Mathematikgenie und Abenteurer gehen ihren Weg
Drei Neuvorstellungen ganz unterschiedlicher Güte: In "Die Poesie des Unendlichen" kommt der hochbegabte Inder Ramanujan zum Studium nach England. In "Junges Licht" befreit sich der heranwachsende Julian von seiner Mutter. Und: Die Roman-Verfilmung von "Mängelexemplar" überzeugt nicht.
"Sir Francis, hier sind die Abrechnungen von heute und ein neuer Angestellter. – Dieser Mann sieht aus, als lebte er auf der Straße, schaffen Sie ihn hinaus. – Sir, bitte, vergeben Sie mir mein Äußeres, aber ich habe ein außergewöhnliches Zahlenverständnis. Was Ihnen im Moment als gewöhnliches Glas erscheinen mag, wird sich schon bald als Diamant entpuppen."
Das ist nicht übertrieben, der junge Mann ist ein mathematisches Genie. Der britische Film "Die Poesie des Unendlichen" beginnt 1913 in Indien – seinerzeit Teil des British Empire. Auf einen armen Inder wie Ramanujan – gespielt vom englischen Jungstar Dev Patel – schauen die Kolonialherren verächtlich herab. Aber der geniale Autodidakt beeindruckt den britischen Firmenchef derart, dass der an den berühmten Mathematikprofessor Hardy in Cambridge schreibt – und Ramanujan wird nach England eingeladen.
Starthilfe für das junge Genie
An der Elite-Universität sieht er sich von Beginn an dem feindseligem Dünkel der Engländer ausgesetzt. Nur Professor Hardy, den Jeremy Irons als eigenwilligen Querdenker spielt, begegnet Ramanujan wohlwollend – wenn auch britisch-distanziert. Er versucht, dem jungen Genie, das seine Theorien intuitiv entwickelt, mathematische Methodik beizubringen:
"Ich weiß, ich bin sehr streng mit Ihnen, aber das ist zu Ihrem Besten. Ich will, dass Sie veröffentlicht werden. – Seit meiner Ankunft haben Sie die Notizbücher und den Primzahlsatz, das können Sie doch veröffentlichen. – Wenn ich das im gegenwärtigen Stadium veröffentlichen würde, käme ich dafür sicher ins Irrenhaus."
Von der komplizierten, aber intensiven Beziehung der beiden erzählt "Die Poesie des Unendlichen" nach der realen Geschichte des bedeutenden Mathematikers Ramanujan. Regisseur Matthew Brown bettet die Handlung atmosphärisch in den historischen Kontext des Erstem Weltkriegs ein. Allerdings geht dem Film nach reizvollem Beginn irgendwann die Puste aus, die Stationen der Geschichte sind so klassisch-brav nacherzählt, dass sich weder die Faszination für die Mathematik noch die Dramatik der historischen Konstellation wirklich vermitteln.
Abenteuer im Ruhrpot in poetischen Bildern
Ungewöhnlich originell dagegen ist die gleichnamige deutsche Verfilmung des Romans von Ralf Rothmann "Junges Licht" erzählt. Der zwölfjährige Julian wächst im Ruhrpott der frühen Sechzigerjahre auf. Der Vater schafft auf der Zeche, die Mutter ist Hausfrau und greift gerne zum Kochlöffel, wenn der Sohn nicht spurt:
"Wieso bist Du aus der Schule weggelaufen. – Der schlägt auf die Finger. – Ja und? Warum soll der dich nicht schlagen? Wenn du keine Hausaufgaben machst, bist du selber schuld. Komm jetzt her. – Nein Mutti!" (Schläge)
Als die Mutter mit der kleinen Schwester zur Kur fährt, erlebt Julian ungewohnte Freiheiten. Er beobachtet durchs Fenster das kokette Nachbarmädchen, sucht Anschluss an eine wilde Jungs-Clique, muss sich aber auch den Annährungsversuchen des pädophilen Nachbarn erwehren. Dann gibt es wieder entspannte Gespräche mit dem Vater nach der Schicht:
"Ich werd Koker, auffe Kokerei. – Nich auf Zeche? – Ich find das Feuer und den weißen Dampf so schön. – Kannst Bergmann werden oder Stahlarbeiter oder Koker. Im Stahlwerk ist das meiste Feuer, dat Stahlwerk macht den Himmel rot."
In Szenen wie diesen entfaltet "Junges Licht" geradezu poetische Momente – und wenn die Stahlöfen den Himmel in rote Wolken hüllen surreal-schöne Bilder. Die treffsicheren, oft komischen Dialoge wiederum sind so lebensecht wie die düsteren Bilder untertage. Es ist eine noch überschaubare, aber mitunter brutale Welt, die der 12-Jährige – von Oscar Brose bemerkenswert authentisch gespielt – erlebt. Regisseur Adolf Winkelmann, der mit seinen Ruhrpott-Filmen "Die Abfahrer" und "Jede Menge Kohle" in den Achtzigerjahren Kultstatus erfuhr, ist mit diesem lakonischen Zeitbild eine großartige Neuerfindung des Heimatfilms jenseits aller Nostalgie gelungen.
Zwanghafte Tragikomödie
Vom Ruhrpott der Sechzigerjahre ins Berlin der Gegenwart: Karo heißt die Heldin in "Mängelexemplar", der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sarah Kuttner. Die etwas anstrengende 28-Jährige hat gerade ihren Job in einer Eventagentur verloren, verfällt in Angstzustände und beginnt widerwillig eine Therapie. Aus diesem Plot entwickelt Regisseurin Laura Lackmann eine etwas zwanghafte Tragikomödie, bei der – sobald es ernst wird – immer auch gleich wieder ein Witz folgen muss. So reihen sich mehr oder weniger gelungene Gags, Küchenpsychologie und müde Klischees aneinander. "Mängelexemplar" passt als Titel ganz gut für diese überflüssige Buchverfilmung.