konkurrenzverhältnis. Denn David setzt auf Geld, Aufstieg, Karriere, ist dabei, wie es scheint, erfolgreich und demonstriert gern das Alphatier.
"Das ist jetzt nicht dein Ernst? / Was denn? / Das ist mein Zimmer. / Aber es gibt doch genug andere. / Ja, warum bist denn du dann in meinem?"
"Im Sommer wohnt er unten" ist ein ganz kleiner Film: fünf Schauspieler, ein Haus und ein Pool – nichts weiter. Aber was Regisseur Tom Sommerlatte daraus macht, ist wunderbar. Große Recherchen musste er für seinen Film nicht machen.
"Ich habe sehr viele Geschwister. Deswegen habe ich mir ja auch diese Thematik 'Geschwister' ausgesucht weil, ich bin der Meinung, dass man darüber schreiben bzw. Filme machen sollte, was man auch am besten kennt."
Die Nuancen geschwisterlicher Probleme
Aufgewachsen mit elf Geschwistern, kennt Tom Sommerlatte alle Nuancen geschwisterlicher Probleme. Und er beweist ein hervorragendes Händchen für seine Besetzung, allen voran für Sebastian Fräsdorf, der Matti wunderbar zurückgezogen, ambitionslos und selbstzufrieden interpretiert.
Tom Sommerlatte: "Als ich Sebastian kennen gelernt habe und überlegt habe, könnte das was sein für ihn, diese Rolle, musste ich feststellen, dass es da doch eine Menge Parallelen gab."
Sebastian Fräsdorf: "Ich hatte den Eindruck, als hätte Tom mich gestalked und bei mir privat Kameras installiert. Ein paar Parallelen waren auf jeden Fall da. Wenn ich jetzt sage, meine Bruder ist ähnlich, krieg ich einen auf den Deckel."
Gegen den Protest seiner Freundin Camille, konfrontativ von Alice Pehlivanyan gespielt, überlässt Matti seinem Bruder das Zimmer und reagiert ebenso zurückhaltend, als Etienne, der Sohn seiner Freundin angeblich stört.
"Ich fand es ziemlich unverschämt von dir, uns vor vollendete Tatsachen zu stellen. / Wegen Etienne jetzt, oder was? / Das ist ein Ferienhaus der Familie. Wenn ich hier mit meiner Frau Urlaub mache, dann möchte ich meine Ruhe haben. / Deswegen habe ich es ja auch extra so geplant, dass er nicht da ist, wenn ihr kommt. / Ja, dann plane eben um! Oder ich sage Etienne, er soll sich ruhiger benehmen. / Ne, Matti! Vergiss es! Der muss die nächsten zwei Wochen weg."
Was zunächst auf klare Machtverhältnisse deutet, verändert sich bald. Denn Matti und Camille verunsichern David und dessen Frau, indem sie sich unüberhörbar amüsieren.
"Die spinnen doch. / Die sind eben noch ganz schön verliebt. / Die sind vor allen Dingen ganz schön bescheuert. / Schatzi. / Komm, lass uns zum Strand. / ... / Vergiss nicht, den Rasen zu mähen!"
Inszeniert mit einer subtilen Leichtigkeit
Am nächsten Tag geht David wieder auf Angriff.
"Fang mal an zu arbeiten! Verdiene mal ein bisschen Geld. / Mache mir nichts aus Geld. / Lebt hier im Luxus, wird von Papa finanziert und sagt so was. Das sind mir die Richtigen. / Papa hat dich ja wohl auch lange unterstützt. / Das war eine Investition. Gut angelegtes Geld."
Doch eigentlich hat David gar nicht so viel zu lachen: Seine Ehe ist noch immer ungewollt kinderlos, sein Erbe ist verbrannt und Lena, seine Frau, bekämpft Davids Börsenspielsucht.
"Zeige mir deine Finger! / Ich schwöre bei meiner Frau, dass ich privat keine Aktiengeschäfte mehr mache. / Und in letzter Zeit keine gemacht habe. / Und in letzter Zeit auch keine gemacht habe."
Wobei Karin Hanczweski in der Rolle der Lena emotional geschickt balanciert zwischen Ferienfreude und Familienabgründen, seelischer Enttäuschung und Umschalten in den Angriffsmodus.
Karin Hanczweski: "Mit tut das auch weh, wenn ich die Leute so sehe. Man möchte die nehmen und schütteln: Schrei doch mal!"
Mit subtiler Leichtigkeit inszeniert er eine berührende Familiengeschichte, in der es hinter der Fassade von Selbstsicherheit und Durchsetzungsvermögen mächtig bröckelt. Aber der Film versinkt nicht keineswegs in ein Drama, sondern wirkt immer amüsant hintersinnig. Und Hauptdarsteller Sebastian Fräsdorf erinnert mit der Lakonie, die er seiner Figur Matti verleiht, an Charaktere aus Filmen von Aki Kaurismäki. Obgleich es sich vor allem um einen schönen Ensemblefilm handelt, in dem es kein unpassendes Achselzucken, kein unbedeutendes Augenzwinkern, keine überflüssige Kopfbewegung gibt. Ein kammerspielartiges Gesellschaftsspiel, bei dem einiges zu Bruch geht, aber jeder um einige Erfahrungen reicher zurückbleibt.