Lenas Klasse (Klass korrektsii)
Deutsch-russisch 2014 - Regie: Iwan Twerdowski, Darsteller: Olga Lapshina und Mariya Poezzhaeva - 93 Minuten
Sozialdrama über Sonderschüler in Russland
Der Kinofilm "Lenas Klasse" erzählt vom Sonderschulunterricht in Russland – und von einem durch autoritäres Denken und Diskriminierung geprägten Schulalltag. Der junge Filmemacher Iwan Twerdowski erhielt für sein Debüt zahlreiche Auszeichnungen.
Auf dem Weg zur Schule werden die im Rollstuhl sitzende Lena und ihre Mutter am Bahnübergang aufgehalten. Ein Junge hat sich auf die Gleise gelegt und ist tot. Lena soll nicht hinschauen. Mit einiger Verspätung erreichen die beiden dann das Schulgebäude. Draußen ist der Appell. Erster Schultag.
Zur Begrüßung werden Lena und ihre Mutter von der Direktorin nur angefaucht. Warum kommen sie zu spät? Für Sonderschüler gibt es keinen Appell. Die "normalen" Schüler und ihre Eltern wollen nicht gestört werden. Und da es keinen Aufzug gibt und sich die 16-jährige an Muskelschwund leidende Lena nur mühsam die Treppe hoch bewegt, wird noch autoritär nach etwas mehr Tempo verlangt.
Zur Begrüßung werden Lena und ihre Mutter von der Direktorin nur angefaucht. Warum kommen sie zu spät? Für Sonderschüler gibt es keinen Appell. Die "normalen" Schüler und ihre Eltern wollen nicht gestört werden. Und da es keinen Aufzug gibt und sich die 16-jährige an Muskelschwund leidende Lena nur mühsam die Treppe hoch bewegt, wird noch autoritär nach etwas mehr Tempo verlangt.
"Korrekturklasse" - "Klass Korrektsi" - nennt man in Russland Sonderklassen für Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung. Und genau in solchen Klassen hat der Regisseur Iwan Twerdowski mit seinem Drehbuchautor im Vorfeld recherchiert.
"Wir sind in die Schulen gefahren, um zu schauen, wie die Kinder dort leben, dort lernen. Daraus ist unsere Korrekturklasse im Film entstanden. Ich habe mich mit dem Szenaristen Dmitrij Lantschichin hingesetzt und angefangen, unsere eigene Geschichte zu schreiben. Ursprünglich gab es eine Romanvorlage, aber wir haben das Alter der Protagonisten angehoben. Damit veränderte sich die Problematik. Das heißt, im Buch gibt es keine Liebesgeschichte, da ist es eine Geschichte über Freundschaft. Ein Junge ist sehr krank, sein Tod eint die Klasse - und als er stirbt, fangen alle an, sich miteinander anzufreunden. Mir ging diese Geschichte nicht nah und so haben wir eine Geschichte über die Liebe geschrieben."
"Wir sind in die Schulen gefahren, um zu schauen, wie die Kinder dort leben, dort lernen. Daraus ist unsere Korrekturklasse im Film entstanden. Ich habe mich mit dem Szenaristen Dmitrij Lantschichin hingesetzt und angefangen, unsere eigene Geschichte zu schreiben. Ursprünglich gab es eine Romanvorlage, aber wir haben das Alter der Protagonisten angehoben. Damit veränderte sich die Problematik. Das heißt, im Buch gibt es keine Liebesgeschichte, da ist es eine Geschichte über Freundschaft. Ein Junge ist sehr krank, sein Tod eint die Klasse - und als er stirbt, fangen alle an, sich miteinander anzufreunden. Mir ging diese Geschichte nicht nah und so haben wir eine Geschichte über die Liebe geschrieben."
Ein packendes Coming-of-Age-Drama
Beim Dreh von Lenas Klasse war der Moskauer Regisseurs Iwan Twerdowski erst 25 Jahre alt. Er ist nah dran an seinen Figuren und hat ein packendes Coming-of-Age-Drama voller Humor, Zärtlichkeit und Gewalt gedreht.
Der Filmemacher schlägt sich ganz auf die Seite seiner Protagonistin. Wenn sich die 16-jährige Lena in ihren Mitschüler Anton verliebt, sich von ihm auf der Schultoilette die Beine eincremen lässt, dann ist das behutsam und sinnlich gefilmt. Aber diese Idylle wird unschön von der rabiaten Putzfrau unterbrochen. Liebe passt nicht in eine "Korrekturklasse" meinen viele Russen wie Iwan Twerdowski erläutert.
"Meine Lieblingsszene ist die mit Anton und Lena auf der Toilette, weil da alle anfangen rumzuschreien und verrückt zu werden: ‚Das geht doch nicht, das ist pervers, unmöglich!‘ - Mir war es wichtig zu zeigen, dass es für die Lehrerinnen, die Putzfrau und Sekretärinnen tatsächlich etwas Anormales ist. Als wir den Film im Kino präsentierten, meinten auch einige Zuschauer: ‚Warum zeigt ihr das? Das ist doch nicht normal! Lena und Anton sind anders – und wenn sie es schon treiben müssen, wollen wir uns das doch nicht ansehen.‘ Ich entgegnete dann: ‚Darum geht es nicht. Warum dürfen sich die einen lieben und die anderen nicht?‘ Unser Film sagt: Wir sind alle gleich, egal in welche ‚Klasse‘ man uns steckt. Wir haben alle das Recht auf Glück, auf Liebe, und dieses Recht darf man Niemanden nehmen. Und Lena und Anton beweisen das in dem Film."
