Neu im Kino: "Marketa Lazarová"

Schmutz, Schnee und menschliche Rohheit

Von Jörg Taszman |
Der Mittelalter-Film "Marketa Lazarova" von Frantisek Vlácil wurde vor fast 50 Jahren gedreht und gilt vielen tschechischen Kritikern als echtes Wunderwerk. Lange war er fast vergessen, jetzt kommt er in die deutschen Lichtspielhäuser.
Die Tschechoslowakische "Neue Welle" im Kino erlebte ihre Blütezeit schon vor dem "Prager Frühling" seit Mitte der 60er Jahre. Regisseure wie Milos Forman, Ivan Passer, Jiri Menzel oder Vera Chytilova brachten sie zu Weltruhm. Und doch gilt der lange Zeit in Vergessenheit geratene Film "Marketa Lazarova" von Frantisek Vlácil (1967) vielen tschechischen Kritikern als der beste tschechische und slowakische Film aller Zeiten.
Nun gelangt dieses ungewöhnliche Werk fast 50 Jahre nach seiner Uraufführung endlich flächendeckend in die deutschen Kinos.

Zwei Räuber entführen einen jungen Adeligen

Böhmen im Mittelalter, 13. Jahrhundert. Zwei Räuber entführen den jungen deutschen Adeligen Christian und bringen ihn auf ihre heruntergekommene Burg. Die Brüder sind die berüchtigten Söhne des alten Kozlik, der sich mit Raub und Überfällen über Wasser hält.
Schon von diesen ersten Einstellungen an verblüfft der realistisch anmutende Mittelalterfilm mit seinen starken, kontrastreichen Schwarzweißbildern und den vielen chorhaften Gesängen auf der Tonspur. Aber die Kamera ist oft wie entfesselt, bietet ungewohnte Blickwinkel und auch der Ton klingt oft verzerrt.
Die Geschichte des Films erschließt sich nur schwer, aber im Mittelpunkt liegt die Fehde von zwei Familienclans: den Kozliks und den Lazars. Und so entführt der ältere Kozlik-Sohn Mikulas die schöne blonde Marketa, die eigentlich Nonne werden sollte.

Vater Kozlik will Marketa in Eisen legen

Vater Kozlik will Marketa demütigen und in Eisen legen. Das empört wiederum den sich ebenfalls in Gefangenschaft befindenden jungen deutschen Adeligen Christian.
"Das ist eine Schande Herr Kozlik ... Lassen sie das arme Mädchen nicht drangsalieren ..."
Es ist betörend und beeindruckend, wie Regisseur Frantisek Vlacil diese Mittelalter-Bilder inszeniert, wie man den Schmutz, den Schnee, die Rohheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen fast physisch spürt.
Man fühlt sich an Andrej Tarkowskis düsteres Meisterwerk "Andrej Rjubljow" erinnert. Was Frantisek Vlacils entschleunigten Ritter- und Mittelalterfilm jedoch so besonders macht, sind zwei überzeugend eingewobene, leidenschaftliche Liebesgeschichten und der lyrisch-mystisch-ironische Grundton.

Kein Kino, das sich sofort erschließt

Regisseur Frantisek Vlacil hat aus einer kleinen Erzählung des tschechischen Avantgarde-Schriftstellers Vladislav Vančura einen 162 Minuten langen Cinemascope-Film geschaffen, der dem Zuschauer viel abverlangt. Es ist echte Seharbeit, kein Kino, das sich sofort auf den ersten Blick erschließt.
Aber genau das macht Kultfilme ja aus.

"Marketa Lazarová"
Regie: Frantisek Vlácil
Tschechoslowakei 1967
Spielzeit: 162 Minuten
FSK: ab 16 Jahren