Geschickt versteht es Iwan Twerdowski sein Jugenddrama mit genauen sozialen Beobachtungen zu verweben. Wer etwas über den russischen Alltag erfahren möchte und verstehen will, warum sich nach über 70 Jahren Stalinismus und Kommunismus in vielen Köpfen so wenig verändert hat, bekommt hier interessante und originelle Einblicke. Das Lehrerinnenkollektiv steht dabei für die alte sowjetische Ordnung, für autoritäres Denken und Unfreiheit. Das war für den Regisseur durchaus auch teilweise autobiografisch.
"Meine Lieblingsszene ist die mit Anton und Lena auf der Toilette, weil da alle anfangen rumzuschreien und verrückt zu werden: ‚Das geht doch nicht, das ist pervers, unmöglich!‘ - Mir war es wichtig zu zeigen, dass es für die Lehrerinnen, die Putzfrau und Sekretärinnen tatsächlich etwas Anormales ist. Als wir den Film im Kino präsentierten, meinten auch einige Zuschauer: ‚Warum zeigt ihr das? Das ist doch nicht normal! Lena und Anton sind anders – und wenn sie es schon treiben müssen, wollen wir uns das doch nicht ansehen.‘ Ich entgegnete dann: ‚Darum geht es nicht. Warum dürfen sich die einen lieben und die anderen nicht?‘ Unser Film sagt: Wir sind alle gleich, egal in welche ‚Klasse‘ man uns steckt. Wir haben alle das Recht auf Glück, auf Liebe, und dieses Recht darf man Niemanden nehmen. Und Lena und Anton beweisen das in dem Film."
Geschickt versteht es Iwan Twerdowski sein Jugenddrama mit genauen sozialen Beobachtungen zu verweben. Wer etwas über den russischen Alltag erfahren möchte und verstehen will, warum sich nach über 70 Jahren Stalinismus und Kommunismus in vielen Köpfen so wenig verändert hat, bekommt hier interessante und originelle Einblicke. Das Lehrerinnenkollektiv steht dabei für die alte sowjetische Ordnung, für autoritäres Denken und Unfreiheit. Das war für den Regisseur durchaus auch teilweise autobiografisch.
Russisches Kino in Deutschland völlig unterschätzt
"Ich habe über meine Schule geschrieben, die sich im Zentrum von Moskau befand. Das war ein ordentliches Gymnasium, wir hatten auch gute Pädagogen, die nicht rumgeschrien und mit uns geschimpft haben. Aber die meisten waren müde von der Arbeit - und nicht alle mochten Kinder. Es blieb unklar, was die meisten von ihnen überhaupt an der Schule zu suchen hatten, weil sie größtenteils Kinder eigentlich hassten. Ich habe versucht, das aufzuzeigen, was mir aber nicht immer ganz detailliert gelungen ist. So habe ich aus dramaturgischen Gründen auch Situationen zugespitzt. Deshalb kommen alle Lehrerinnen und auch die Direktorin ziemlich aggressiv rüber. Sie verhalten sich den Kindern aus der Korrekturklasse gegenüber sehr abwehrend."
Bei aller Kritik bleiben aber auch die Erwachsenen im Film realistisch und nuanciert. Iwan Twerdowski gibt ihnen Momente, in denen sie nachdenklicher, verständnisvoller wirken. So steht auch die Direktorin immer unter dem Druck der Schulbehörde. Formal besticht der Film durch Realismus. Die mobile Handkamera wackelt dabei mitunter ein wenig zu sehr und auch ein typisch russischer Hang zum Drama wirkt gegen Ende des Films mitunter zu konstruiert. Und trotzdem beweist dieser so kraftvolle, emotionale Film, wie produktiv und vielseitig das bei uns völlig unterschätzte und unbekannte russische Kino derzeit immer wieder ist. Iwan Twerdowski hat übrigens gerade seinen zweiten Spielfilm abgedreht. Man darf gespannt sein.
Bei aller Kritik bleiben aber auch die Erwachsenen im Film realistisch und nuanciert. Iwan Twerdowski gibt ihnen Momente, in denen sie nachdenklicher, verständnisvoller wirken. So steht auch die Direktorin immer unter dem Druck der Schulbehörde. Formal besticht der Film durch Realismus. Die mobile Handkamera wackelt dabei mitunter ein wenig zu sehr und auch ein typisch russischer Hang zum Drama wirkt gegen Ende des Films mitunter zu konstruiert. Und trotzdem beweist dieser so kraftvolle, emotionale Film, wie produktiv und vielseitig das bei uns völlig unterschätzte und unbekannte russische Kino derzeit immer wieder ist. Iwan Twerdowski hat übrigens gerade seinen zweiten Spielfilm abgedreht. Man darf gespannt sein.